Wenn Gottes Licht zum ersten Mal in mein Herz hineinscheint und ich erkenne, daß ich vor ihm gesündigt habe, so flehe ich um Vergebung. Habe ich aber einmal Vergebung der Sünden erlangt, mache ich eine neue Entdeckung: die der Sünde. Ich werde gewahr, daß ich nicht nur gegen Gott gesündigt habe, sondern daß auch tief in mir etwas verkehrt ist. Ich trage die Natur eines Sünders in mir, eine Neigung zur Sünde, eine innere Macht, die mich zur Sünde hinzieht. Wenn diese Macht wirksam wird, begehe ich Sünden. Ich mag vielleicht Vergebung der Sünden erbitten und auch erlangen, doch dann sündige ich erneut. So drehe ich mich nur im Kreis von Sündigen, Vergebung, und wieder Sündigen. Zwar erfasse ich dankbar die kostbare Tatsache der göttlichen Vergebung, doch brauche ich mehr: ich brauche Befreiung. Ich bedarf der Vergebung für das, was ich getan habe, aber ich brauche zusätzlich die Befreiung von dem, was ich bin.
Gottes zweifache Antwort: das Blut und das Kreuz
In den ersten acht Kapiteln des Römerbriefes werden uns also zwei Aspekte der Errettung gezeigt: erstens die Vergebung unserer Sünden und zweitens die Befreiung von der Sünde. Darüber hinaus müssen wir aber nun einen weiteren Unterschied erkennen.
Im ersten Teil des genannten Abschnittes wird das Blut des Herrn Jesus zweimal erwähnt (Kapitel 3:25 und 5:9). Im zweiten Teil wird in Kapitel 6:6 ein neuer Gedanke entwickelt, nämlich, daß wir mit Christus gekreuzigt wurden. Zunächst wird also der Aspekt des Werkes des Herrn beleuchtet, der durch das Blut dargestellt wird, das für unsere Rechtfertigung zur Vergebung der Sünden vergossen wurde. Diese Wendungen werden im zweiten Teil jedoch nicht mehr wieder aufgegriffen. Dort geht es hauptsächlich um den Aspekt seines Werkes, der durch das Kreuz dargestellt wird, d. h. durch unsere Einheit mit dem Herrn in seinem Tod, seinem Begrabensein und seiner Auferstehung. Diese Unterscheidung ist wesentlich. Sie zeigt, daß das Blut unsere Taten behandelt, während das Kreuz das behandelt, was wir sind. Das Blut nimmt unsere Sünden hinweg, während durch das Kreuz Hand an die Wurzel unserer Fähigkeit zur Sünde gelegt wird. Auf das letztere werden wir in späteren Kapiteln noch zurückkommen.
Das Problem unserer Sünden
Anhand der folgenden Schriftstellen wollen wir nun zuerst das kostbare Blut des Herrn Jesus Christus betrachten und dessen Wert für uns bei der Behandlung unserer Sünden und unserer Rechtfertigung vor Gott. Dies wird uns in den folgenden Versen gezeigt:
„Alle haben gesündigt“ (Röm. 3:23).
„Gott aber erweist seine Liebe gegen uns darin, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wieviel mehr nun werden wir durch ihn vom Zorn errettet werden, nachdem wir jetzt in seinem Blut gerechtfertigt worden sind!“ (Röm. 5: 8-9).
„Und werden ohne Verdienst gerechtfertigt aus seiner Gnade durch die Erlösung in Christus Jesus: Ihn hat Gott hingestellt als Sühnedeckel durch den Glauben an sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit – weil die vorher geschehenen Sünden durch Gottes Nachsicht ungestraft geblieben waren –, zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, damit er allein gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens Jesu ist“ (Röm. 3:24-26).
In späteren Kapiteln werden wir die wahre Natur des Falles und seine Wiederherstellung genauer betrachten. An dieser Stelle wollen wir uns nur vor Augen führen, daß die Sünde sich bei ihrem ersten Auftreten im Ungehorsam Gott gegenüber äußerte (Röm. 5:19). Vergeßt nicht, daß unmittelbar auf ein solches Ereignis immer Schuldbewußtsein folgt.
Die Sünde tritt als Ungehorsam auf und verursacht zunächst eine Trennung zwischen Gott und dem Menschen, wobei der Mensch von Gott abgeschnitten wird. Gott kann aufgrund des Hindernisses, das in der ganzen Schrift als „Sünde“ bezeichnet wird, keine Gemeinschaft mehr mit dem Menschen haben. So ist es also zunächst Gott, der sagen muß, „daß sie alle unter der Sünde sind“ (Röm. 3:9). Erst an zweiter Stelle verursacht die Sünde, die von diesem Zeitpunkt an ein Hindernis für die Gemeinschaft des Menschen mit Gott darstellt, in ihm ein Schuldgefühl, eine Entfremdung Gott gegenüber. Nun ist sich der Mensch durch sein erwachtes Gewissen selbst bewußt: „Ich habe gesündigt“ (Luk. 15:18). Dies ist aber noch nicht alles, denn die Sünde gibt auch Satan Grund zur Anklage vor Gott, während unser Schuldgefühl ihm Grund zur Anklage in unserem Herzen gibt. Drittens kommt also der „Verkläger unserer Brüder“ (Offb. 12:10) mit ins Spiel, der nun spricht: „Du hast gesündigt.“
Um uns zu erlösen und uns zum Vorsatz Gottes zurückzubringen, mußte der Herr Jesus diese drei Probleme – das der Sünde, das des Schuldgefühls und das der Anklage Satans gegen uns – lösen. Zunächst mußten unsere Sünden beseitigt werden – dies geschah durch das kostbare Blut Christi. Unser Schuldgefühl mußte beseitigt, d. h. unser schuldbeladenes Gewissen beruhigt werden, und dies konnte erst geschehen, als wir die Kraft des Blutes erkannten. Schließlich begegnet das Blut Christi auch den Angriffen und Anklagen Satans. Wir sehen in der Schrift, daß das Blut des Herrn auf allen drei Gebieten wirksam ist – gegenüber Gott, gegenüber dem Menschen und gegenüber Satan.
Die Kostbarkeit des Blutes muß uns deshalb stets bewußt sein, wenn wir vorangehen wollen. Dies ist außerordentlich wichtig. Wir müssen unbedingt erkennen, daß der Tod unseres Herrn Jesus am Kreuz ein stellvertretender Tod war, und wir müssen ebenso die Wirksamkeit seines Blutes für unsere Sünden begreifen. Ohne diese Grundlage können wir als Christen unseren Lauf nicht beginnen. Laßt uns im folgenden diese drei Aspekte genauer betrachten.
Das Blut stellt zuallererst Gott zufrieden
Das Blut bewirkt Versöhnung und betrifft zunächst unseren Stand vor Gott. Wir brauchen Vergebung für die von uns begangenen Sünden, damit wir nicht gerichtet werden. Und sie werden uns tatsächlich vergeben, nicht weil Gott unsere Übertretungen großzügig übersieht, sondern weil er das Blut ansieht. Daher ist die Wirkung des Blutes nicht hauptsächlich auf uns gerichtet, sondern auf Gott. Wenn ich den Wert des Blutes begreifen will, muß ich Gottes Wertschätzung dafür kennen. Wenn ich mir nämlich des Wertes, den Gott dem Blut beimißt, nicht bewußt bin, kann ich auch niemals seinen Wert für mich erfassen. Erst wenn mir durch seinen Heiligen Geist Gottes Wertschätzung für das Blut Christi offenbart wird, nützt es auch mir selbst und ich erkenne, wie kostbar das Blut auch für mich ist. Das Blut wirkt also zunächst einmal Gott gegenüber. Im ganzen Alten und Neuen Testament wird das Wort „Blut“ immer in Verbindung mit der Sühnung verwendet, ich glaube über hundert mal, und jedesmal wirkt es Gott gegenüber.
Im alttestamentlichen Kalender gibt es einen Tag, der eine große Auswirkung auf die Sünden hatte, nämlich der Versöhnungstag. Das Problem unserer Sünden wird nirgends so klar dargestellt wie in der Beschreibung dieses Tages. In 3.Mose 16 sehen wir, daß das Blut des Sündopfers am Versöhnungstag ins Allerheiligste gebracht und dort siebenmal vor dem Herrn gesprengt wurde. Über die Bedeutung dieser Tatsache müssen wir uns im klaren sein. An jenem Tag wurde das Sündopfer öffentlich im Vorhof der Stiftshütte geschlachtet. Jedermann konnte dabeisein und zuschauen. Der Herr befahl jedoch, daß in die Stiftshütte selbst kein Mensch außer dem Hohenpriester eintreten sollte. Einzig der Hohepriester durfte das Blut ins Allerheiligste bringen und es dort zur Versöhnung vor dem Herrn sprengen. Warum? Weil der Hohepriester ein Bild auf den Herrn Jesus in seinem Erlösungswerk ist (Hebr. 9:11-12), der diese Arbeit tat. Er war der einzige, der hineingehen durfte. Das Blut, das er zu Gott hineintrug, hatte Gott angenommen als etwas, das ihn zufriedenstellen konnte. Dieses Ereignis fand einzig und allein zwischen dem Hohenpriester und Gott im Allerheiligsten statt und war den Augen der Menschen, die doch den Nutzen davon haben sollten, verborgen. So wollte es Gott. Aus diesem Grund ist das Blut zunächst einmal nicht für uns, sondern für Gott.
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