Bruckner zückte eine Plakette aus seiner Jackentasche und schob sie zwischen Armaturenbrett und Windschutzscheibe meines Centurys.
»So, damit die Kollegen nicht auf dumme Gedanken kommen.«
Wir stiegen aus. Ich folgte Bruckner um das Gebäude herum. Wir steuerten auf eine Gruppe von zwei Frauen und einem Mann zu, die wie brave Schüler ihre Zigaretten auf dem Boden austraten, als wir uns näherten. Bruckner wurde gleich von dem Mann begrüßt, ein sportlich schlanker Typ, Ende dreißig, mit gegelten, zurückgekämmten Haaren.
»Na Kurt, bringst du uns Ersatz für Manuel?«
Bruckner stutzte. »Wieso, was ist denn mit ihm?«
»Dem ist die Scholle nicht bekommen.«
Eine der beiden Frauen schüttelte den Kopf. »Klaus erzählt Mist. Manuel war heute Morgen schon nicht richtig fit. Er hat sich ins Hotel aufs Zimmer gelegt und lässt sich entschuldigen.«
»Danke Gisela, hätte er mir aber auch selbst sagen können, na egal.« Bruckner überlegte. »Den Ersatzmann habe ich allerdings nicht mitgebracht.« Er wandte sich kurz an mich. »Das ist Mr. Tillman Halls, ein amerikanischer Kollege, oder besser gesagt, ein Ex-Kollege, ein Ex-Cop.«
Schlechter konnte Bruckner mich nicht vorstellen, dachte ich sofort. Er war aber noch nicht fertig.
»Mr. Halls hat mich bei einigen interessanten Fällen der letzten Jahre unterstützt und er ist in gewisser Weise dafür verantwortlich, dass es unseren Profilerkurs überhaupt gibt.«
Das war mir neu. Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt übertreiben Sie bitte nicht, Herr Oberkommissar.« Ich lachte und die zweite Dame in der Runde, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat vor und reichte mir die Hand.
»Hallo, ich bin die Ute. Wir duzen uns hier alle, ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich dich Tillman nenne.«
»Freut mich Ute«, antwortete ich mit einem Nicken. Dann gaben auch Gisela und Klaus mir die Hand.
Bruckner räusperte sich. »Na, dann haben wir das ja geklärt.« Er wandte sich wieder an mich. »Der Kurs hat ja eigentlich fünf Teilnehmer. Außer Manuel haben wir einen weiteren Abgang. Ein Kommissar aus Berlin hat den halben Kurs bereits vor einem Monat absolviert und sich entschieden, den Teil, den er schon kennt, auszulassen.«
»Kurt spricht von Mr. Wichtig«, kommentierte Ute und sah mich lächelnd an.
Gisela nickte. »Wir haben hier eine Regel: keine Handys. Aber der Typ war immer auf Sendung, hat irgendwie genervt.«
»Ich mache es gleich aus«, sagte ich lachend. »Bin jetzt sowieso privat hier.«
»Nein, nein nicht nötig«, sagte Bruckner. »Das gilt nur für die Kursteilnehmer.«
»Schon geschehen«, sagte ich und steckte mein Smartphone wieder in die Jackentasche. Ich sah mich um. »Und jetzt möchte ich die Show sehen, bin ganz gespannt.«
»Stimmt!«, sagte Bruckner und sah auf seine Armbanduhr. »Wir müssen tatsächlich ein wenig auf die Zeit achten, sonst ist unser Tatort wieder auf See.«
Bruckner deutete zum Fähranleger. Alle drehten sich zu dem Schiff um, das dort direkt vor den Autorampen angedockt lag. Die MS Dargast erschien mir nicht sehr groß.
»Wir sind angemeldet und müssen uns wirklich beeilen.« Bruckner und Klaus schritten voran.
Ute ging neben mir. »Bist du wirklich ein Ami? Ich meine, dein Akzent verrät dich nicht gerade?«
Ich nickte. »New York, aber wir haben zu Hause viel Deutsch gesprochen. Meine Großeltern. Darum habe ich wohl auch gleich noch eine Deutsche geheiratet. Jetzt leben wir in Hamburg.«
»Ach!«, sagte Ute. »Ich komme aus Bremen.«
»New York!« Gisela ging jetzt auch neben mir. »Dann stimmt das mit dem Cop.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte ich. »NYPD, aber das ist wirklich nichts Besonderes. Ich bin schon ein paar Jahre in anderen Geschäften unterwegs. Darum lebe ich auch in Hamburg.«
»Was sind das für Geschäfte?«, fragte Ute.
»Immobilien, ich bin Makler. Häuser, Wohnungen, Grundstücke, Vermietungen, das ganze Repertoire.«
»Immobilien! Wie passt das denn zum NYPD?«
»Gar nicht! Meinem Schwiegervater gehört das Geschäft. Ich habe eingeheiratet. Sagt man das hier so?«
Ute nickte. »Klingt lustig, eingeheiratet, ein gezähmter Bulle.«
»Hey, ich suche wirklich eine neue Wohnung«, rief Gisela. »Da könnte ich ein paar Tipps gebrauchen.« Sie lachte. »Das sind ja manchmal Schweinehunde, diese Makler.« Sie räusperte sich. »Anwesende natürlich ausgenommen.«
Ute ließ sich nicht vom Thema abbringen. »Und dann konntest du deine Polizeimarke einfach so an den Nagel hängen?«
Ich schüttelte den Kopf. »So einfach war das tatsächlich nicht. Wären wir in New York geblieben, dann hätte ich es nicht gekonnt. Das mit Hamburg war schon entscheidend. Ich habe nur einen Fehler gemacht.«
»Und welchen?« Ute sah mich von der Seite an.
»Als wir damals nach Hamburg gezogen sind, konnte ich es nicht lassen und habe ein Internetformular des BKA ausgefüllt und meine Profilerkenntnisse großzügig angepriesen. Ja und da hat mich der Herr Kriminaloberkommissar ausgegraben.«
»Und da hat er dich bequatscht?«, sagt Ute spöttisch. »Und du hast natürlich einen riesen Vorsprung mit diesem ganzen Profilerkram, wenn du aus den Staaten kommst.«
»Ja, das hat Bruckner auch gehofft«, sagte ich lachend. Ich dachte an Quantico, hatte jetzt aber nicht das Bedürfnis, den beiden Damen auch noch davon zu erzählen. Bruckner würde es bestimmt irgendwann für mich übernehmen. Ich spürte, dass Ute mich gerne noch weiter befragt hätte, wir mussten aber etwas schneller gehen, um Bruckner und den Kollegen Klaus wieder einzuholen. Bruckner stand jetzt neben einem Mann in Schiffsuniform, der etwas in sein Walkie-Talkie sprach. Klaus winkte uns heran.
»Wir müssen wirklich Gas geben«, erklärte er. »Die machen diesmal vor der Abfahrt noch eine Übung mit den Passagieren und dann müssen wir wieder von Bord sein.«
Bruckner gab Zeichen und wir wurden mittschiffs über eine Fußgängerrampe hinauf aufs Deck geleitet. Dann ließ man uns ohne Führer gehen, weil Bruckner den Weg natürlich kannte. Ein schmaler Korridor erstreckte sich über die gesamte Schiffslänge Richtung Bug. Wir gingen jetzt hintereinander, Bruckner voraus. Ich machte den Schluss. Alle paar Meter wurde die geschlossene Schiffswand durch eine Öffnung unterbrochen und gab den Blick auf das Hafenbecken frei. An einigen Stellen roch es nach frischer Farbe. Wir erreichten das erste Schott. Eine Schiene verlief ebenerdig quer über den Korridor. Bruckner hatte die Tür bereits entriegelt und zur Seite geschoben. Er deutete mir an, dass ich den Zugang wieder verschließen solle. Das Schott ließ sich leicht bewegen und rastete mit einem sanften Klicken in die Arretierung des Türhebels ein. Wir befanden uns jetzt im Inneren der Fähre, am Rande des großen Autodecks. Es gab vier Spuren, die darauf warteten, wieder mit PKWs und LKWs gefüllt zu werden. Wir gingen weiter, kamen an zwei Aufgängen vorbei, über die die Passagiere zu den oberen Decks gelangen konnten. Fast am Ende des Parkdecks blieb Bruckner vor einer unscheinbaren Tür stehen, die in die Bordwand eingelassen war und die Aufschrift Zutritt verboten trug.
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