Sarah atmete hörbar ein.
„Ich halte es nur für fair, wenn ich Sie auch über die weniger angenehmen Seiten des Jobs bereits vorher aufkläre.“
„Oh ja, das ist sehr hilfreich“, bestätigte Sarah.
Graham nahm einen Stift und schrieb etwas auf einen kleinen Zettel, den er dann zu ihr über den Schreibtisch schob.
„Ich möchte Ihnen aber ebenfalls gleich mitteilen, was mir dieser Einsatz wert ist.“
Sarah nahm den Zettel, las die Zahl, die darauf stand und nickte dann.
„Ich denke, das ist ganz fair“, befand sie. „Und wird das Gehalt immer direkt am Anfang des Monats gezahlt?“
Graham lächelte.
„Jeden Montag, die Summe auf dem Zettel wäre ihr wöchentlicher Verdienst, nicht der monatliche.“
Ihre Augen wurden groß.
„Ernsthaft?“
Für dieses Gehalt musste sie mehrere Monate als Detective arbeiten.
„Ja, ernsthaft“, bestätigte er amüsiert. „Also, haben Sie immer noch Interesse?“
„Oh ja, absolut.“
„Gut. Wenn Sie möchten, kann ich Sie ja ein wenig herumführen und Ihnen ein paar Ausstellungsstücke zeigen“, bot Graham an.
„Sehr gern“, entgegnete sie begeistert.
Sie erhoben sich von ihren Sesseln und David Graham hielt ihr – ganz Gentleman - die Tür auf. Als Sarah für einen kurzen Moment seine Hand leicht auf ihrem Rücken spürte, hatte sie das Gefühl, ihr Atem würde stocken. Gleichzeitig breitete sich wieder ein warmes Kribbeln durch ihre Körpermitte aus. Zum Glück war es nur ein flüchtiger Moment und gleich darauf liefen sie nebeneinander den Flur entlang und die Treppe hinunter in die Ausstellungsräume.
„Was halten Sie hiervon?“, fragte Graham lächelnd, als sie vor einer Vitrine standen, in der eine rund zehn Zentimeter hohe Figur aufgestellt war, die grau-grün schimmerte und aus der ein Relief mit einer angsteinflößenden Fratze hervortrat.
Sarah beugte sich vor und betrachtete das Ausstellungsstück aufmerksam. Dann richtete sie sich wieder auf und schaute David Graham ungläubig an.
„Sagen Sie mir nicht, Sie haben die kaufen können? Soweit ich weiß, dürfen die nicht gehandelt werden.“
Ein zufriedenes Schmunzeln huschte über Grahams Gesicht.
„Dann wissen Sie, was das ist?“
Sarah nickte.
„Eine Götterfigur der Maya aus Jade. Ich würde sagen Frühklassik, gut 1500 Jahre alt.“
„Sehr gut“, war Graham beeindruckt. „Das stimmt.“
„Ich habe so eine schon einmal im Met in New York gesehen“, erklärte Sarah und schaute ihn wieder an. „Verraten Sie mir, wo Sie sie her haben?“
David Graham lachte.
„Sie könnten auch eine gute Polizistin abgeben. Sie scheinen ein Talent zu haben, Leute zu verhören.“
Sarah blieb für einen Moment das Herz stehen. Sie war offensichtlich zu sehr aus der Rolle gefallen.
„Oh nein, es tut mir leid, so war das nicht gemeint“, wiegelte sie schnell ab. „Ich bin nur so begeistert. Ich hätte nicht erwartet, so eine Statue außerhalb eines Museums zu sehen.“
„Sie müssen sich nicht entschuldigen. Mir gefällt, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen“, versicherte er ihr. „Diese Statue steht eigentlich auch im Museum, aber ich habe es über meine Kontakte in Honduras geschafft, dass sie für drei Monate hier ausgestellt werden kann.“
„Unglaublich“, murmelte sie überrascht und betrachtete erneut die Figur, während Graham hingegen Sarah bewundernd beobachtete.
„Wollen wir dann weiter? Ich habe da noch etwas für Sie“, unterbrach er nach einigen Minuten die Stille.
Sarah nickte und folgte ihm in einen anderen Raum, wo sie vor einer großen Vase stehen blieben.
„Was meinen Sie dazu?“, wollte er wissen und zeigte auf das Gefäß.
Sarah beugte sich wieder vor und sah sich das Stück aufmerksam an.
„Ist das auch eine Leihgabe?“, fragte sie dann.
„Warum?“
„Weil es sich dann nicht wirklich lohnen würde, sie zurückzugeben.“
„Wie bitte?“
Sie richtete sich wieder auf und zuckte mit den Schultern.
„Das soll eine blau-weiße Mingvase sein, ist aber nur eine Kopie – und nicht einmal eine besonders gute.“
„Ach nein?“, tat Graham verwundert.
„Nein, hier ist deutlich zu sehen, dass die Vase erst nach dem Brennen bemalt wurde, während die echten Mingvasen immer in Unterglasurtechnik hergestellt wurden“, erläuterte sie.
David Graham musste schmunzeln.
„Dann sind Sie sich sicher, dass es eine Fälschung ist?“
Sarah nickte.
„Ja bin ich, und Sie wussten es auch. Habe ich den Test nun schon bestanden oder kommt da noch mehr?“
„Nein, Sie haben bestanden“, lachte er.
„Und wie geht es jetzt weiter?“
„Nun, normalerweise bekommen Sie innerhalb von zwei Tagen Bescheid, ob Ihre Bewerbung angenommen wurde, oder nicht.“
„Aber?“, fragte sie vorsichtig nach.
„Aber da übermorgen Samstag ist, machen wir es anders. Sie kommen am Montag wieder hier her, pünktlich um 9.30 Uhr. Dann haben wir noch eine halbe Stunde Zeit.“
„Was? Wofür?“
„Um den Vertrag zu unterschreiben und die wichtigsten Dinge zu klären, damit Sie auf die Minute genau um 10.00 Uhr Ihren neuen Job als meine Assistentin antreten können.“
Sarahs Augen wurden groß.
„Das heißt, ich habe den Job? Wirklich?“
Er nickte.
„Ja, herzlichen Glückwunsch. Ich denke, Sie werden gut zu uns passen.“
„Danke, vielen Dank!“, rief sie begeistert aus und hatte in diesem Moment vor echter Freude sogar vergessen, dass alles nur ein Undercover-Auftrag war.
David Graham sah sie erneut fasziniert an und lächelte über ihren Gefühlsausbruch.
„Nichts zu danken“, entgegnete er und schüttelte ihr die Hand, wobei ein erneuter Stromschlag sich unvermeidlich in Sarahs Nervenbahnen ausbreitete.
„Es tut mir sehr leid. Ich habe gleich noch einen wichtigen Termin. Ich hätte mich noch sehr gern weiter mit Ihnen unterhalten“, bedauerte er. „Aber ab Montag haben wir ja ausreichend Zeit dazu.“
Sie nickte zustimmend.
„Dann auf Wiedersehen, Sarah.“
„Auf Wiedersehen, Mister … Auf Wiedersehen, David“, verbesserte sie schnell. Er schmunzelte und schaute ihr hinterher, bis sie seinem Blick entschwunden war.
Als Sarah die Galerie verlassen hatte, ging sie über die Straße, direkt in das kleine Café. Sie setzte sich draußen unter einem Sonnenschirm an einen freien Tisch und bestellte sich einen Espresso. Sie musste jetzt unbedingt etwas Starkes trinken, um ihre Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen. Was genau war dort eigentlich in der Galerie passiert? Noch nie hatte jemand so eine Wirkung auf sie gehabt wie David Graham. Jeder Blick, jede noch so kleine Berührung von ihm hatten ihre Gefühle Achterbahn fahren lassen wie bei einem fünfzehnjährigen Schulmädchen.
Der Kellner brachte ihr den Espresso. Sarah bedankte sich, nippte vorsichtig daran und widmete sich weiter ihren Gedanken. Vielleicht lag es ja einfach nur daran, dass sie schon zu lange allein war. Sie hatte zwar Roger, aber das war keine wirkliche Beziehung. Sie gingen ein paarmal im Jahr zusammen aus, tranken etwas und verbrachten dann die Nacht miteinander. Es war nett, unkompliziert, bequem und erinnerte sie ab und zu daran, dass sie nicht nur Polizistin, sondern auch eine Frau war.
Aber das alles konnte nicht annähernd erklären, warum sie so extrem auf ihren Hauptverdächtigen reagiert hatte. Nur die Gedanken an seine dunklen Augen, sein feines Lächeln und die Muskeln, die sich durch den dunklen Stoff seines Hemdes abgezeichnet hatten, erzeugten gerade erneut eine größere Wärme in ihrem Bauch als der dampfend heiße Espresso. Sie musste ihre Empfindungen unbedingt bis Montag in den Griff bekommen. Was würden der Captain und gar Chief Grant davon halten, wenn sie davon erfuhren?
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