Im Büro haben gegenüber jetzt die Bauarbeiten begonnen. Ein Höllenlärm. Wenn ich dran denke, dass das jetzt zwei Jahre so gehen soll ...
Eigentlich auch egal, denn im Geschäft läuft nach wie vor nicht viel. Meistens komme ich spät und gehe früh. Telefon habe ich natürlich aufs Handy umgestellt, sodass es nicht auffällt. Hänge dann schon nachmittags in Cafés und Bistros herum, wo die Leute kaum noch miteinander, sondern mit ihren Handys reden. Der Klingeltonterror wird immer bescheuerter: Märsche, Polizeisirenen, Rülpser – warum nur gibt’s dieses Programm, das wirklich jeden Laut, den Menschen produzieren, in Klingeltöne verwandeln kann?
Immerhin: Wir haben endlich die Schusterstraße verkauft.
Was das Skypen angeht: Ich finde, wir sollten konsequent bleiben. Und uns erst in einem Jahr wiedersehen. Denn dann werden wir sozusagen auf den ersten Blick wissen, ob wir noch zueinander passen. Wenn ich mich bis dahin in einen Sumo-Ringer verwandelt habe – mein Pech. Und deins.
Entweder funkt noch mal was, wenn wir uns wiedersehen, oder nicht. Ist doch auch in Ordnung so, so müssen wir anschließend nichts mehr „aufarbeiten“. Mein Gott, wie ich allein schon dieses Wort hasse.
Von:sundowner
Betreff:Gute Nacht!
Datum:7. Mai 2011 23:57:08 MESZ
An: meretseger
Lieb(st)e meretseger,
ich hoffe, ich werde nicht wieder zu persönlich, wenn ich Ihnen eine Gute Nacht wünsche.
Und gestatten Sie mir, Ihnen darüber hinaus mitzuteilen, dass auch ich ein wenig enttäuscht bin. Denn wenn ich irgendwas gesagt – ich meine natürlich: geschrieben – habe, was Sie verärgert hat, sollten Sie mich wenigstens darauf hinweisen. Damit ich eine Chance habe, mich zu bessern. Oder haben Sie bereits mit mir abgeschlossen? Deutet Ihr „Sie scheinen es nicht begriffen zu haben. Schade eigentlich ...“ etwa darauf hin?
Das kann doch nicht sein! Nicht nach dem, was wir miteinander erlebt haben!
Geben Sie mir daher doch bitte die Gelegenheit, Sie zu verstehen. Auch ich kann noch dazulernen. Ich habe mich auf das Spiel – o Gott, hoffentlich machen Sie mich jetzt nicht nieder, weil ich es „Spiel“ nenne – ganz zu Ihren Bedingungen eingelassen, und gestern Abend hatte ich den Eindruck, dass ich es durchaus zu Ihrer Zufriedenheit spielen kann.
Was für ein Wort in diesem Zusammenhang! „Zufriedenheit“! Zufriedenheit? Es war doch nicht zu unserer Zufriedenheit – es war ein Traum, der Himmel auf Erden, ein Ausflug ins Paradies!
Oder irre ich mich? Kanzeln Sie mich jetzt als Großmaul ab, weil ich „es“ dermaßen überschätze, weil ich Ihren Ansprüchen längst nicht so genügte wie Sie meinen?
„Ansprüche“! Was für ein Wort!
War es für Sie etwa nicht überwältigend, etwas Einzigartiges, etwas, was zwischen zwei Menschen nicht beliebig wiederholbar ist?
Dann verzeihen Sie, verzeihen Sie, verzeihen Sie meine Fehleinschätzungen, meine Unterwürfigkeit, meine Angst, „meine Felle“ könnten davonschwimmen, verzeihen Sie noch diese letzten drei Male, es geht mir wirklich nur darum, Sie zu ein paar Worten der Aufklärung zu bewegen.
Von:bigapple
Betreff:Re-2: Hi!
Datum:8. Mai 2011 15:05:37 MESZ
An: boe@oettingerundpartner.de
Auch wenn Dir Jens und Nike auf die Nüsse gehen und ich jetzt wahrscheinlich auch tue: Du solltest tatsächlich aufpassen, dass Du nicht vereinsiedelst. Dass die anderen Paare, die mit uns befreundet sind, sich bei Dir jetzt nicht mehr so melden, ist doch ganz normal: Sie wissen mit Dir als Einzelperson nichts anzufangen. Du solltest vielleicht mal wieder die Kontakte zu Deinen Singlefreunden aufleben lassen, damit Du unter die Leute kommst. Oder flirten.
Wir haben doch lang und breit darüber gesprochen, oder? Es ist in Ordnung. Wir haben vereinbart, dass wir jetzt für ein Jahr getrennte Wege gehen. Mit allen Konsequenzen. Also leg los. Glaub mir, ich tu’s auch. Oder werde es tun, sobald ich die Zeit dazu habe.
Du hast es doch gut, Du hast einen Job, in dem Du fast jeden Tag Frauen kennenlernst, die gerade wieder Single werden.
Die Schusterstraße ist endlich verkauft, nach fast zwei Jahren? Das ist doch großartig. Wem hast Du die denn angedreht? Gratuliere jedenfalls.
Dass Du geschrieben hast, „ wir haben die Schusterstraße verkauft“, ist hoffentlich unbewusst geschehen, und war kein Signal, das Du bewusst setzen wolltest.
Von:boe@oettingerundpartner.de
Betreff:Re-2: Hi!
Datum:8. Mai 2011 10:35:42 EDT
An: bigapple
Darf ich denn eigentlich auch so etwas wie ein Berufsethos haben? Weißt Du, wie schäbig ich mir vorkommen würde, würde ich eine meiner Kundinnen anbaggern? Übrigens: Ich hatte zuerst „unserer“ geschrieben, dann aber durch „meiner“ ersetzt, weil ich weder bewusst noch unbewusst Signale setzen will.
Was tue ich denn mein Leben lang, beziehungsweise: haben wir beide jahrelang getan? Wir haben Menschen geholfen, eine gemeinsame Wohnung zu finden, in der sie zusammenleben wollten, nachdem sie zueinander gefunden hatten, oder geholfen, neue vier Wände für sich allein zu finden, nachdem sie sich wieder getrennt hatten. Oder wir haben ihnen geholfen, ihre Behausungen loszuwerden.
Ein Scheißspiel ist das, wenn Du mich fragst. Bei manchen wiederholte es sich gleich mehrmals. Und bei einigen, denen wir in eine gemeinsame Wohnung halfen, hatte ich schon bei der ersten Begegnung den Eindruck, ich sehe einen Film, dessen Ende ich schon kenne. Mit den Jahren hatte ich dieses Gefühl immer öfter.
Du willst wissen, wer die Schusterstraße gekauft hat? Ein viel zu fetter Mann und mit einer viel zu hübschen Frau. Beide mit viel zu wenig Geschmack. Sie hat sich für den begehbaren Kleiderschrank begeistert, er für die Nähe zum Park, weil er sich endlich angewöhnen will, regelmäßig zu joggen. Mit den beiden wird es zu Ende sein, noch bevor er die Bude auch nur zur Hälfte abbezahlt hat.
Angenommen, ich griffe in dieses Scheißspiel aktiv ein, indem ich was mit ihr anfinge. Wäre das nicht so, als störte ich einen zwar idiotischen, aber dennoch festgefügten Ablauf, eine Art Ordnung, vielleicht ja sogar eine gottgewollte?
Unsere Aufgabe in dem Scheißspiel ist es, es am Laufen zu halten, sonst nichts. Das ewige Wechselspiel zwischen Zusammenziehen und Sich-wieder-Trennen im Fluss zu halten und den handelnden Personen die jeweils passenden Unterkünfte zu besorgen. Dabei haben wir neben dem Spielfeld zu stehen und freundlich zu lächeln.
Davon abgesehen: Ist es nicht auch einer Deiner Grundsätze, nie was am Arbeitsplatz anzufangen?
Aber mach Dir keine Sorgen: Ich kann mich auch auf anderen Spielfeldern bewegen. Ich vereinsiedele schon nicht. Ganz bestimmt nicht.
Ganz bestimmt nicht!
Von:bigapple
Betreff:Re-3: Hi!
Datum:8. Mai 2011 16:49:51 MESZ
An: boe@oettingerundpartner.de
Nun ja – angesichts des Unsinns, den Du da zusammenschwadronierst, muss ich wohl davon ausgehen, dass Du einen im Tee hast. Bei Euch ist es gerade wie spät? Später Nachmittag? Früher Abend? Ganz schön früh jedenfalls, um schon angeschickert zu sein. Und das deutet doch eher darauf hin, dass Du doch bereits am Vereinsiedeln bist. Von wegen, schon am Nachmittag in Cafés und Bistros rumhängen.
Ich kenne ja auch die Phasen, die Du mit steigender Promillezahl durchläufst. Eine Zeit lang bist Du richtig witzig, dann wirst Du zynisch. Jetzt hast Du die Grenze zum Zynismus schon überschritten, und das um diese Uhrzeit. Besorgniserregend.
Andererseits: Dieses „Ganz bestimmt nicht“, und dann auch mit Wiederholung und mit Ausrufezeichen, das klingt, als wolltest Du was andeuten. Oder? Jetzt hast Du mich neugierig gemacht. Hast Du was am Laufen?
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