So schnell er nur vermochte, kam er den Berg heraufgerannt.
Aber ein Bär, der ihn erschreckt haben konnte, war nicht zu erblicken. Der Mensch stürzte auf die Veranda zu und brach zusammen, während ihm das Blut aus der Nase schoß und in seinem aschfahlen Gesicht entsetzlicher Schrecken sich ausprägte. Dann kam es mühsam aus seiner Kehle: Ich habe die memsahib gesehen! Ich habe die memsahib gesehen!
Wo? sagte Dumoise.
Da unten, wie ich zum Dorfe ging. Sie trug einen blauen Anzug und hob den Schleier und sagte: Ram Das, sage dem sahib meine Grüße und melde ihm, ich würde ihn nächsten Monat in Nuddea sehen. Dann lief ich fort, denn ich fürchtete mich.
Was Dumoise sagte oder that, weiß ich nicht. Ram Das erzählt, er habe nichts gesagt, sondern sei die ganze kalte Nacht hindurch auf der Veranda auf und nieder gegangen, um auf die memsahib zu warten, und habe seine Arme in das Dunkel hinausgestreckt wie ein Wahnsinniger. Aber keine memsahib kam, und am nächsten Tage ging er weiter nach Simla und richtete jede Stunde von neuem Fragen über die Begegnung an den Führer.
Ram Das konnte nur immer wiederholen, er habe Frau Dumoise gesehen, und sie habe ihren Schleier aufgehoben und ihm die Botschaft aufgetragen, die er getreulich ausgerichtet habe. Bei dieser Aussage beharrte Ram Das. Er wüßte nicht, wo Nuddea liege, hatte keinen Bekannten in Nuddea und würde sicher nie nach Nuddea gehen, und wenn man ihm doppelten Lohn gäbe.
Nuddea liegt in Bengalen und steht außer allem Zusammenhang mit einem im Pendschab angestellten Arzte. Es ist sicher mehr als 1200 Meilen von Meridki entfernt.
Dumoise kehrte ohne jeden Aufenthalt über Simla nach Meridki zurück, wo er seinen Vertreter wieder ablöste. Es gab einige Hospitalrechnungen zu erklären und neuere Anweisungen des Generalarztes zur Kenntnis zu nehmen, so beanspruchte die erneute Übernahme des Amtes den ganzen ersten Tag. Am Abend erzählte Dumoise seinem Vertreter, einem alten Freunde aus der Junggesellenzeit, was ihm in Bagi begegnet sei, und der andre sagte, Ram Das hätte ebensogut Tutieorin wählen können, in dessen Nähe er einmal gewesen sei.
In diesem Augenblick kam ein Telegraphenbote herein mit einer Depesche aus Simla, durch die Dumoise angewiesen wurde, sofort zu einem Spezialdienst nach Nuddea zu gehen. Es war nämlich in Nuddea in heftiger Weise die Cholera aufgetreten, und da die bengalische Regierung wie gewöhnlich Mangel an Ärzten hatte, ersuchte sie um Aushilfe vom Pendschab.
Dumoise reichte das Telegramm über den Tisch und sagte: Nun?
Sein Freund fand kein Wort zur Erwiderung und schwieg. Dann fiel ihm ein, daß Dumoise auf seinem Wege von Bagi durch Simla gekommen sei, und so vielleicht zuvor dort die Berufung veranlaßt habe.
Er wollte danach fragen und seiner Vermutung Worte leihen, als Dumoise ihn mit der Bemerkung zum Schweigen brachte: Hätte ich das gewünscht, so wäre ich niemals von Chini zurückgekommen. Ich habe dort ein Gewehr geführt. Ich will aber noch leben, denn ich habe noch verschiedenes zu thun ... doch es ist mir nicht leid darum.
Der andre neigte sein Haupt und half im Zwielicht Dumoises soeben geöffnete Koffer wieder einzupacken, als Ram Das mit den Lampen hereintrat.
Wohin geht der sahib? fragte der Diener.
Nach Nuddea, antwortete Dumoise mit leiser Stimme.
Ram Das umfaßte Dumoises Kniee und Füße und flehte ihn an, nicht zu gehen; er weinte und wehklagte so lange, bis er aus dem Zimmer gewiesen wurde. Dann suchte er seine Habseligkeiten zusammen und kam noch einmal herein mit der Bitte um seine Entlassung. Er wolle nicht nach Nuddea gehen, um seinen sahib sterben zu sehen und vielleicht selbst seinen Tod zu finden.
So entlohnte Dumoise den Diener und ging allein nach Nuddea; sein Freund sagte ihm wie einem, der zum Tode verurteilt ist, Lebewohl.
Nach elf Tagen war Dumoise mit seiner memsahib wieder vereint, und die bengalische Regierung mußte um eine neue Aushilfe zur Bekämpfung der Cholera in Nuddea ersuchen, die erste lag tot im Stationshaus zu Tschuadanga.
Das Thor der hundert Sorgen.
Wenn ich für eine pice [5]den Himmel gewinnen kann, was willst du mir's mißgönnen?
Sprichwort eines Opiumrauchers.
Nicht von mir stammt das Folgende; mein Freund, Gabral Misquitta, ein Halbblutinder, hat es sechs Wochen vor seinem Tode zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang gesprochen, und seinem Munde entnahm ich es als Antwort auf meine Fragen.
Wo es ist? Zwischen der Kupferschmiedsgasse und dem Viertel der Pfeifenrohrmacher, nur hundert Schritte – einen Krähenflug weit – von der Moschee Wasir Khan. Das kann ich jedem ruhig sagen, und doch wett' ich, er findet das Thor nicht, und wenn er auch denkt, er kenne die Stadt wunder wie gut. Und gehst du hundertmal gerade durch die Gasse, in der es liegt, so wirst du darum nicht klüger. Bei uns hieß die Gasse Schwarzerauchgasse, der eigentliche Name ist natürlich ganz anders. Ein Esel bliebe mit seiner Last zwischen ihren Mauern stecken, und an einer Stelle, grade ehe du zum Thore kommst, müssen die Leute, weil eine Hauswand sich nach vorn ausbiegt, sich alle mit der Seite vorwärts schieben.
's ist auch gar kein Thor, 's ist ein Haus. Zuerst hatte es vor fünf Jahren Fung-Tsching. Er war Schuhmacher in Calcutta. Sie sagen, er habe dort in der Trunkenheit sein Weib erschlagen. Drum ließ er vom Rum und hielt's lieber mit dem schwarzen Rauch. Nachher kam er hier nach Norden 'rauf und eröffnete das Thor als ein Haus, wo man in Ruhe und Frieden seinen Rauch haben kann. Vergiß nicht, es war eine pukka , ein anständiges Opiumhaus, und keine solche dunstige, stinkige Höhle, wie die tschandukhanas , die sich überall in der Stadt finden. Nein, nein; der Alte verstand sein Geschäft aus dem Grunde und war für einen Chinesen höchst sauber. Er war ein einäugiger kleiner Kerl, nicht viel über fünf Fuß hoch, und hatte beide Mittelfinger verloren. Ganz gleich, in meinem Leben habe ich keinen gesehen, der geschickter schwarze Pillen zu drehen wußte. Auch konnte ihm der Rauch nichts mehr anhaben, und was er Tag und Nacht, Nacht und Tag zu sich nahm, das nahm er nur aus Vorsicht. Ich bin fünf Jahre dabei, und ich kann's im Rauchen wohl mit jedem aufnehmen, aber gegen Fung-Tsching war ich darin nur ein Kind. Trotzdem war der Alte scharf, arg scharf hinter dem Gelde her, und in dem Punkte kann ich ihn nicht begreifen. Ich hörte, er hat ein gut Teil zusammengescharrt gehabt, ehe er gestorben ist, aber das hat nun alles sein Neffe, und der Alte ist nach China zurückgebracht, um da sein Grab zu finden.
Das große Oberzimmer, wo seine besten Kunden zusammenkamen, hielt er so sauber wie 'ne blanke Nadel. In einer Ecke stand Fung-Tschings Hausgötze, der fast ebenso häßlich war wie Fung-Tsching selber, und unter der Nase des Götzen brannte immer Räucherholz, aber man roch es gar nicht, wenn die Pfeifen ordentlich in Gang waren. Dem Götzen gegenüber stand Fung-Tschings Sarg. Auf den hatte er ein gut Stück von seinen Ersparnissen verwandt, und kam ein neuer Gast ins Haus, so wurde er immer zu dem Sarge geführt. Er war schwarz lackiert mit roten und goldenen Schriftzügen drauf, und sie sagen, Fung-Tsching hat ihn den ganzen Weg von China mit sich geführt. Ob das wahr ist oder nicht, weiß ich nicht, aber das weiß ich, wenn ich abends kam, breitete ich immer zuerst meine Matte grade zu Füßen des Sarges aus. Das war ein stiller Winkel, siehst du, und ab und zu kam auch von der Gasse so 'n bißchen Luft zum Fenster rein. Außer den Matten waren keine Möbel weiter im Zimmer – nur der Sarg und der alte Götze, der vor Alter und Glanz ganz grün und blau und purpurn aussah.
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