Selbstverständlich! Völlig perplex sagte er zu. Mirando verstand nichts mehr. Er sollte – mit Frau Escortin? In ein Café? In einer Kleinstadt? Wo alle alles sofort wussten? Unmöglich. Jetzt wand er sich wie ein Wurm um eine passende Ausrede herum. Aber es fiel ihm keine ein. Eigentlich sollte er hingehen. Wenn sie die Gattin eines einflussreichen Mannes war, warum eigentlich nicht, wenn dieser schon nichts von ihm wissen wollte? Vielleicht führte der Weg nach oben eben über Anica Escortin?
Er sah sich ihre in auffallend glänzenden Seidenstrümpfen steckenden, etwas stärkeren, bananenförmigen Unterschenkel an. Er dachte an ihren feisten, mehr oder weniger festen Hintern und daran, dass sie es wohl sehr gerne machen würde. Vielleicht sogar mit ihm. Und sie war ein Weib, dachte er, ein Weib, nicht so eine Gespensterheuschrecke wie diese – diese Künstlerin dort hinten bei den alten, geilen Böcken, die ganz bestimmt nicht nur wegen deren Bilder um sie herumstanden, sondern weil sie die Leichtlebigkeit suchten, die sie repräsentierte, das Wildhafte, das zum Abschuss Freigegebene.
Und alle – alle waren sie doch noch immer ein klein wenig Jäger geblieben, in ihrem Innersten zumindest, auch wenn sie in geheizten, weich gepolsterten Autos durch die Gegend fuhren, Natur meist nur durch die Windschutzscheiben konsumierten und gewohnt waren, die liebliche Landschaft ausschließlich von der Terrasse eines Haubenlandgasthofes aus zu betrachten. Aber man hatte auch irgendwie Angst und einen gewissen Respekt vor dieser Biologie, vor dem Wilden, dem Ungezähmten, das in einem selbst jederzeit durchbrechen könnte. Gepaart mit der Vorliebe für fettreiche, süße, gekochte und fleischhaltige Kost, was ihnen, den einstigen Jägern und Sammlern, in dieser Form erhalten geblieben war.
Vielleicht lag darin der Grund, sich manchmal so völlig willenlos dem Fastfood hinzugeben.
Natürlich, wenn sie es wünschte, lachte Mirando verlegen, als er seine kleine Abwesenheit bemerkt hatte. Ja, wenn ihr Gatte nichts dagegen hätte … sie sollte ihn nicht falsch verstehen … Er solle ihren Gatten aus dem Spiel lassen, ja? Das wäre eine Sache zwischen ihr und ihm, fuhr ihn Frau Escortin beinahe zornig an. Ihren Denis hätte das gar nicht zu interessieren. Seine einzige Aufgabe ihr gegenüber wäre es einzig und allein, den Versorger zu geben. Und, er solle sich gefälligst mehr um seinen Betrieb kümmern, das könne er besser.
Dabei kniff sie eines ihrer geschlitzten Lider auf und zu in der Hoffnung, Mirando würde verstanden haben. Und er hatte verstanden!
Sie und ihr Gatte wären sehr verschieden. Ihr Gerechtigkeitsgefühl sei äußerst ausgeprägt, erklärte sie Mirando. Ihres Gatten Status hingegen wäre ihr ungemein wichtig, und das wiederum würde sich bei ihm in Kauflust niederschlagen, die sie für sich zu nutzen verstünde. Man müsse immer beide Seiten sehen. Sie lachte schallend. Er sollte sich merken, Menschlichkeit wäre eine Haltung, wie sollte sie es besser sagen? Übertrieb man sie, wäre sie bloß noch ein Werkzeug der Willkür wie auch des Gnadenaktes. Und wem nützte das schließlich? Und jetzt möge er sie bitte entschuldigen. Man sähe sich demnächst, raunte sie Mirando zu, und öffnete ihre Sehschlitze so weit wie möglich, um sie gleich darauf wieder in ihre alte Position zu bringen, woraufhin sie, trotz ihres nicht allzu geringen Gewichtes, scheinbar schwerelos hinüber zur Gattinnengruppe schwebte.
Solche Gruppen wurden gewöhnlich durch gemeinsame Rituale, Mythen und Emotionen zusammengehalten, was ihnen häufig zu einer Art Binnenmoral verhalf, um ihr manchmal so plötzliches, im Grunde oftmals unerklärliches, aggressives Auftreten nach außen hin nachhaltig zu unterstützen, wenn es darum ging, unerwünschte Personen davon abzuhalten, sich zwischen sie zu drängen, wie es eben jetzt gerade Stefanie Raymundo in ihrer gewohnt selbstbewussten Art versuchte. Stefanie war eine Freundin der Künstlerin, vielleicht ein wenig mehr, niemand wusste es so genau und sie war als Besitzerin einer Geschenkboutique bekannt, mehr nicht. Aber hübsch war sie, schlank, brünett, auffallend anders gekleidet mit einem wippenden Hüftschwung, der auffiel.
Die Gatten und der Bürgermeister stoppten augenblicklich ihre Debatten und starrten auf die soeben auf die Gruppe der Gattinnen zuschreitende ungewöhnlich attraktive Gestalt. Die Gruppe begann sich sofort zu formieren, ringförmig, eine Menschenmauer gegen den an Jugend, Elan und Ausstrahlung weit überlegenen Feind von außen. Köpfe neigten sich vornüber, zusammen, flüsterten. Hände umschlossen den rechten und linken Partner und hielten zusammen, was mit allen Mitteln zusammengehalten werden musste. Sie wäre nie in dem Geschäft gewesen, sagte eine der Gattinnen. Oh doch, einmal wäre sie dort gewesen, sagte eine andere. Sie hätte etwas für ihre Nichte gesucht. Einen barockisierten Bilderrahmen habe sie gekauft. Sie wäre eigentlich ganz nett gewesen, diese Frau Stefanie, habe sie gefunden, meinte eine Dritte bedenkenlos.
Wie auf Kommando standen die Gattinnen mit einem Male wieder gerade und straften die Sprechende mit bösen Blicken. Zu der? Da fuhr sie schon eher in die Stadt, als dass sie dort was kaufte, sagte eine andere und blickte vorsichtig über ihre eigene Schulter, um zu sehen, wie weit die Eindringende schon vorgerückt wäre. Sie würden nie hier im Ort einkaufen. Man würde schon lieber in den Gewerbepark fahren. Dort wäre man anonymer. Hier würde man doch jeden sofort erkennen. Und wenn man was anhätte, was man hier gekauft hatte, wüsste jeder hier auch gleich, was es gekostet hätte. Eben, sagte die erste. Drum kauften sie gar nicht erst hier!
Die kluge Stefanie, auf ihrem Direktkurs hin zur weiblichen Oberschicht der vereinigten Kirchenbankdrückerinnen des Ortes, roch den Braten sofort, als sie die Phalanx des Gattinnenkollektivs vor sich formieren sah, und improvisierte klugerweise eine scharfe Linkskurve, in deren Auslaufphase sie direkt auf Rembert Mirando zusteuerte, der schon seit Wochen hinter ihr her war und den sie bis jetzt eigentlich kaum beachtet hatte. Heute aber sollte er Gelegenheit bekommen, sich zu beweisen. Genug dumme Anspielungen hatte sie ja bereits über sich ergehen lassen müssen. Erst neulich, als er zwischen zwei Gemeinderatssitzungen so rein zufällig in ihren Laden gekommen war, mit seinem dämlichen Grinsen, und sie auf der Leiter gestanden hatte, um einer Kundin eine Vase herunterzureichen, da hatte er gemeint, wenn das Übrige an ihr auch so zum Anbeißen aussähe wie ihre Beine, dann würde er öfter herkommen, dieser Affe! Aber bitte, wenn er es unbedingt wollte, sollte er hier und jetzt haben, was er brauchte.
Da kam ihr Mirando auch schon süßlich anschleimend entgegen und flötete freudig überrascht, oh, das Fräulein Stefanie wäre auch hier! Das sei aber eine Überraschung. Leider gäbe es keine Leiter hier, die sie besteigen könne, aber ihr aufreizendes Dekolleté schiene ihm diesmal ein würdiger Ersatz für die fehlenden … Stefanie Raymundo fiel ihm sofort unfreundlich ins Wort, indem sie sagte, sie glaube nicht, dass das hier und heute angebracht wäre, und ob er das nicht auch fände? Auf derartige Anmache wäre sie überhaupt nicht scharf, und ob er verstanden hätte, fragte sie gereizt.
Das hatte fürs Erste gesessen. Mirando zog den Schwanz ein und blies zum Rückzug, etwas rot im Gesicht, in welchem sein ewig dämliches Lächeln erstarrt zurückgeblieben war. Der Bürgermeister und der dicke Escortin standen zufällig in ihrer Nähe. Mirando tat einen Schritt näher zu ihnen hin. Stefanie Raymundo rückte unauffällig nach.
Sie hätten ja schon viele Ausstellungen hier gehabt, begann der Bürgermeister wichtig, die meisten Künstler glauben, sie müssten ihre Arbeiten unbedingt der Zeit anpassen. Dadurch gestalteten sie das ganze Theater noch schriller, noch effektvoller, seinetwegen noch multimedialer, wenn man so wollte, dabei hätte es das alles schon einmal gegeben, betonte er.
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