»Das ist kein Sport«, wiederholte sie immer wieder. »Das ist ein Skandal, ein schmutziger Skandal.«
»Laß uns sehen, dass wir hier fortkommen«, sagte Billy. »Das ist nur der Anfang.«
»Nein, wart ein bisschen«, bat Bert. »Das ist seine acht Dollar wert. Es ist billig, einerlei, was es kostet. Ich habe lange nicht so viel blaue Augen und blutige Schnauzen gesehen.«
»Schön, dann geh wieder hin und amüsiere dich. Ich nehme die Mädchen mit auf die Anhöhe. Von dort können wir gut sehen. Aber ich gebe nicht viel für deine schönen Augen, wenn die Irländer dich zu fassen kriegen.«
Im Laufe verblüffend kurzer Zeit hatte der ganze Lärm sich gelegt. Auf der Richtertribüne neben der Arena brüllte der Ausrufer, dass jetzt die Wettläufe für Knaben begännen. Bert, der sehr enttäuscht war, kam auf die Anhöhe, wo Billy mit den beiden Mädchen stand und in die Arena hinuntersah.
Es gab Knabenlaufen und Mädchenlaufen, Laufen für junge Frauen und alte Frauen, für dicke Männer und dicke Frauen, Sacklaufen und Dreibeinlaufen, und die Teilnehmer jagten um die kleine Arena herum, während die Helfer wie wahnsinnig schrien. Das Tauziehen war schon vergessen. Gute Laune herrschte überall.
Fünf junge Leute traten an den Startpfahl, beugten sich, dass die Fingerspitzen den Boden berührten, und warteten in dieser Stellung auf den Pistolenschuss des Starters. Drei von ihnen trugen Socken, die beiden andern Laufschuhe mit Stacheln.
»Lauf für junge Männer«, las Bert aus dem Programm vor. »Und nur ein Preis – fünfundzwanzig Dollar. Seht den Rothaarigen mit den Stacheln – den äußersten. Auf den hält San Francisco. Er ist Favorit, es ist eine Menge auf ihn gewettet.«
»Wer gewinnt, glaubst du?« wandte Mary sich zu Billy als dem Sportkundigsten.
»Was weiß ich?« antwortete er. »Ich habe keinen von ihnen je gesehen. Aber sie sehen eigentlich alle gut aus.«
Der Revolver wurde abgefeuert, und die fünf Läufer schossen davon. Drei blieben schon am Start zurück. Der Rothaarige übernahm die Führung, einen schwarzhaarigen jungen Mann dicht auf den Fersen. Es war klar, dass die Entscheidung zwischen diesen beiden fallen musste. Auf halbem Wege übernahm der Schwarzhaarige die Führung mit einem Spurt, den er offenbar entschlossen war, bis zum letzten Augenblick zu halten. Er gewann zehn Fuß, und der Rothaarige vermochte nicht einen Zoll einzuholen.
»Das ist ein tüchtiger Kerl«, erklärte Billy. »Und er gebraucht nicht einmal alle seine Kräfte, während Rotschopf bald erledigt ist.«
Unter wildem Hurrageschrei passierte der Schwarzhaarige das Ziel, immer noch mit zehn Fuß Vorsprung. Aber plötzlich begannen sie zu pfeifen und zu heulen. Bert war ganz außer sich vor Begeisterung.
»Na ja, na ja«, jubelte er. »Jetzt rast Frisko. Gleich gibt es hier Feuerwerk, passt nur auf. Seht, sie haben Protest eingelegt. Der Schiedsrichter weigert sich, ihm das Geld auszuzahlen. Und die ganze Bande versammelt sich um ihn. Oh! Oh! Oh! Seit meinem Beinbruch habe ich mich nicht mehr so gut amüsiert.«
»Warum wollen sie ihm das Geld nicht geben, Billy?« fragte Saxon. »Er hat doch gewonnen.«
»Die Friskopartei behauptet, dass er Professional sei«, erklärte Billy. »Darüber zanken sie sich. Aber das ist Unsinn. Sie laufen alle für Geld, sind also alle Professionals.«
Die Menge wogte, stritt und brüllte vor der Richtertribüne. Die Tribüne war ein wackliger zweistöckiger Bau, dessen oberer Stock nach vorn offen war, und hier konnte man die Richter ebenso leidenschaftlich diskutieren sehen, wie die Menge darunter.
»Jetzt geht's los!« brüllte Bert. »Ach, du Bandit!«
Mit Hilfe von einem Dutzend Kameraden kletterte der schwarzhaarige Läufer zu den Richtern hinauf.
»Der Preisverteiler ist auf seiner Seite«, sagte Billy. »Seht, er gibt ihm das Geld, und einige Richter sind für ihn, und andere protestieren. Und da haben wir die von der Gegenpartei – von der Rotschopfs.« Mit beruhigendem Lächeln wandte er sich zu Saxon. »Es ist gut, dass wir diesmal nicht dazwischen sind. In einem Augenblick gibt es eine schlimme Geschichte dort unten.«
»Die Richter versuchen, ihn dazu zu bringen, dass er das Geld wiedergibt«, erklärte Bert. »Und wenn er das nicht tut, nehmen die andern es ihm weg. Ach, jetzt versuchen sie, es zu nehmen.«
Hoch über seinem Kopf hielt der Gewinner die Papierrolle mit den fünfundzwanzig Silberdollar. Seine Kameraden hatten einen Kreis um ihn gebildet und stemmten denen, die sich des Geldes bemächtigen wollten, die Schultern entgegen. Schläge waren noch nicht gefallen, aber das Getümmel wuchs, so dass das gebrechliche Gebäude zitterte und schwankte. Aus der Menge tönten dem Gewinner lärmende Zurufe entgegen: »Gib es zurück, Köter!« »Halt fest, Tim!« »Du hast gewonnen, Timmy!« »Gib es zurück, du dreckiger Räuber!« Unnennbare Injurien wie freundschaftliche Ratschläge wurden ihm zugeheult.
Der Lärm wurde immer wilder. Tims Kameraden kämpften, um ihn oben zu halten, so dass seine Hand beständig über den vielen Händen, die nach ihr schnappten, erhoben blieb. Für einen Augenblick wurde sein Arm herabgerissen. Dann kam er wieder hoch, aber das Papier war zerrissen, und mit einer letzten verzweifelten Anstrengung schleuderte Tim das Geld wie eine silberne Woge über die Köpfe der Menge. Dann folgte eine lange Zeit, in der man sich stritt und zankte.
»Ich wünschte, sie würden aufhören, dass wir tanzen könnten«, klagte Mary. »Das macht keinen Spaß.«
Langsam und mühevoll war die Richtertribüne schließlich geräumt worden. Ein Ausrufer trat an den Rand der Tribüne und hob die Arme als Zeichen, dass er Schweigen wünsche. Das zornige Rufen legte sich.
»Die Richter haben beschlossen«, rief er, »dass dieser Tag der guten Kameradschaft und Brüderlichkeit gewidmet ist –«
»Hört! Hört!« Viele der Gemäßigten applaudierten.
»Und deshalb«, ertönte die Stimme des Ausrufers wieder, »haben die Richter beschlossen, einen neuen Preis von fünfundzwanzig Dollar auszusetzen und den Lauf noch einmal stattfinden zu lassen!«
»Und Tim?« grölten Dutzende von Stimmen. »Was wollt ihr mit Tim machen?« »Er ist betrogen worden!« »Die Richter betrügen!«
Wieder streckte der Ausrufer die Arme hoch, und der Lärm legte sich.
»Um Frieden und Verständnis wiederherzustellen, haben die Richter beschlossen, dass Timothy McManus an dem Lauf teilnehmen darf. Wenn er gewinnt, gehört das Geld ihm.«
»Ist das nicht blöd?« brummte Billy gekränkt. »Wenn Tim jetzt gut genug ist, so war er es auch das erste Mal. Und wenn er das erste Mal gut genug war, so gehörte das Geld ihm.«
»Diesmal wird Rotschopf aus lauter Anstrengung sich selber in die Luft sprengen«, triumphierte Bert.
»Ja, und Tim sich auch«, antwortete Billy. »Du kannst dich darauf verlassen, dass er wütend ist, und diesmal wird er sich ganz ausgeben.«
Eine Viertelstunde verging damit, die erregte Menge aus der Arena zu schaffen, und diesmal stellten sich nur noch Tim und Rotschopf am Startpfahl auf. Die andern drei hatten den Kampf aufgegeben.
Tim übernahm die Führung am Start mit einer Elle Vorsprung.
»Ja, gewiss ist er Professional, und zwar durch und durch«, meinte Billy. »Seht, was er leistet!«
Um die halbe Arena behielt er die Führung, indem er seinen Vorsprung bis zu einem Dutzend Schritt vergrößerte. Jetzt kam er, immer diesen Abstand haltend, mit voller Geschwindigkeit auf das Ziel los, als – gerade unterhalb des Hanges, wo Billy und seine Gesellschaft standen – etwas Unglaubliches und Undenkbares geschah. Dicht neben der Arena stand ein junger Mann mit einem dünnen Spazierstock in der Hand. Er gehörte offenbar nicht mit zu den Festteilnehmern, denn nichts an ihm deutete auf einen Arbeiter. Hinterher behauptete Bert, dass er eher nach einem Tanzlehrer ausgesehen hätte, während Billy ihn einen »Stutzer« nannte.
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