Der Ebner blinzelte zu der hellen Luke hinauf. Vor einem Dutzend oder fufzehn Jahren hatten ihn die Visdomini des Fondaco namens der hohen Signorie zu dreißig Pfund Silber und zwölf Solidi verknurrt, weil von ihm etliche Pfund Safran ungeschätzt ausgeführt worden waren. Der Ebner spie verächtlich zur Seite. Ein Gerenne und Geschiebe war das gewesen über die beiden Notare hin bis zu den Konsuln der Kaufmannschaft, und hatte einen Brocken gekostet, bis ihm der Hohe Rat gnädigst die Strafe erließ. Wo in aller Fremde war um diese Zeit ein Deutscher trüber gezwungen, enger gehalten, tiefer ausgesäckelt als zu Venedig im Fondaco der Deutschen! Dreißig Piccoli für die Nacht, daß einer in seiner Kammer und nicht, wie die meisten, auf dem stinkenden Gang oder unter dem Tor auf den Wollsäcken schlafe. Und jeder zur Stund auf dem Quartier! Sonst war das Tor gesperrt, und man hat hinter dem Gitter gelegen, wenn einen die Sbirren nachtschlafender Zeit außer Haus faßten. Zahlen, zahlen! Ein kleines spöttelndes Lachen hinter geschlossenen Lippen schütterte die behäbige Rundung des Ebner unter dem Steppwams. An der Rückwand der Stube, der Verwahrung wegen und auch um trockengehalten zu sein, reihten sich, Wandbord über Wandbord, fast vier Schock Pfundsäcklein Safran. Es duftete leicht nach dem köstlichen Gut, und es duftete nach Apulien, kam über Mailand her, frisch und unbenommen von den stinkenden Lagunen.
Ein Seitenblick: es war der letzte der drei Wagen gewesen, der letzte auch dieses Jahres, nun blieben dem Jahr nur noch gezählte wächtenfreie, unvereiste Tage, in denen nichts Weiträumiges zu schaffen war; auch der Safranwagen war schon nicht mehr erwartet worden. Der alte Jockele mit seiner spürigen Schwabennase hatte ihn eingebracht, für alle Fälle nicht allzuschwer beladen, leicht auch, wenn man das teure und stattliche Geleit bedachte, das ihm die Rottleute mitgegeben hatten, aber gleichwohl des Gutes wert. Und das Gut hat runde Zahlen abgeworfen. Die deckten den glatten, dunklen Stein des Rechentisches, von dem der letzte Sonnenrest der venezianischen Uhr auf den Boden abglitt.
Der Jockele war beschenkt und gerechtfertigt. Rechter Hand auf der Tischecke standen drei Säcklein. In der Eisentruhe mit dem Marmelschloß, wohin die drei kommen sollten, schimmerten Spulen Mailänder Goldfäden. Draußen auf der Stapeldiele, daß es die Dreds- und Schneezeit überruhen könne, lag das Südgut und wartete gegen Nürnberg und gegen Würzburg zu: Baumwolle, Papier, Kaninfelle, Rotholz, auch Spezereien in Säcken und Truhen. Aber das Beste verwahrte der Söller in lavendelduftenden Eichenladen: jene Stoffe, deren kostbare Namen Margretlein ausspielte, wenns Not tat, eine Üppigkeit in Zaum zu halten und eine gute Kapuze zu verteidigen. Auch dort Mailänder Seidenzeug, das dem venezianischen den Rang abzulaufen begann.
Heinrich, der Ebner, hatte an diesem Morgen nicht ungern abgerechnet. Er ließ die drei Säcklein noch eine Weile stehen, überfuhr noch einmal die Zahlen und verglich sie in seinem geheimen Buch. Das Jahr stand wohl. Gewagtes war geraten, das Söhnlein war ins Haus geboren, und das Haus lag voll Guts. Werde, die Stadt, war ungesengt und ungeschatzt geblieben. Hatte der deutsche König auch gezogen und gepreßt, das Ebnersche war um ein Vierteil seines Bestandes gemehrt, und es tat wohl, ein vorbedachtes Gemüt bei diesem Schlüsse zu erquicken, stärkend war es, den milden Zauber von all dem ruhenden Gute wie ein Behagen einzuziehen und also den eigenen Mann und Menschen in Sicherheit zu wissen – denn für diesen Tag nach Mittagszeit war, ratsverwandt und ehrbar, Hans, der Vetter von der Ilgen, schräg über den Markt und etliche Häuser niederwärts, angesagt. Ein Roß sollte besehen und gekauft werden, draußen auf dem Roßhof zu Scheffstall; er wolle sich das Stück selber wählen.
Der Roßhof zu Scheffstall war ja nur der Kern. Die Waldung, das Hofland und etliche Seiden reichten hinunter bis an die Mertinger Vogtei, darauf jetzt der Reichspfleger saß. Und es ist dem jungen Vetter, dem Matthies, unverfänglich eingegeben worden, daß die Alheid ein Vierteil des Gutes Scheffstall zubringe. So kam es denn und schien ein erstes Zeichen, daß die Vettern von der Ilgen das gute Roß vor Winters brauchten, ob es gleich verständiger gewesen wäre, es zu besehen, wenn die Salzfuhren wieder frei wurden. Man sollte nur kommen und die Augen auftun! Scheffstall und Roßhof vertrugens, die Alheid desgleichen. Nicht minder im Bestand, hoch, breit, kräftig an Brust und Hüften trug sie sich, die junge Ebnerin. Schien ihr Antlitz nicht so weich und lieb wie das des Margretlein, war auch ihre Nase von der ausragenden Art, vorn ein wenig gespalten, und ihr Mund eher eines Jünglings straffes Lippenpaar: sie war ein Frauensmensch in Saft und Trieb, sie hatte es an sich, neben dem jungen Vetter, dem Matthies, zu bestehen, der in Besanjon von dem läppigen burgundischen Wesen zuviel angezogen hatte. Allein die Vetter von der Ilgen waren Leute, sie trugen sich fast rittermäßig, und es wäre dem Ebner nicht leicht angekommen, wenn es sich der alte Hans hätte zu knapp anmerken lassen, daß auch er wisse, was die Ebner seien.
Die Zahlen stimmten, der Ebner sank in das Lederkissen zurück. Unter dem Fenster hielt der Reitbursch mit den beiden Rossen an der Hand. Es war so still, daß hie und da ein ungeduldiger Hufschlag hereinklackte, daß selbst ein leises Klirren der Gebisse, die die Gäule abkauten, zu vernehmen war.
Er wäre an diesem Tag jedenfalls auf den Roßhof geritten, des Schemming wegen, seines besten Zweijährigen. Er traute keinem, wenn es auf die Pferde ankam. Und der Schemming sollte einen Beschäler geben, besser als der Rüsche zu seiner besten Zeit. In ihm war Spaniolblut, ein Konstabelroß, seine Brust und das Geschröt heut schon hengstmäßig, und sein Fell wie das Kupfer der Wälder draußen, wenn es noch taunaß ist und die erste Sonne spiegelt. Aber beide Drüslein im Hals waren dem Fohlenhengst entzündlich angeschwollen, und das mochte nicht geschwunden sein; der Reitbursch hat geschluckt und gedruckt und nicht mit der Rede herausgewollt, die unliebsame Nachricht nicht büßen zu müssen.
Der Ebner stand auf, schritt eine Weile klirrend hin und wieder. Wenn die klare Raute von Murano nicht oben in der Fensterspitze gesessen hätte! Einen Blick gegen den Markt schräg über und etliche Häuser niederwärts hätte er doch gerne verstohlen getan. – Die von den Ilgen! Und wenn sie erst noch eines Handels wegen kamen! Sie mußten längst die bereiten Pferde stehen sehen, vielleicht war der alte Vetter just deshalb so unbemüht, weil er die Pferde sah. Der Ebner warf das Buch in die Lade. Es war in rotes Juchten gebunden und enthielt nur die verschwiegenen Zahlen, die jahraus, jahrein das Handelsgeschick seines Lebens begleiteten: das Rotbuch. Er hatte noch ein schwarzes und ein weißes.
Uber die Kreidezahlen des Rechentisches wischte er einmal mit der Hand hin und klatschte dann die Kreide an der anderen Handfläche ab. Es sollte nicht scheinen, als wäre etwas zur Schau gehalten. Und er griff mehr zum Zeitvertreib nach der Goldwaage und dem Gewichtsatz, zog den kleinsten, schwersten Beutel heran, knüpfte ihn auf: Goldfloren. Er ließ die Lilie eines Stückes im Lichte funkeln, und dann den Täufer Johannes, das Gegengepräge. Er stieß den runden Beutel ein wenig an, und die gelben Schuppen flössen auf den dunklen Stein. Da hörte er die Stimme des Vetters unter dem Fenster. Er raffte die Münzen zurück, knüpfte zu und warf die drei Säcklein in die Eisentruhe. Die beiden Truhenschlösser knackten straff, und die Schlüssel konnten gerade noch in die Wandlade poltern, als das Haustor wieder zufiel. Die ganze augenfällige Zurichtung wäre ihm doch zu dick gewesen. Er faßte auch den Wischhader und fuhr noch einmal mit ihm über den Stein weg.
Hans, der Vetter, trug sich ein wenig steifer, fast gebrechlicher, als es Alter und Kräften nach hätte sein müssen. Ein langer, schmaler Mann, den weißgemengten Spitzbart auf französische Art gestutzt, aber die Kleidung schlicht und gediegen.
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