Ich weiß nicht, warum ich nicht weg bleibe und in Ruhe an einem eignen kleinen Platz im Bazar rauche. Sehr wahrscheinlich würde mich Tsin-ling umbringen, wenn ich fortginge – er zieht ja jetzt meine sechzig Rupien – und dann macht mir's zu viel Mühe, auch ist mir nun mal das Thor der liebste Platz geworden. Es sieht freilich nicht mehr nach viel aus, nicht mehr so wie in der Zeit des Alten, aber von ihm mich trennen könnt' ich nicht. Ich hab' so viele kommen und gehen sehen. Und ich hab' so viele hier auf den Matten sterben sehen, daß ich mich davor fürchte, nun im Freien zu sterben. Ich habe manches gesehen, was den Leuten wunderbar genug vorkommen würde, aber wenn man beim schwarzen Rauch ist, ist nichts wunderbar wie der schwarze Rauch selbst. Und wär's auch wunderbar, so verschlägt's nichts.
Fung-Tsching war sehr eigen mit seinen Kunden und brachte keinen 'rein, der Skandal machte. Aber sein Neffe fragt wenig danach. Überall schreit er aus, er hielte ein feines Haus. Er kann die Leute nicht anständig 'reinbringen und es ihnen behaglich machen, wie's Fung-Tsching machte. Drum wird auch das Thor was mehr bekannt wie früher. Natürlich unter den Schwarzen. Der Neffe wagt gar nicht, einen Weißen oder dafür wenigstens eine Mischhaut herzubringen. Uns drei, mich und die memsahib und den andern Eurasier, muß er natürlich hier lassen. Wir gehören zum Lokal. Aber er würde uns nicht für 'ne Pfeife Kredit geben – nicht um alles in der Welt.
Nächster Tage, hoff' ich, werd' ich im Thore sterben. Der Perser und der Mann aus Madras sind jetzt furchtbar zittrig. Sie müssen 'nen Jungen haben, der ihnen die Pfeifen anzündet. Ich thue das immer selber. So werd' ich sie wohl vor mir 'naustragen sehen. Ich denke nicht, daß ich die memsahib oder Tsin-ling überleben werde. Frauen halten beim schwarzen Rauch länger aus wie Männer, und Tsin-ling hat 'nen Tropfen vom Blute des Alten in sich, obgleich er schlechten Stoff raucht. Die Händlerin wußte zwei Tage vor ihrem Tode, daß sie dran glauben mußte; sie ist doch auf einer saubern Matte mit einem hübschen Wattekissen gestorben, und der Alte hat ihre Pfeife grade über dem Hausgötzen aufgehängt. Ich denke, er hat sie immer gern gehabt. Aber ihr Ohrgehänge hat er doch genommen.
Ich wünschte, ich könnte sterben wie die Händlerin – auf einer reinen kühlen Matte und mit einer Pfeife voll von gutem Stoff zwischen den Lippen, Wenn ich fühle, 's ist aus mit mir, werd' ich Tsin-ling sagen, er soll mir beides geben, und er kann dann meine sechzig Rupien den Monat immer wieder von frischem ziehen, solange er will. Dann werd' ich daliegen, ruhig und behaglich, und zusehen, wie die schwarzen und roten Drachen ihre letzte große Schlacht schlagen, und dann...
Doch was kümmert's mich. Mich kümmert eigentlich gar nichts mehr – nur wünscht' ich, Tsin-ling thäte keine Kleie in meinen schwarzen Rauch.
In Soddhus Hause
Nur einen Steinwurf hier wie dort
Gehn vom gebot'nen Pfad wir fort,
Und eine wilde, sond're Welt
Auf einmal uns umfangen hält.
Werwolf und andre bösen Geister,
Sie werden nächtens mit uns sein,
Denn in das Land geht's jäh hinein,
Wo nur die finstern Mächte Meister.
Vom Düsterland ins Dämmerland.
Soddhus Haus unweit des Talsali-Thores ist zweistöckig, hat vier Fenster, deren Rahmen aus braunem Holze geschnitzt sind, und ein flaches Dach. Man erkennt es an den fünf roten Handabdrücken, die auf der getünchten Wand zwischen den beiden obern Fenstern zu sehen sind. Der Geldverleiher Bhagwan Das und ein Mann, der angeblich sein Brot als Stempelschneider verdient, wohnen im unteren Stocke mit einer ganzen Schar von Weibern, Dienern, Freunden und Klienten. Die beiden oberen Räume bewohnten damals Dschanu und Asisun sowie ein kleiner schwarzgelber Dachshund, den ein Soldat aus dem Hause eines Engländers gestohlen und Dschanu geschenkt hatte. Jetzt lebt Dschanu allein in den oberen Zimmern. Soddhu pflegt auf dem Dache sein Nachtlager zu halten, wenn er nicht etwa auf der Straße schläft. Bei kaltem Wetter ging er wohl nach Peschawer zum Besuche seines Sohnes, der dort beim Edwardsthore Kuriositäten feil hält, und dann fand er seine Nachtruhe unter einem wirklichen Lehmdache. Soddhu ist ein guter Freund von mir, weil ich einmal durch meine Empfehlung dem Sohne seines Vetters die Stelle eines ersten Laufburschen bei einer großen Firma der Station verschafft habe. Soddhu sagt, Gott wird mich bald zu dem Posten eines Gouverneurs erheben. Ich behaupte kühn, daß seine Prophezeiung in Erfüllung gehen wird. Er ist schon sehr, sehr alt mit seinem weißen Haar und seinem fast zahnlosen Munde; auch seine geistigen Fähigkeiten sind ihm verloren gegangen wie fast alles außer der Neigung zu seinem Sohne in Peschawer. Dschanu und Asisun stammen aus Kaschmir und erfreuen sich einer ausgebreiteten Stadtbekanntschaft, doch hat Asisun seitdem einen Studenten der Medizin aus dem Nordwesten geheiratet und führt irgendwo in der Umgegend von Bareilly ein höchst anständiges Leben. Bhagwan Das ist ein Erpresser und Fälscher und sehr reich. Der Mann, der anscheinend vom Stempelschneiden lebt, trägt große Armut zur Schau. Damit sind die vier Hauptbewohner von Soddhus Hause so viel wie nötig gekennzeichnet. Außerdem bin ich natürlich noch da, aber ich bin nur der Chor, der am Ende auftritt, um Erläuterungen zu geben. So zähle ich nicht mit.
Soddhu war nicht übermäßig klug. Während Bhagwan Das nur zu lügen verstand, war der angebliche Stempelschneider der schlaueste von allen außer Dschanu, die außerdem schön war; doch das ist ihre Privatsache.
Soddhus Sohn in Peschawer erkrankte an Lungenentzündung, was den Alten äußerst beunruhigte. Der Stempelschneider hörte von Soddhus Bekümmernis und schlug daraus Kapital. Da er völlig auf der Höhe der Zeit stand, veranlaßte er einen Bekannten in Peschawer, ihm täglich telegraphisch über den Gesundheitszustand des Sohnes zu berichten. Und hier setzt unsere Geschichte ein.
Eines Abends teilte mir der Sohn von Soddhus Vetter mit, der Alte wünsche mich zu sprechen, und da er zu alt und schwach sei, mich aufzusuchen, so würde ich Soddhus Hause eine unvergängliche Ehre erweisen, wenn ich zu ihm käme. Ich folgte der Aufforderung, aber ich denke, Soddhu hätte bei den guten Verhältnissen, in denen er sich damals, wie ich bald sah, befand, etwas Besseres als die fürchterlich stoßende ekka [8]schicken können, um den künftigen Gouverneur in dem schmutzigen Aprilwetter zur Stadt zu befördern. Die ekka lief nichts weniger als schnell, und erst bei voller Dunkelheit machten wir nahe dem Hauptthore des Forts Halt. Hier wartete Soddhu und sagte, ich würde als Lohn für meine Herablassung sicher noch mit schwarzen Haaren Gouverneur werden. Dann sprachen wir eine Viertelstunde unter freiem Himmel vom Wetter, von meinem Befinden, von der Weizenernte und anderem.
Schließlich kam er auf die Hauptsache. Er sagte, Dschanu habe ihm mitgeteilt, daß die Regierung das Zaubern verboten habe, aus Furcht, die Kaiserin von Indien werde eines Tages durch Zauberwerk umkommen. Ich wußte ganz und gar nicht, was das Gesetz in dieser Beziehung vorschrieb, aber ich dachte mir, daß etwas Interessantes in Aussicht stehe. Ich sagte daher, die Regierung sei so weit entfernt, gegen das Zaubern einzuschreiten, daß sie seine Anwendung sogar warm empfehle. Die höchsten Staatsbeamten übten es selbst aus – ich meine in der That, wenn der Finanzminister in seiner Staatshaushaltsrechnung keine Zauberei treibt, so wird nirgends auf der Welt gezaubert. Um ihn noch mehr zu bestärken, fuhr ich fort, wenn irgend ein Zauber im Spiele sei, so würde ich gern meine Billigung dazu geben und darauf sehen, daß es reiner Zauber, weiße Magie, sei und nicht unreiner Zauber, der den Tod bringe. Es dauerte geraume Zeit, bis Soddhu eingestand, gerade zu diesem Zwecke habe er mich bitten lassen.
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