»Nein, Goldköpfchen, die Fische haben genug Futter.«
»Ach, ich möchte so gern noch etwas hineinwerfen.«
»Das darfst du an einem anderen Tage. Wir kaufen dann Futter, recht schönes Futter für die Fischlein, und dann darfst du es ins Wasser werfen.«
Nun wollte Bärbel natürlich noch wissen, was das für Futter sei, wer das Futter koche, und geduldig gab Herr Wagner seinem Töchterchen Auskunft. Der Apotheke schräg gegenüber war die Handlung, in der man alles Notwendige erhielt.
Dieses Fischefüttern beschäftigte das Kind den ganzen Nachmittag. Es rief die Großmama; aber Frau Lindberg erklärte, das Fischfutter sei verbraucht, heute könne man den Tierchen nichts mehr geben, denn es müsse erst neues gekauft werden.
Und als dann Bärbel im Vorgarten stand, kam ihr der Gedanke, daß es vielleicht ganz richtig sei, wenn man heute schon für morgen das Futter besorge.
Kurz entschlossen lief das Kind über die Straße, betrat die Vogelhandlung und forderte Fischfutter für die goldenen Fischlein.
»Hast du Geld mit?« fragte der Inhaber freundlich.
»Nein.«
»Ist das Futter für deinen Vater?«
Bärbel machte ein entrüstetes Gesicht. »Für die Fische, – der Vati ißt so was nicht.«
Der Ladeninhaber lachte belustigt auf. »Ich meine, ob dich der Vater herübergeschickt hat, das Futter zu holen?«
Wieder mußte Bärbel verneinen, und so erklärte der Händler, daß er das Futter hinüberschicken werde. Für morgen wäre dann wieder etwas da.
Als Goldköpfchen ins Haus zurückkehrte, sah es den Bruder auf der Straße, der eifrig nach Maikäfern ausschaute.
»Ich habe mir schon einen Busch zurechtgemacht, damit fange ich mir hundert Stück.«
Bärbel jubelte. »Mir schenkst du auch sieben?«
»Fang dir selbst welche!«
»So fängt mir Emil welche oder Felix.«
Beim Abendessen war Joachim recht unruhig. Er hatte wieder einmal ein schlechtes Gewissen. Zwar war es ihm gelungen, die zerrissene Jacke bisher zu verbergen; aber das Gesicht wies neue Kratzer auf.
Der Apothekenbesitzer aber gab sich den Anschein, als sähe er das nicht, und Joachim war froh, als das Abendessen endlich vorüber war. An dem heutigen warmen Tage durfte er noch ein wenig hinaus; und diese Stunde wollte er dazu benutzen, sich Maikäfer zu fangen, die er morgen in der Schule gegen irgend etwas anderes eintauschte. Außerdem machte es furchtbaren Spaß, dem Lehrer einen Maikäfer um den Kopf schwirren zu lassen.
Die lange Stange, an der ein Busch junges Grün festgebunden war, geschultert, begab sich Joachim hinaus aus die Straße. Vor dem Nachbarhause ließ er seinen Pfiff ertönen, der Freund Emil herauslocken sollte. Er war ihm freilich noch etwas gram, aber Maikäfer fangen sich am besten zu zweien.
Er pfiff und pfiff, schließlich erschien der Schneidermeister. Mit einigen Sätzen war der Knabe auf der anderen Straßenseite.
»Du pfeifst wohl nach dem Emil? Der hat Stubenarrest und darf heute nicht mehr hinaus.«
»Warum denn?« rief es von der anderen Straßenseite herüber.
»Das solltest du doch am besten wissen!«
»Kommt er nicht runter?«
»Nein, er hat Arrest.«
»Er soll doch nur Maikäfer mit mir fangen.«
»Ich habe dir doch gesagt, daß er nicht raus darf, und dabei bleibt es! Also, laß das Pfeifen sein!«
Der Schneidermeister verschwand wieder in der Haustür, und Joachim schaute nach den Fenstern des ersten Stockwertes hinauf. Dort mußte der Emil sitzen. Er pfiff schriller und immer schriller, bis sich schließlich das Gesicht Emils an die Scheibe drückte.
»Mach’ doch mal auf!« rief Joachim.
Zögernd wurde das Fenster geöffnet.
»Du bist eingesperrt? Ich fange Maikäfer.«
Emil spuckte aus dem Fenster aus die Straße hinunter.
»Ich habe schon hundert Maikäfer«, renommierte Joachim voller Schadenfreude.
»Das ist ja gelogen! Du lügst überhaupt immer.«
»Och du«, klang es verächtlich von unten herauf »Haha, bist ja eingesperrt!«
»Und du hast den Dreck ausräumen müssen!«
Daraufhin hielt es Joachim für ratsam, die Unterhaltung abzubrechen; aber er spazierte vor dem Hause auf und ab und schrie von Zeit zu Zeit höhnend hinauf:
»Schon wieder einen gefangen!«
Währenddessen sann Emil auf Rache. Er holte ganz heimlich einen Wasserkrug, stellte ihn neben sich auf das Fensterbrett, und als Joachim wieder triumphierend vorüberging, bekam er einen mächtigen Guß ab.
Das war aber auch von unten gesehen worden, denn im gleichen Augenblick war die Frau des Schneidermeisters aus dem Hause getreten, hatte mehrere Spritzer abbekommen, und es dauerte gar nicht lange, so hatte die resolute Frau ihrem Sprößling die Lust an ähnlichen derartigen Späßen genommen.
Bärbel war natürlich immer in der Nähe des Bruders und freute sich unsäglich über die krabbelnden Tiere. Nur daß der Bruder die Maikäfer in eine Zigarrenkiste einsperrte, gefiel ihr gar nicht.
»Sie wollen doch umherfliegen und singen, – laß sie wieder raus, Joachim.«
»Quatsch, – die nehme ich morgen mit in die Schule.«
»Du kannst sie doch nicht die Nacht über einsperren?«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Hörst du, wie sie singen und bitten, du sollst sie freilassen?«
»Quatsch’ nicht so dummes Zeug!«
»Man darf keine Käfer gefangenhalten, die Käfer wohnen doch in den Bäumen und nicht in einer Kiste.«
»Du brauchst dich um meine Maikäfer gar nicht zu kümmern. Mit denen kann ich machen, was ich will!«
»Nein, das darfst du nicht!« rief die Kleine entrüstet, »du darfst den Tieren nicht weh tun; und wenn du sie einsperrst, wenn sie nicht zurück zur Mutti können, dann weinen sie. Man muß gut zu den Tieren sein.«
Joachim hörte nicht darauf, er lief bereits hinter einem erspähten Käfer her. Er hatte die Zigarrenkiste, in der sechs Käfer summten, auf das Fenstersims gestellt.
Bärbel legte das Ohr an die Kiste. Sie hörte das Brummen und Summen, und es wurde ihr ordentlich traurig zumute. Die Tierchen riefen gewiß nach den Eltern. Sie hatten Angst, daß man ihnen ein Leid zufügen könnte. Wie häßlich von Joachim, daß er sie die ganze Nacht in diesem Kasten einsperren wollte. Bärbel dachte schaudernd daran, wie sie einmal für wenige Augenblicke im Keller eingesperrt gewesen war. Wie hatte sie gezittert und sich gefürchtet!
Sie wagte aber nicht den Deckel der Zigarrenkiste zu öffnen, denn der Bruder würde sehr schelten, wenn sie die Maikäfer freiließ. Es war wohl richtiger, wenn sie sich bei großen Leuten erst Rat holte.
Eben stand die Großmutter im Flur und sprach mit Lina. Bärbel griff nach ihrer Hand.
»Großmama, darf man kleine Tiere und Vögelchen in einen finsteren Kasten sperren?«
»In einen Kasten, – nein, aber unser Mätzchen hat einen Käfig.«
»Nein, in einen Kasten, der keine Fenster hat.«
»Wer macht denn das?«
»Der Joachim fängt alle Maikäfer weg und steckt sie in den dunklen Kasten.«
»Das ist nicht hübsch vom Joachim. Wenn er sie fängt und ihm das Freude macht, muß er sie aber wieder fliegen lassen.«
»Dann freuen sich die Tiere, – nicht wahr, Großmama?«
»Freilich, Goldköpfchen! Ich habe einmal einen kleinen, kranken Vogel gehabt, den fand ich im Gebüsch. Ich habe ihn einige Tage in den Bauer gesetzt, aber als es ihm wieder besser ging, habe ich den Bauer aufgemacht. Dann ist das Vöglein hinausgeflogen und später noch oftmals an mein Fenster gekommen und hat dort so lieb gesungen.«
»Da hat es wohl ›danke‹ gesagt, Großmama?«
»Freilich, mein liebes Goldköpfchen, das Vöglein hat sich herzlich bedankt, daß ich es wieder freiließ.«
»Sagen die Maikäfer auch ›danke schön‹?«
»Natürlich, sie brummen dann gar lustig, und das heißt in ihrer Sprache: ich danke dir, mein gutes Kind, daß du mir die Freiheit schenktest.«
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