»Die Seele des Bildes?« Leonie war erstaunt. »Ich ahnte, dass Fotografie was mit Kunst zu tun hat, aber auch mit Poesie?«
Sie lächelte, und Marc wurde verlegen.
»Fotografie kommt aus dem Herzen«, beeilte er sich fortzufahren.
»Es ist wie ein Flirt mit einem Ausschnitt der Welt. Erst wenn du und der Ausschnitt für einander bestimmt seid, entsteht das perfekte Bild. Es muss Liebe, nicht nur Lust sein.«
»Mir wird schlecht«, unterbrach Paul das in seinen Ohren unerträgliche Gesülze von Marc und verließ die Beiden in Richtung Toilette.
»Was hat der denn?«, wunderte sich Leonie. »Er war letztens an der Uni schon so komisch. Hat Levi nichts erzählt?«
»Wir haben Levi die letzten zwei Tage kaum gesehen, eigentlich seit Rebecca so abgedreht ist. Ich denke, Paul ist unglücklich verliebt. Aber bitte sag nichts, keine Ahnung, ob ich dir das erzählen durfte«, bat Marc mit dem unguten Gefühl, sich verplappert zu haben.
»Keine Sorge, ich dachte mir schon so was, aber über kurz oder lang wird er mir das schon noch erzählen. Wer ist denn die Glückliche?«
Leonie wusste nicht, wieso sie diese Neuigkeit so überraschte. Paul hatte, seit sie sich kannten, noch nie eine Freundin gehabt. Wie auch, wenn er die ganze Zeit mit ihr zusammen hing? Allerdings ohne, dass sie sich je besonders nahe gekommen wären.
»Keine Ahnung, Nina heißt sie. Er kennt sie wohl aus irgendeinem Museum, glaube ich zumindest. Es war nicht ganz einfach, sich alles zu merken, was er mir von ihr erzählt hat. Zumindest muss sie ihn schwer beeindruckt haben, so dass er sich wie ein Idiot benommen hat. Nun ist sie weg.«
»Männer!«
Leonie grübelte, was Paul wohl beeindruckt hatte, als dieser zurück an den Tisch kam.
»Na, haben sich die Liebenden gefunden und ein Fotoalbum gegründet?«
»Keine Sorge, das ist alles nicht so kompliziert, wie es sich anhört«, beendete Marc seine Ausführungen und sah Leonie mit eindringlichem Blick an. Sie hatte verstanden und würde das Thema Nina nicht ansprechen.
»Wenn du magst, kann ich dir gern in meinem Atelier zeigen, was ich mit dem Sehen und dem richtigen Bild meine«, bot er Leonie an, die mit einem Seitenblick auf das Buch begeistert nickte.
»Klar, das wäre cool. Besser, als so eine Schwarte durchzulesen.«
»Dann hat der Mohr ja seine Schuldigkeit getan und kann die Schwarte wieder heim schleppen«, brummte Paul.
»Ich fürchte,«, sprang Marc Leonie bei, die abwehrend die Hände hob, »Leo wird nicht umhin kommen, sich auch einiges an Theorie zu erarbeiten. Aber es macht viel mehr Spaß, wenn man das Gelesene auch gleich ausprobieren und umsetzen kann.«
Marc zwinkerte Leonie zu, und sie verabredeten sich für die nächste Woche, wo er nach der Rückkehr vom Geburtstag seiner Mutter eine Ateliersführung anbot. Paul schien es, als ob ihn Leonie bei der Verabschiedung länger als sonst an sich drückte, aber auch bei Marc fand er, hielt sie dessen Hand auffällig lang, bevor er endlich aus dem mittlerweile gut gefüllten Café auf die Straße kam.
»Puh, ganz schön voll da drin.« Doch Marc, der noch immer in der geöffneten Tür stand und Leonie nachschaute, wie sie sich wieder um ihre Gäste kümmerte, schien ihn nicht zu hören.
»Eine süße Maus«, stellte er stattdessen fest und freute sich auf die kommende Woche. »Wie ist sie eigentlich so, na ja im Studium und als Freund?«, fragte er so beiläufig wie möglich.
»Leo? Ganz nett halt. Aber was interessiert dich das? Ist doch nur ein Praktikum. Dachte gar nicht, dass du Zeit für so was hast.«
»Klar nur ein Praktikum, aber ich möchte auch nicht, dass mir irgend so eine Langweilerin im Weg rum steht.«
»Dann frag sie halt nicht, ob sie bei dir fotografieren lernen mag. So langweilig scheint sie ja dann doch nicht zu sein.«
Was kümmerte es Paul, ob Leonie und Marc sich verstanden. Allerdings wäre es auch ein kleiner Lichtblick, Leo demnächst wieder häufiger zu sehen. Der Gedanke fühlte sich bei all dem Chaos, das gerade ihn seinem Leben tobte, überraschend gut an.
»Ich hoffe, dich stört es nicht, wenn sie ab und zu bei uns auftaucht und mit mir fotografiert?«, fragte Marc besorgt, als ob er Pauls Gedanken gelesen hätte.
»Keine Sorge, Leo ist cool, die stört nicht, und du musst dich schon anstrengen, sie zu beeindrucken. Das bisschen Geschwafel von Liebe und Poesie beim Bildermachen genügt da noch nicht, mein Lieber«, grinste Paul und hakte das Thema vorerst ab.
Als sie in die WG zurückkamen, war Levi noch immer nicht da. Sie beschlossen, im Wohnzimmer auf ihn zu warten und setzten sich vor den Fernseher. Marc holte zwei Bier aus dem Kühlschrank, reichte eines Paul und stieß mit ihm an.
»Auf die Frauen.«
»Eher darauf, dass es auch ohne sie geht«, erwiderte Paul und trank die halbe Flasche auf einen Zug leer. Er hatte vor, diese Nacht mal wieder durchzuschlafen, und das Bier hier sollte helfen.
Levi seinerseits saß bei seinem Bruder im Büro und wartete, bis dieser endlich das Telefon weglegte und den anscheinend begriffsstutzigen Kunden abgewimmelt hatte.
»Wird ja auch mal Zeit.«
»Entschuldige, wenn ich arbeiten muss, Bruderherz«, entgegnete ihm Niklas müde und rieb sich die Augen. »Das nervt mich noch viel mehr, denn ich habe den ganzen Tag solche Idioten am Hörer, mit denen unser Kundenservice nicht mehr klar kommt.«
»Ich weiß. Vater schimpft ja auch immer, was für unterbelichtete Typen in der Autobranche schaffen.«
»Über wen schimpft Vater nicht?«, fragte Niklas und senkte dabei die Stimme, als ob er seinen Vater in der Nähe wähnte und ihm diese Wahrheit lieber nicht direkt ins Gesicht gesagt hätte.
»Ich denke, das wird sich umgekehrt nichts nehmen, oder kennst du jemanden in der Branche, der Vater erträgt?«
»Ich denke, sie schätzen unsere Produkte. Er allein könnte den Laden dicht machen, doch das, lieber Levi, habe ich nie gesagt.«
»Und ich habe es auch nie gehört«, grinste Levi seinen Bruder verschwörerisch an.
»Doch weshalb wolltest du mich sprechen?«
»Das ist kein Thema fürs Büro und schon gar nicht, solange Vater im Nebenzimmer sitzt und jederzeit hier herein platzen kann. Hätte ich gewusst, dass du heute Zeit hast, hätten wir uns zum Mittag außerhalb der Firma getroffen.«
»Hätte ich gewusst, dass du Zeit für Mittag hast, wäre ich gern dein Gast gewesen. Findet Vater nicht, dass nur Versager Mittag machen?«
»Ja, und das sagt er mir ungefähr dreimal die Woche, einmal mehr, als ich zu Mittag esse. Zumindest macht Hunger aggressiv, und das wieder treibt die Mitarbeiter an. So ungefähr denkt er wohl.«
Niklas wirkte erschöpft.
»Ich bin froh, noch etwas Zeit zu haben, bis ich in die Höhle des Löwen muss. Hoffe nur, du bist bis dahin nicht genauso ein Arschloch wie unser alter Herr«, dachte Levi mit Grausen daran, unter der Aufsicht seines Vaters zu arbeiten.
»Keine Sorge, ich möchte unsere Firma nicht gänzlich ruinieren, denn solange er die Auftraggeber, Lieferanten und Kunden wie seine Mitarbeiter behandelt, stehen die Chancen, dass du nach deinem Abschluss noch einen Arbeitsplatz vorfindest, eher schlecht.«
»Auch egal, ich denke, wir kämen ebenso woanders unter. Wäre nur schade um das, was die Firma heute ist.«
»Naja, was ist sie schon? Ein Elektronikteilezulieferer für die Autobranche. Wie lang die uns noch braucht und nicht lieber in Asien produzieren lässt, weiß kein Mensch. Einzig Vater weigert sich, mit den Herstellern mitzugehen und in China zu investieren. Die kommen alle zurück, hat er mir heute Morgen noch mitgeteilt, als ich ihm das Benchmarking von VW gezeigt habe. Aber zum Glück hat er mir wenigstens genehmigt, mich vor Ort umzusehen, was die asiatische Konkurrenz so macht. Doch das ist zumindest vorerst nicht der Grund, weshalb ich dich sprechen wollte. Ich habe etwas Beunruhigendes entdeckt und bekam gleichzeitig die Chance, mich etwas unabhängiger von Vater zu machen. Drum soll er auch noch nichts davon mitbekommen. Allein, dass du mich besuchst, dürfte ihn misstrauisch machen.«
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