»Keine Sorge, er hat mich nicht kommen sehen.«
»Ja, aber sonst jeder im Werk, und das sollte genügen, dass er zwei Minuten nach deinem Eintreffen am Werkstor informiert war. Vielleicht solltest du jetzt auch wieder gehen, und wir sehen uns die Tage. Am besten bei dir in der WG, denn Janina möchte ich nicht damit beunruhigen, dass ich bald noch mehr zu arbeiten beabsichtige. Sie wird mir sonst wieder vorwerfen, ich würde unseren Sohn nicht aufwachsen sehen, und irgendwie hat sie auch Recht damit«, seufzte Niklas und schaute auf das Foto seiner Frau mit dem Neugeborenen im Arm, das auf seinem Schreibtisch stand.
»So machen wir das und ruf mich vorher an. Du weißt ja, als Student hat man nie Zeit«, grinste Levi und beeilte sich, das Büro zu verlassen, bevor ihn der Bleistiftspitzer traf, den Niklas nach ihm warf.
»Ich weiß, ich habe Mist gebaut, doch wenn wir uns nicht einig werden, geht der ganze Laden vor die Hunde, und das ist es nicht wert«, hoffte Bernd den Streit mit Bones doch noch glücklich zu beenden. Dieser sah ihn lange schweigend an.
»Du bist ein ausgemachtes Arschloch, Bernd. Vor allem, nachdem du hinter meinem Rücken alles an die Wand gefahren hast, mir jetzt die Pistole auf die Brust zu setzen. Aber ok, ich denke darüber nach, doch im Augenblick ist mir nicht danach, deinen Arsch zu retten. Aber es ist auch meine Kohle, und drum muss ich eine Nacht darüber schlafen.« Damit stand Bones auf und verließ grußlos das Lokal.
Bernd atmete erleichtert auf. Das hätte böse ins Auge gehen können, denn Bones sah nicht danach aus, Probleme gerne auszudiskutieren.
Bones hatte Bernd wegen der nachträglichen Korrekturen in den Haushaltsbüchern und anderer Unstimmigkeiten, allen voran dem Brauereiwechsel, zur Rede gestellt. Von letzterem erfuhr Bones zufällig, als er einen Termin bei der bisherigen Brauerei wahrnehmen wollte und dort auf erstaunte Gesichter traf, hatte man doch dem Henker die Zusammenarbeit aufgekündigt. Bones kam sich vor wie ein Idiot und wusste spätestens, als Bernd ihn fragte, ob er die Kinos auch allein betreiben könnte, dass irgendwas ganz gehörig neben der Spur lief. Bernd war ihm die letzten Tage aus dem Weg gegangen, doch heute Morgen saß Bones bereits am Tresen, als Bernd das Lokal aufsperrte und deutete nur stumm auf den Barhocker neben sich. Da wusste Bernd, heute ist Zahltag und war fast froh darüber.
Die lange Einleitung, die sich Bernd in Erwartung dieses Gespräches zurecht gelegt hatte, wischte Bones mit einer einzigen Handbewegung vom Tisch.
»Lass die Kapelle daheim, heute singst du ohne Begleitung. Wie steht’s um den Henker, oder was läuft zurzeit schief?«
Bernd schluckte und erzählte anfänglich stockend von den Schulden, den Fehlspekulationen, dem zerronnenen Erbe seiner Tochter und den offenen Verbindlichkeiten des Restaurants, all den Gründen, die ihn zwangen, jetzt alles auf eine Karte zu setzen. Bones hört mit unbewegter Miene zu.
»Ich musste sogar eine Hypothek auf den Henker aufnehmen, um einen Teil der Außenstände zu begleichen«, versuchte sich Bernd zu rechtfertigen.
»Einen Teil deiner persönlichen Schulden meinst du wohl? Mir sind keine anderen Außenstände des Lokals bekannt«, korrigierte ihn Bones in gefährlich leisem Ton, der nur ahnen ließ, welche Wut gerade in ihm hoch kochte.
»Ja, du hast Recht, aber was sollte ich machen? Die Banken hätten uns sonst das Lokal dicht gemacht, und andere Sicherheiten hatte ich nicht.«
»Du? Meine Kohle steckt hier genauso drin. Soll ich jetzt für deine Dummheit mit meinem Anteil haften und zum Schluss noch auf deiner Hypothek sitzen bleiben?«
Bones war kurz vorm Explodieren.
»Ich wüsste einen Ausweg. Die Hypothek ist auf meinen Namen ausgestellt…«
»Und auf unser Lokal«, unterbrach ihn Bones laut.
»Ja genau. Ich habe aber nicht das Geld, dich auszuzahlen und gleichzeitig die Hypothek zu bedienen. Dafür wirft die Kneipe zu wenig ab. Allerdings könnte ich dir meinen Anteil an den Kinos überschreiben und im Gegenzug verzichtest du auf den Henker. Das dürfte sich die Waage halten, du wärst die Mithaftung los, und ich müsste selbst sehen, wie ich die Karre aus dem Dreck ziehe.«
Bernds Augen flehten Bones förmlich an, darüber nachzudenken. Bones schwieg lange. Wieder und wieder wog er die Chancen und Risiken dieses Vorschlags ab. Natürlich warf das Kino weniger Geld ab als das Lokal, aber mit Schulden im Rücken war auch das nichts wert. Vielleicht könnte er so aus einem der Pornoschuppen ein Eventkino machen? Eine Idee, die schon länger in ihm gärte. Doch in erster Linie war Bones wütend auf Bernd, vor allem, dass dieser ihn vor vollendete Tatsachen stellte. Aber das Kind lag im Brunnen, und er hatte letztlich keine Wahl. So entschied Bones, sich die Sache nochmals zu überlegen.
Als Hanna von ihren Patientenbesuchen gegen Mittag zurückkam, sah sie Franz, wie er sich mit dem Rasenmäher die schräge Wiesenfläche hinterm Haus hinaufmühte, und lächelte. Was nur täte sie ohne ihn? Vorsichtig bugsierte sie ihr Auto in die enge Garage und nahm den Korb Äpfel, den sie von der Frau eines Patienten bekommen hatte, aus dem Kofferraum. Sie wollte Apfelkuchen backen. Leonie war noch nicht zurück, und erste Wolken zogen am Horizont herauf. Es würde Regen geben.
Hanna war müde. Der Tag hatte bereits gegen fünf Uhr begonnen, als sie sich zwang aufzustehen. Sie wollte noch vor den ersten Hausbesuchen die Unterlagen für ihre Steuerberaterin zusammen suchen. Dann waren noch einige Arbeiten im Haus, die Einladungen für das Altenheimfest und die Pflegekassenabrechnungen der letzten Tage zu erledigen gewesen. Und gegen Sieben wartete bereits Frau Hinteregger auf sie, Pflegestufe II.
Franz hatte mittlerweile den Kampf mit dem Rasenmäher aufgegeben und war dazu übergegangen, die Beete und Blumen zu gießen, als er Hannas Rückkehr bemerkte. Sich die Hände an seiner Hausjacke abwischend ging er zur Garage, griff sich den Korb mit den Äpfeln und den Kasten Wasser, nickte nur auf den Einwand Hannas, sie kümmere sich schon um die Sachen, und trug beides ins Haus. Hanna folgte mit den restlichen Einkäufen.
»Es ist schrecklich, wie schnell es mit gestern noch gesunden Menschen abwärts gehen kann«, antwortete Hanna auf die Frage von Franz nach ihrem Tag. Er nickte nur stumm, musste er doch an die letzten Monate vor dem Tod seiner Frau denken, die eines Morgens nicht mehr aufstehen konnte, der Krebst hatte das Rückenmark erreicht. Es ging schleichend zu Ende. Seine Frau klammerte sich ans Leben, ihren Mann und die zwei Söhne, doch schließlich verlor sie gegen die Krankheit, und Franz musste Abschied nehmen.
»Leonie hat angerufen. Sie kommt zum Mittag und bringt noch jemanden aus der Uni mit. Ich habe den Namen nicht verstanden«, rief Franz aus der Speisekammer, während er die Wasserflaschen verräumte.
Leonie brachte Paul mit. Getroffen hatten sie sich in einem der Übungsräume der Uni, wo sich Paul gerade mühte, einem Fettstein die gewünschte Form abzuringen. Leonie lachte so laut, als er ihr sagte, was seine Schnitzversuche darstellen sollten, dass an ein Weiterarbeiten nicht zu denken war. So verbummelten sie den Vormittag am Campus-See und überlegten, welche Kurse sie im neuen Semester belegen würden. Leonie wollte als Hauptkurs Fotografie wählen, Paul hingegen setzte auf Bildnerisches Gestalten, einen Aufbaukurs bei Professor Heilmeier, bei dem er in diesem Jahr schon ein Seminar belegt hatte. Gegen Mittag schlug Leonie vor, zu ihr nach Hause zum Essen zu fahren. Paul war unter der Voraussetzung, dort an seiner Plastik weiter arbeiten zu können, einverstanden.
»Übrigens, Franz, ein Freund meiner Mutter, kommt auch zum Essen. Er hilft ihr gelegentlich im Haus. Aber keine Sorge, wir müssen nicht den ganzen Nachmittag mit denen verbringen. Nach dem Essen verziehen wir uns in den Garten, dort hast du das beste Licht«, instruierte Leonie Paul, als dieser nach dem Einparken im Hof gerade aussteigen wollte.
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