Hierauf erzählte er mir mit Zittern und Zagen, der vorgebliche Stempelschneider sei ein Zauberer vom reinsten Wasser, er habe ihm täglich schneller als der Blitz Nachrichten von seinem kranken Sohne in Peschawer gegeben, Nachrichten, die sich regelmäßig durch briefliche Mitteilungen bestätigt hätten. Weiter habe er Soddhu wissen lassen, seinen Sohn bedrohe eine große Gefahr, die nur durch reinen Zauber und natürlich nicht ohne schweres Geld gebrochen werden könne. Mir wurde sofort klar, wohin der Schütze zielte, und ich erklärte Soddhu, ich verstände auch etwas von Zauberei von der occidentalischen Art, und würde gern in sein Haus kommen, um darauf zu achten, daß alles ordentlich und gebührlich vor sich gehe. Wir brachen zusammen auf, und unterwegs erzählte mir Soddhu, er habe dem Stempelschneider schon ein- bis zweihundert Rupien bezahlt, und der heutige Zauber würde noch weitere zweihundert kosten, was, wie er sagte, bei der Größe der seinen Sohn bedrohenden Gefahr nicht zu viel wäre; doch glaube ich nicht, daß dies seiner wahren Herzensmeinung entsprach.
Bei unserer Ankunft sahen wir, daß die Lichter vor dem Hause sämtlich verhüllt waren, und aus der Wohnung des Stempelschneiders vernahm ich ein grauenhaftes Geräusch, als ob jemand seine Seele ausseufzte. Soddhu zitterte am ganzen Leibe und sagte nur, während wir die Treppe hinauftappten, der Zauber habe begonnen. Dschanu und Afisun empfingen uns am Kopfe der Treppe mit der Nachricht, das Zauberwerk werde in ihren Zimmern vor sich gehen, weil da mehr Raum sei. Dschanu ist freidenkerisch angelegt. Sie bemerkte leise, der Zauber sei nur ein Mittel, Geld aus Soddhu herauszulocken, und der Stempelschneider werde sich einmal wegen seiner Thaten zu verantworten haben. Soddhu war vor Furcht und Schwäche nahe am Weinen. Er ging beständig bei dem Dämmerlicht, das im Zimmer herrschte, auf und ab, indem er fast unaufhörlich seines Sohnes Namen aussprach; dann fragte er wieder einmal Asisun, ob der Stempelschneider es nicht für seinen Hauswirt etwas billiger machen sollte. Dschanu zog mich hinüber in den dunklen Schatten eines geschnitzten Fensterbogens. Da die beiden Zimmer nur von einer dürftigen Öllampe Licht erhielten, so konnte ich, wenn ich mich still verhielt, nicht wohl bemerkt werden.
Jetzt hörte das Stöhnen unten auf, und wir vernahmen Schritte auf der Treppe. Es war der Stempelschneider. Als er vor der Thüre stand, schlug der Dachshund an, und eine Stimme hieß Soddhu die Lampe ausblasen. Nun war der Raum in völlige Dunkelheit gehüllt, die nur der rote Schein der beiden Dschanu und Afisun gehörenden Hukas [9]ein klein wenig milderte. Der Stempelschneider trat herein, und ich hörte, wie sich Soddhu ächzend auf den Boden warf. Afisun hielt ihren Atem an, und Dschanu lehnte sich schaudernd auf eines der Betten zurück. Man vernahm einen leisen metallischen Klang, und dann schoß eine fahle blaugrüne Flamme nicht weit über dem Boden auf. Bei ihrem schwachen Lichte bemerkte man Afisun, die mit dem Dachshund zwischen ihren Knieen in eine Ecke gedrückt saß, Dschanu, wie sie mit verschlungenen Händen von ihrem Bette vorwärts starrte, den bebenden, das Gesicht zu Boden senkenden Soddhu und den Stempelschneider.
Ich hoffe, ich bekomme nie wieder einen Mann wie diesen Stempelschneider zu sehen. Er war bis zur Hüfte nackt, hatte einen weißen Jasminkranz von der Dicke meines Handgelenks auf der Stirn, um die Mitte des Leibes ein falmfarbenes Lendentuch und an jedem Knöchel einen Stahlring. Das war nicht weiter schrecklich, wohl aber ließ mich das Gesicht des Mannes erstarren. Erstens sah es blaugrau aus, dann waren die Augen zurückgerollt, daß man nur noch ihr Weißes sehen konnte, und drittens war es ein teuflisches, gespenstisches Gesicht, das in nichts an den schläfrigen, öligen, alten Schuft erinnerte, der tagsüber auf seiner Drehbank saß. Er lag auf dem Leibe da und hielt die Arme kreuzweise nach hinten gestreckt, als wäre er durch einen Dolchstoß niedergeworfen. Nur sein Kopf und Hals hoben sich vom Boden und standen vom Körper fast im rechten Winkel ab, wie der Kopf einer zum Sprunge bereiten Cobra. Es war gräßlich. Mitten im Zimmer stand aus dem bloßen Lehmboden ein großes tiefes Messingbecken, in dessen Mitte das fahle, blaugrüne Licht wie ein Nachtlicht flackerte. Um das Becken herum schlängelte sich der Mann dreimal. Wie er es fertig brachte, kann ich nicht sagen. Ich konnte sehen, wie sich seine Muskeln am Rückgrat zusammenzogen und dann wieder ebneten, aber sonst vermochte ich nicht die geringste Bewegung wahrzunehmen. Von jener Anspannung und Streckung der Rückenmuskeln abgesehen, schien der Kopf das einzige Lebendige an ihm zu sein. Dschanus Atem flog in beängstigender Weise, Afisun bedeckte sich die Augen mit den Händen, und dem alten Soddhu, der an den Schmutzklümpchen in seinem Barte fingerte, liefen die hellen Thränen aus den Augen. Das Entsetzlichste dabei war, daß das am Boden kriechende, schlängelnde Wesen nicht das geringste Geräusch machte – nur kroch. Und dies dauerte volle zehn Minuten, während der Hund immerfort winselte, Afisun schauderte, Dschanu nach Atem rang und Soddhu weinte.
Ich fühlte, daß sich mir die Haare auf dem Wirbel sträubten, und mein Herz zuckte wie ein galvanisierter Frosch. Glücklicherweise verriet sich der Stempelschneider selbst durch seinen eindrucksvollsten Kunstgriff und gab mir damit meine Ruhe wieder. Nachdem er nämlich die unsagbare Umschlängelung dreimal ausgeführt hatte, streckte er seinen Kopf so weit wie möglich vom Boden ab und spie einen Feuerstrom aus seinen Nüstern. Nun war mir bekannt, wie das Feuerspeien gemacht wird – ich kann es selbst – und ich fühlte mich erlöst. Das Ganze war offenbar ein Betrug. Hätte der Mann sich mit dem Kriechen begnügt und nicht noch die Wirkung zu steigern gesucht, wer weiß, was ich schließlich gedacht hätte. Die Mädchen kreischten beide auf, als sie den Feuerstrom sahen. Hierauf schlug der Kopf mit dem Kinn hörbar auf den Boden, und der ganze Körper lag mit ausgestreckten Armen wie ein Leichnam da.
Jetzt kam eine mindestens fünf Minuten lange Pause, und die blaugrüne Flamme erstarb. Dschanu bückte sich, einen ihrer Fußringe zurechtzuschieben, während sich Afisun der Mauer zuwandte und den Dachshund in ihre Arme nahm. Soddhu streckte unwillkürlich seinen Arm nach Dschanus Huka aus, und sie schob sie mit dem Fuß über den Boden hin. Gerade über dem Körper hingen an der Wand ein paar feurige in Stempelpapier eingerahmte Bildnisse der englischen Königin und des Prinzen von Wales. Sie schauten nieder auf das Schauspiel und steigerten nach meinem Gefühle das Sonderbare der Scene bis zum Gipfel.
Als das Schweigen unerträglich zu werden drohte, wandte sich der Körper herum und rollte von dem Becken fort der Zimmerwand zu, wo er auf dem Rücken liegen blieb. Von dem Becken erklang ein leises Hup – gerade wie wenn ein Fisch nach einer Fliege schnappt – und das grüne Licht flackerte von neuem auf.
Ich sah nach dem Becken hin und erblickte im Wasser schwebend den eingefallenen, runzligen schwarzen Kopf eines kleinen indischen Kindes mit offenen Augen, offenem Munde und glattgeschorenem Schädel. Das war wegen der großen Plötzlichkeit noch schlimmer als vorher das Kriechen. Noch ehe wir Zeit hatten, einen Ton von uns zu geben, begann der Kopf zu sprechen. Auch wer Poes Schilderung der Summe des galvanisierten Sterbenden gelesen hat, kann sich kaum zur Hälfte das Entsetzen vorstellen, das der sprechende Kopf verursachte.
Mit Pausen von einer oder zwei Sekunden kam jedes Wort heraus, und im Klange der Stimme lag etwas Metallisches, wie bei einer tönenden Schelle. Mehrere Minuten syllabierte die Erscheinung langsam, wie im Selbstgespräche, vor sich hin, ehe ich mich des kalten Schweißes erwehren konnte. Dann ging mir, dem Himmel sei Dank, ein befreiender Gedanke auf. Ich schaute auf den neben der Thür liegenden Körper und sah, gerade an der Stelle, wo der Hals mit einer flachen Einsenkung in die Schulter übergeht, beständig einen Muskel zucken, der mit dem gewöhnlichen Atmen eines Menschen nichts zu thun hat. Es handelte sich also um ein Schauspiel nach Art der egyptischen Teraphim, von denen man manchmal liest, und die Stimme war ein Erzeugnis meisterhafter Bauchredekunst. Währenddessen bewegte der Kopf beständig die Lippen und fuhr fort zu sprechen. Er erzählte dem wimmernden Soddhu von der Krankheit seines Sohnes und berichtete genau über dessen Zustand bis zu diesem selben Abend. Ich kann dem Stempelschneider meine Achtung nicht versagen dafür, daß er sich so gewissenhaft an die Zeit seiner Depeschen von Peschawer hielt. Weiter verkündete der Kopf, daß geschickte Ärzte Tag und Nacht über dem Leben des Kranken wachten, und daß er genesen würde, wenn dem mächtigen Zauberer, in dessen Diensten der Kopf in dem Becken stehe, der doppelte Lohn zu teil würde.
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