»So treue Wächter hätte ich kaum gebraucht«, rief er höflich und stand von seinem Aste auf, »aber ich will es euch nicht vergessen. Echte Dolen seid ihr; mich dünkt jedoch, ihr gleicht euch alle zu sehr um ein Haar. Deshalb gebe ich dem großen Eidechsenfresser seinen Schweif nicht zurück. Freut dich das nicht, Rothund?«
»Ich selber reiße den Wanst dir aus«, heulte der Führer und kratzte wütend am Stamm des Baumes.
»Aber bedenke doch, weiße Ratte des Dekkan, viele Würfe kleiner, roter schwanzloser Hunde kommen jetzt zur Welt – ja, ja, mit rohen roten Stümpfen, die schmerzen, wenn der Sand heiß ist. Kehre heim, roter Hund, künde überall, daß ein Affe das tat. Du magst nicht? Nun, folge mir, und – weise wirst du werden.«
Nach Affenart schwang er sich auf den nächsten Baum, von da zum nächsten und wieder zum nächsten; das Pack aber folgte ihm mit erhobenen Schädeln. Ab und zu tat er so, als ob er fiele; dann purzelte das Pack wild durcheinander in der Hast, beim Töten zur Stelle zu sein. Es war ein seltsamer Anblick: der Knabe hoch oben mit dem Messer, das in der sinkenden Sonne zwischen den Zweigen blitzte, und unten das schweigende Pack mit den vom Abendschein rötlich flammenden Rücken, das ihm drängend und stoßend folgte. Als er den letzten Baum erreicht hatte, nahm er den Knoblauch und rieb sich über und über gründlich damit ein. Die Dolen unten heulten wütend. »Du Affe mit der Zunge des Wolfes, glaubst du deinen Geruch zu übertäuben? Uns täuschest du nicht, wir folgen dir bis in den Tod.«
»Da, nimm deinen Schwanz zurück!« rief Mogli und warf ihn rückwärts in Richtung des Waldes. Instinktmäßig jagte das Pack ihm nach. »Und nun folgt mir bis in den Tod!«
Rasch glitt er vom Baumstamm hinab und flog wie der Wind barfuß dahin, dem Bienenfelsen zu, ehe die Dolen es merkten.
Tief heulten sie auf und folgten dann in dem langen, springenden Dauergalopp, der alles Lebendige niederrennt. Mogli wußte, daß ihr Packlauf doch viel langsamer war als der der Wölfe, sonst hätte er wohl kaum gewagt, in voller Sicht zwei Meilen vor ihnen her zu laufen. Sicher waren sie, daß der Knabe ihnen doch schließlich zur Beute wurde; und er war sicher, nach Belieben mit ihnen spielen zu können. Seine einzige Sorge war nur, daß er sie in heißer Wut hinter sich hielt, damit sie nicht etwa zu früh von der Fährte abdrehten. Gleichmäßig, geschickt, elastisch wie eine Sprungfeder lief er dahin, der schwanzlose Führer kaum fünf Meter hinter ihm; und ihm nach tobte das Pack, toll und blind vor Blutgier, wohl eine halbe Meile über das Land ausgebreitet. Mit dem Gehör hielt er stets den gleichen Abstand und sparte die letzte Kraft für den Sprung über den Bienenfelsen.
Das kleine Volk war schon bei erster Dämmerung zur Ruhe gegangen, denn die Jahreszeit der spätblühenden Blumen war vorüber; aber als Moglis erste Tritte auf hohlem Boden hallten, hörte er einen Ton, als ob die ganze Erde unter ihm summte und brummte. Da lief er, wie er noch nie in seinem Leben zuvor gelaufen, stieß mit vorbeieilendem Fuß einen – zwei – drei Steinhaufen um, hinab in die dunklen, süßlich riechenden Spalten, hörte ein Brausen wie das Brausen anwogender Springfluten, sah aus dem Winkel des Auges hinter sich die Luft sich verfinstern, sah unter sich tief den wirbelnden Lauf des Waingunga und einen flachen, diamantgeformten Kopf in dem Wasser. Da sprang er mit aller Kraft vorwärts, sah noch den schwanzlosen Dolen in der Luft nach seiner Schulter schnappen – dann stürzte er, Füße voraus, in die Tiefe und erreichte atemlos und triumphierend den rettenden Strom. Nicht ein Stich war an seinem Körper; der Knoblauchgeruch hatte das kleine Volk gerade für die wenigen Sekunden zurückgehalten, die er brauchte, um über die Felsen hinwegzukommen. Als er hochstieg, umfaßten ihn Kaa's Ringe und stützten ihn. Über den Rand aber der Klippen stürzten schwarze Massen hernieder – große Klumpen schwärmender Bienen, die wie Senkblei fielen; aber ehe ein Klumpen das Wasser berührte, flogen die Bienen auf, und der Körper des Dolen wirbelte stromabwärts. Von oben hörte man wütende, kurze Schreie, die im gewaltigen Brausen erstickten – dem Getöse der Flügel des kleinen Volkes von den Felsen. Viele Dolen waren auch in die Spalten geraten, die zu den unterirdischen Höhlen führten, zappelten, schnappten und erstickten unter den ausfließenden Honigwaben; tot wurden sie dann hochgedrückt von den schwellenden Bienenwogen unter ihnen und schossen an irgendeinem Loch an der Stromseite hervor, um aufklatschend in die schwarzen Schutthaufen zu fallen. Andere Dolen sprangen zu kurz, blieben im Gesträuch an der Felswand hängen und waren bald über und über von Bienen bedeckt. Die Mehrzahl aber, durch Stiche rasend gemacht, stürzte sich in den Fluß und – wie Kaa sagte: ein hungriges Wasser war der Waingunga. Kaa hielt Mogli fest, bis der Knabe wieder zu Atem kam.
»Hier dürfen wir nicht bleiben«, sagte er dann, »wahrlich, die kleinen Völker sind schwer gereizt. Komm!«
Tief schwimmend und untertauchend, so oft er konnte, trieb Mogli stromabwärts, das Messer in der Hand.
»Sachte, sachte!« rief Kaa. » Ein Zahn kann nicht Hunderte töten, es sei denn der Zahn einer Kobra. Viele Dolen stürzten sich rasch ins Wasser, als sie das kleine Volk aufbrausen sahen, und die sind unverletzt.«
»Um so mehr also Arbeit für mein Messer. Hai! Wie die kleinen Völker folgen.« Mogli tauchte unter. Über der ganzen Wasserfläche schwebten Wolken tückisch summender Bienen, die alles stachen, was sie fanden.
»Schweigen hat noch niemals geschadet«, sagte Kaa – kein Stachel konnte durch seine Haut dringen –, »und du hast die ganze lange Nacht zur Jagd. Hör, wie sie heulen!«
Beinahe die Hälfte des Packs hatte die Falle rechtzeitig bemerkt, in die ihre Gefährten fielen. Sie bogen rasch seitwärts ab und stürzten sich ins Wasser, da, wo die Schlucht jäh zum Fluß abfiel. Wutgeschrei, Drohung gegen den Baumaffen, der ihnen diese Schande angetan, mischten sich mit dem Geheul und Gejaul derer, die von dem kleinen Volk gepeinigt wurden. Am Ufer zu bleiben, bedeutete sicheren Tod, das wußte jeder Dole. Das Pack wurde von der Strömung fortgerissen, den tiefen Strudeln des Friedensfelsens zu, doch selbst dorthin folgte ihnen das wütende kleine Volk und zwang sie bei Landungsversuchen wieder ins Wasser. Mogli konnte die Stimme des schwanzlosen Führers vernehmen, der den Dolenvölkern befahl, jeden Wolf in Sioni zu töten. Aber er verlor seine Zeit nicht mit Lauschen.
»Hinter uns mordet einer im Dunkeln«, keuchte ein Dole. »Das Wasser hier ist rot gefärbt.«
Mogli war der Otter gleich vorwärts getaucht und zerrte einen zappelnden Dolen unter Wasser, bevor dieser den Rachen zu öffnen vermochte; dunkle, ölige Kreise zeigten sich auf dem Wasser, als der Körper wieder hochkam und, sich drehend, davontrieb. Die Dolen versuchten umzuwenden, die Strömung jedoch war stärker; das kleine Volk stürzte sich auf ihre Köpfe und Ohren; von fern her aber scholl der Schlachtruf des Sionipacks immer lauter und tiefer mit wachsender Dunkelheit. Wieder tauchte Mogli, wieder sank ein Dole unter und stieg tot nach oben; abermals brach das Klagegeschrei aus im Nachtrab der Dolen – manche rieten heulend zur Landung, andere brüllten dem Führer zu, sie heimwärts zu führen, zum Dekkan, wieder andere drohten Mogli Mord und Tod.
»Zum Kampfe kommen sie mit zwei Wänsten und vielen Stimmen«, bemerkte Kaa spöttisch. »Den Rest mögen deine Brüder dort unten besorgen. Das kleine Volk kehrt heim, um zu schlafen. Weit hetzten sie uns. Nun kehre auch ich um, denn mit keinem Wolf bin ich von einer Haut. Gute Jagd, kleiner Bruder, und denke daran, die Dolen beißen immer tief, nicht hoch.«
Ein Wolf lief am Ufer entlang auf drei Läufen, sprang auf und nieder, legte sich flach auf die Seite, krümmte den Rücken und warf sich hoch in die Luft, als ob er mit seinen Jungen spielte. Der Auslieger war es, Won-tolla, er sprach kein Wort und fuhr fort mit dem grausigen Spiele neben den Dolen. Lange waren diese nun schon im Wasser, schwammen ermüdet, ihr Fell war durchweicht und schwer, ihre buschigen Schwänze tropften wie vollgesogene Schwämme – so müde und matt waren sie, daß auch sie schwiegen und nach dem funkelnden Augenpaar starrten, das sie am Ufer begleitete.
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