Aber es war in den kommenden Jahren immer das Gleiche mit ihr. Immer wenn ich gerade nicht mehr an Meike dachte, kam sie wieder an und stellte mich als „die treulose Tomate“ dar. Und ich war dann natürlich wieder froh einfach nur Gesellschaft zu haben und schob das Geschehene erneut beiseite. Und so war es immer, alles war dann wieder schnell vergessen.
Erst viel später erkannte ich, dass dieses Verhalten von mir sehr unkonsequent war, denn ich hätte meine Probleme mit ihr erst klären müssen. Und dazu kam ja noch, dass Meike in manchen Dingen immer sehr eigensinnig und stur war und stets nur ihren Kopf durchsetzte. Aber ich, anstatt ihr meine Meinung darüber zu sagen, was ich überhaupt nicht akzeptieren konnte an ihr, verhielt mich immer wieder zurückhaltend und passte mich stets der Situation in ihrem Sinne an. Ich weiß bis heute nicht, warum ich das immer so machte und dazu ihr zickiges Verhalten ertrug. Das lag wohl doch an meiner strengen und unterwürfigen Erziehung von zu Haus aus. Ich hatte das so in mir, mich anzupassen und den anderen immer alles recht zu machen. Und das, obwohl für mich niemand so richtig da war, wenn es darauf ankam. Aber wahrscheinlich war es einfach auch die Angst ganz allein dazustehen und ich konnte deshalb allen immer schnell verzeihen.
Dank meiner vielen Kompromisse, die ich also immer machte, war es dann so, dass ich in all den Jahren der Freundschaft mit Meike auch sehr schöne Stunden erlebt habe. Denn wenn es ihr gut ging, dann war sie gut drauf. Und dann waren wir meist am Wochenende tanzen und hatten dabei immer unseren Spaß. Darüber gäbe es eine Menge Geschichten zu erzählen, die wir erlebt haben, wie wir da immer die Männer verrückt gemacht haben und sie dann veralberten, wenn sie uns auf einen Drink eingeladen haben. Was haben wir immer gelacht! Und damals waren uns die Männer darüber auch nicht böse. Sie freuten sich schließlich auch einen netten Abend mit netten Leuten gehabt zu haben und wollten nicht immer gleich noch mehr. Das war zu der Zeit eben noch anders als jetzt, weil die Menschen da noch sorgloser waren. Es wurde damals nicht immer gleich jedes Wort für übel genommen und es wurde allgemein noch mehr gelacht. Und wie verrückt wir immer getanzt haben und wie gern! Was haben wir für schöne Abende erlebt! Solche Erlebnisse vergisst man nie und wir haben uns immer gesagt, „wir sind nur einmal jung“. Und da wir noch ziemlich lange jung aussahen, dauerte die Jugend bei uns eben länger als normal an. Und das war unbeschreiblich schön! Ich erinnere mich gern an diese Zeit zurück.
Aber trotzdem änderte das alles nichts an der Tatsache, dass Meike allgemein nicht zu mir stand. Denn es war weiterhin so, immer wenn ich mal Hilfe und Unterstützung brauchte, was jedoch eher selten vorkam, war sie leider nie für mich da!
Rudolf ist dann nicht lange nach der Scheidung endgültig zu seiner Freundin gezogen. Er kam nur noch einige Male zu uns. Und obwohl wir immer auf ihn warteten, machte uns das angespannte Verhältnis, wenn er dann mal da war, immer sehr zu schaffen. Ich erinnere mich noch, dass er einmal am 1. Mai zu uns kam, dem Kampftag der Arbeiterklasse, an dem bei uns jedes Jahr alle Arbeiternehmer demonstrieren mussten. Dabei zogen die Massen von Menschen an diesem Tag mit Fahnen und Plakaten durch die Straßen und ehrten damit die Errungenschaften der Arbeiterklasse in unserem sozialistischen Staat. Und am Schluss zogen wir an der Tribüne vorbei, auf der die Ehrenbürger der Stadt sowie politisch hochrangige Führungskräfte und Gäste anwesend waren. Diesen mussten wir im Vorbeigehen durch unser Winken und Grüßen symbolisch danken für die Sozialpolitik in unserem Staat.
Ich war also an diesem 1. Mai mit Feli demonstrieren Und als wir nach der Demonstration auf dem Nachhauseweg aus der Straßenbahn ausstiegen, sah ich Rudolf aus der gleichen Bahn aus dem letzten Hänger aussteigen. Er schien zu uns nach Hause zu wollen und lief ziemlich weit vor uns und ich wusste nicht, was ich machen sollte, denn ich hatte mal wieder ein starkes gefühlsmäßiges Tief. Dann sagte ich doch zu Felicitas, die ihn ja noch nicht gesehen hatte, dass da vorn ihr Papa läuft. Sie hat sich so gefreut, dass sie ihn gleich gerufen hat und auf ihn zugelaufen ist. Er wollte tatsächlich gerade zu uns und wir liefen dann gemeinsam nach Hause, so wie früher. Ich wusste jedoch nicht so richtig wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Vor allem, weil ich ständig vor Augen hatte, wie er die andere Frau lieben muss, für die er seine Familie aufgegeben hatte, die er doch eigentlich auch liebte. Seine Kumpels beim Fußball übrigens sagten damals immer zu ihm, ob er verrückt sei so eine Frau wie er hatte zu verlassen und sein Kind noch dazu. Aber Rudolf ließ sich ja auf seinem Weg nicht beirren.
Jedenfalls war ich an diesem Tag ziemlich durchgefroren, als wir zu Hause ankamen, denn es war ein kalter 1. Maitag, und ich wollte gleich etwas Warmes zu Mittag kochen. Ich rechnete aber nicht damit, dass Rudolf länger bleiben wollte. Und da ich ihn ärgern wollte, kochte ich sein Lieblingsgericht, Linsensuppe. Und als die Suppe fertig war, setzte ich mich mit Felicitas an den Tisch und aß ihm etwas vor. Und Feli fragte ihn dann noch, ob er nicht auch etwas von der Suppe abhaben wollte. Doch er lehnte ganz verlegen ab, weil er wusste, dass es eigentlich nicht meine Art war jemanden allein etwas vor zu essen ohne ihm auch etwas davon anzubieten. Und da ich ihn nicht gefragt hatte, traute er sich nicht zu sagen, dass er eigentlich auch Hunger hatte. Aber innerlich war mir diese Situation in dem Moment so was von unangenehm, weil ich wusste, dass Rudolf gern etwas von der Suppe gegessen hätte. Doch ich wollte ihm auch ein bisschen wehtun, nachdem, was er uns alles angetan hatte. Nur meine Gefühle gingen in dem Moment hoch und runter. Auf der einen Art tat er mir jetzt leid, dass ich ihn in so eine unangenehme Situation gebracht hatte, denn ich glaube er hatte sich an dem Tag nach uns gesehnt. Und auf der anderen Seite schoss mir immer wieder diese andere Frau durch den Kopf und was er mit uns die ganze Zeit gemacht hat, dieser Betrug! Und deshalb blieb ich bei meiner unhöflichen Gestik, ihm nichts abzugeben von der Suppe, obwohl ich sah, dass er etwas darunter litt. Nach dem Essen wollte ich dann noch mit Feli zum Karussell gehen, welches bei uns in der Nähe gerade aufgestellt war. Und als wir dann losgingen spürte ich, dass Rudolf bestimmt gern mitgekommen wäre. Ich aber tat gar nicht dergleichen und verabschiedete mich vor dem Haus von ihm, was ihm wiederum sehr unangenehm war und ihn fast traurig machte. Das alles tat mir in dem Moment selber so weh, dass es mir schwer fiel meine Tränen vor Feli zurück zu halten. Und ich merkte, wie sie selber ihre Traurigkeit an diesem Tag tapfer überspielte, so wie sie es meistens tat. Vielleicht war es ja auch falsch, dass ich mich jetzt so stur verhielt, doch ich war einfach verletzt, tief verletzt von den Geschehnissen der letzten Monate.
In dieser Zeit der Trennung hatte ich übrigens immer diese starken Gefühle zwischen Liebe und Hass und wusste eine lange Zeit keinen Weg da raus. Das waren Gefühle, die man nicht beschreiben kann. Auf der einen Art habe ich immer auf Rudolf gewartet, dass er uns besuchen kommt und auf der anderen Art konnte ich ihn nicht mehr sehen, weil ich ihn nicht liebevoll gegenübertreten konnte, so wie ich es am liebsten getan hätte. Da war immer diese andere Frau zwischen uns und das machte mich innerlich wütend und zermürbte mich. Was aber eigentlich komisch war, war das, daß ich diese andere Frau trotzdem nie als meine Konkurrentin angesehen hatte, obwohl sie es ja war. Aber ich hatte immer das Gefühl diese Frau konnte mir nicht „das Wasser reichen“. Ich war mir dessen sogar ganz sicher! Es musste also noch einen anderen Grund für das Handeln von Rudolf gegeben haben, irgendetwas war doch da nicht logisch und ich nahm deshalb nicht an, dass er diese Frau mehr liebte als uns. Und doch blieb er bei dieser anderen Frau. Sie muss sich ihm angeboten haben, wie sonst keiner. Denn Rudolf erzählte mir manchmal so einiges über sie, wenn er mal da war. Zum Beispiel das mit dem Fremdgehen, denn sie sagte zu ihm, dass sie damit leben könnte, wenn er das macht. Das war für mich nicht normal und ich konnte darauf nur erwidern, dass so etwas wohl keine Frau auf Dauer toleriert und ich deshalb nicht glauben würde, dass diese Frau die Wahrheit sagt. Und außerdem sagte ich damals noch zu Rudolf: „Wenn diese Frau dich wirklich liebt, dann hält sie das nicht aus!“ Rudolf jedoch meinte nur, dass ich da eine völlig falsche Vorstellung hätte und es wären ja nicht alle Frauen so wie ich!
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