Wie sollte nun unsere Haltung Satan gegenüber sein? Diese Frage ist wichtig, da er uns nicht nur vor Gott, sondern auch in unserem eigenen Gewissen anklagt. „Du hast gesündigt und sündigst immer wieder. Du bist schwach, und Gott will nichts mehr mit dir zu tun haben“, lauten seine Anschuldigungen. Wir sind dann versucht, auf uns selbst zu schauen und zu unserer Verteidigung in unserem Gefühl oder Verhalten den Beweis zu finden, daß Satan im Unrecht ist. Oder wir neigen zum anderen Extrem, unsere Hilflosigkeit einzugestehen und in Depression und Verzweiflung zu fallen. So wird die Anklage zu einer der stärksten und wirksamsten Waffe Satans. Er legt uns unsere Sünden vor Gott zur Last, und sobald wir auf seine Anschuldigungen eingehen, verlieren wir den Boden unter den Füßen. Der Grund für unsere Bereitschaft, auf Satan zu hören, liegt darin, daß wir immer noch die Hoffnung hegen, in uns sei doch noch Gerechtigkeit zu finden. Diese Hoffnung ist jedoch grundfalsch, denn auf diese Weise gelingt es Satan, unseren Blick in die falsche Richtung zu lenken. Damit erreicht er, was er wollte: wir sind lahmgelegt. Wenn wir jedoch gelernt haben, nicht auf Fleisch zu vertrauen, wundern wir uns nicht darüber, wenn wir sündigen, denn es ist das Wesen des Fleisches zu sündigen. Versteht ihr, was ich meine? Nur solange wir unsere wahre Natur und unsere Hilflosigkeit noch nicht erkannt haben, setzen wir noch Hoffnung auf uns selbst und liegen darnieder, sobald Satan kommt und uns verklagt.
Gott ist sehr wohl in der Lage, mit unseren Sünden fertig zu werden. Einen Menschen, der die Anklage Satans annimmt, kann Gott jedoch nicht behandeln, weil ein solcher dem Blut nicht vertraut. Das Blut spricht für ihn, doch er glaubt statt dessen dem Feind. Christus ist unser Anwalt, aber wir, die Angeklagten, stellen uns auf die Seite des Verklägers. Wir haben noch nicht erkannt, daß wir nichts anderes als den Tod verdient haben, daß wir, wie wir im folgenden sehen werden, sowieso nur dazu taugen, gekreuzigt zu werden. Wir haben noch nicht erkannt, daß einzig und allein Gott dem Verkläger gegenübertreten kann und daß er dies in dem kostbaren Blut bereits getan hat.
Unsere Rettung besteht darin, daß wir auf den Herrn Jesus schauen und sehen, daß das Blut des Lammes der ganzen Not, die durch unsere Sünden verursacht wurde, bereits begegnet ist. Auf dieser sicheren Grundlage stehen wir. Versucht niemals, Satan euer gutes Verhalten entgegenzuhalten, sondern immer nur das Blut. Ja, es ist richtig, daß wir sündig sind, aber – Gott sei gelobt! – das Blut reinigt uns von jeder Sünde. Gott sieht das Blut an, womit sein Sohn bezahlt hat, und so wird Satan jegliche Grundlage für seine Angriffe entzogen. Einzig unser Glaube an das kostbare Blut und unsere Weigerung, auf irgend etwas anderes zu schauen, können Satan zum Schweigen bringen und ihn in die Flucht schlagen (Röm. 8:33-34), und dies wird auch bis zum Ende so bleiben (Offb. 12:11). Welch eine Befreiung wäre es doch, wenn wir erkennten, welchen Wert das kostbare Blut seines lieben Sohnes für Gott hat!
Wie wir gesehen haben, lassen sich die Kapitel 1 bis 8 des Römerbriefes in zwei Teile gliedern. Im ersten wird uns gezeigt, daß das Blut für unsere Taten vergossen wurde, während wir im zweiten erfahren, daß das Kreuz unser Wesen behandelt. Das Blut brauchen wir zur Vergebung, und ebenso brauchen wir das Kreuz zur Befreiung. Im vorigen Kapitel haben wir uns bereits kurz mit dem Blut beschäftigt, und nun werden wir uns eingehender mit dem Kreuz befassen. Zuvor jedoch wollen wir einige weitere Merkmale betrachten, die den auffallenden Unterschied zwischen dem Inhalt der beiden Teile verdeutlichen.
In den Kapiteln 1 bis 8 werden zwei Aspekte der Auferstehung beleuchtet: einer in Kapitel 4 und der andere in Kapitel 6. In Römer 4:25 wird die Auferstehung des Herrn Jesus im Zusammenhang mit unserer Rechtfertigung genannt: „... welcher um unserer Übertretungen willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt wurde.“ Inhalt dieses Verses ist unser Stand vor Gott. In Römer 6:4 jedoch wird gezeigt, daß uns die Auferstehung neues Leben austeilt, um uns einen heiligen Wandel zu ermöglichen: „... damit, wie Christus aus den Toten auferweckt wurde ..., ebenso auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln sollen.“ Dieser Vers spricht über unser Verhalten.
Auch der Friede ist ein Thema, um das es in beiden Abschnitten geht, nämlich in den Kapiteln 5 und 8. Römer 5 spricht vom Frieden mit Gott als einer Auswirkung der Rechtfertigung durch den Glauben an sein Blut: „Da wir nun durch Glauben gerechtfertigt sind, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm. 5:1). Dies bedeutet, daß Gott nun, da ich Vergebung der Sünden empfangen habe, kein Anlaß zur Furcht mehr für mich sein muß. Ich, der ich ein Feind Gottes war, wurde „versöhnt ... durch den Tod seines Sohnes“ (Röm. 5:10). Sehr rasch stelle ich jedoch fest, daß ich mir selbst die allergrößten Schwierigkeiten bereite. Die Unruhe in mir ist noch nicht gewichen, denn etwas in mir treibt mich zu sündigen. Ich habe Frieden mit Gott, doch den Frieden mit mir selbst habe ich noch nicht gefunden. Vielmehr ist mein Herz der Schauplatz eines regelrechten Bürgerkrieges. Dieser Zustand wird in Römer 7 sehr trefflich beschrieben, wo sich das Fleisch und der Geist in mir in tödlicher Feindschaft gegenüberstehen. Davon ausgehend jedoch wird uns in Kapitel 8 der innere Friede eines Wandels im Geist gezeigt. „Die Gesinnung des Fleisches ist Tod“ , da sie „Feindschaft gegen Gott“ bedeutet, aber „die Gesinnung des Geistes ist Leben und Friede“ (Röm. 8:6, 7).
Zusammenfassend kann man sagen, daß es in der ersten Hälfte im großen und ganzen um die Rechtfertigung geht (Röm. 3:24-26; 4:5, 25), während die zweite Hälfte die daraus folgende Heiligung zum Thema hat (Röm. 6:19, 22). Wenn wir die kostbare Wahrheit der Rechtfertigung durch den Glauben erfassen, haben wir aber immer erst die Hälfte der Wahrheit erkannt. Durch diese Tatsache ist lediglich das Problem unseres Standes vor Gott gelöst. Wenn wir vorangehen, hat Gott mehr für uns bereit, nämlich die Lösung für das Problem unseres Wandels – eine Tatsache, die durch den Gedankengang in diesen Kapiteln betont werden soll. Der zweite Schritt folgt immer auf den ersten. Kennen wir aber nur den ersten, führen wir immer noch kein normales Christenleben. Wie aber können wir ein normales Christenleben verwirklichen? Wie ist dies möglich? Zunächst einmal müssen wir Vergebung der Sünden, Rechtfertigung und Frieden mit Gott haben. Dies ist unser unbedingt notwendiges Fundament. Ist dieses Fundament durch unseren anfänglichen Schritt des Glaubens an Christus einmal gelegt, wird aus den genannten Versen deutlich, daß wir weiter vorangehen müssen.
Das Blut hat objektiv unsere Sünden beseitigt. Der Herr Jesus hat sie für uns als unser Stellvertreter am Kreuz getragen und uns dadurch Vergebung, Rechtfertigung und Versöhnung erworben. Nun aber müssen wir nach Gottes Plan einen Schritt weitergehen und erkennen, wie er mit dem Prinzip der Sünde in uns verfährt. Das Blut kann wohl meine Sünden, nicht aber meinen alten Menschen abwaschen. Dieser muß gekreuzigt werden, und dazu brauche ich das Kreuz. Das Blut beseitigt die Sünden, das Kreuz jedoch muß den Sünder beseitigen.
In den ersten vier Kapiteln des Römerbriefes taucht das Wort „Sünder“ kaum auf, da es nicht in erster Linie um den Sünder selbst, sondern vielmehr um die von ihm begangenen Sünden geht. Der Begriff „Sünder“ taucht erst in Kapitel 5 auf, wobei es aufschlußreich ist, was bei seiner ersten Erwähnung über den Sünder ausgesagt wird. In diesem Kapitel wird deutlich, daß ein Mensch ein Sünder genannt wird, weil er als Sünder geboren wurde und nicht, weil er Sünden begangen hat. Dieser Unterschied ist sehr wichtig. Zwar benutzen Evangelisten, wenn sie einen Menschen auf der Straße davon überzeugen wollen, daß er ein Sünder ist, den sehr bekannten Vers in Römer 3:23, wo es heißt, daß „alle gesündigt haben“ . Diesen Vers so zu verwenden, ist jedoch nach der Schrift nicht ganz zu rechtfertigen, da die Gefahr besteht, das Pferd von hinten aufzuzäumen: Der Römerbrief lehrt nicht, daß wir Sünder sind, weil wir Sünden begehen, sondern daß wir sündigen, weil wir Sünder sind. Durch unser Wesen, nicht durch unser Handeln, sind wir Sünder. In Römer 5:19 heißt es: „Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern gemacht worden sind ...“
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