von Amélie Durée
„Und wirst du kommen?“, fragt mich Friedemann aufgeregt.
„Naja, ich meine, ich kenne doch da niemanden richtig.“
Mein Gegenüber schüttelt unzufrieden den Kopf. Er will es wohl einfach nicht verstehen, dass man solch ein einmaliges Angebot ablehnen kann.
„Kathie-Maus!“ Ich hasse es, wenn mein bester Freund mich so nennt. „Kathie-Maus!“ Schonwieder! Ich runzele ärgerlich die Stirn. Aber das Signal kommt nicht an.
„Kathie-Maus…“, bettelnd schürzt Friedemann seine schmalen Lippen. Er hat im Grunde fast gar keine. Sein Mund stellt lediglich einen schmalen Strich in seinem ebenso schmalen Gesicht dar. Er ist wahrscheinlich der dünnste Mann, den ich jemals kennengelernt habe. Und wir kennen uns schon seit Kindertagen. Er war mein erster und so ziemlich einziger Freund in der Grundschule, den ich dauerhaft hatte. Mein Freundeskreis beschränkte sich auf einige wenige, denen weder mein dickliches, plumpes Aussehen ein Grund zum Hänseln war, noch meine guten Noten ein Dorn im Auge.
Davon gab es leider wirklich sehr wenige. Für die meisten war ich einfach die kleine, fette Streberin.
„Ja, FriedeMANN!“, äffe ich sein Gebettel nach. Er hasst es, wenn ihn jemand bei seinem vollen Namen nennt. Ungefähr ebenso, wie ich dieses Kathie-Maus-Gesäusel verabscheue.
Kurz lässt er die Mundwinkel hängen und seine Augen verschließen sich zu schmalen Schlitzen, durch die er mich wütend anfunkelt. Dann reißt er wie von einer Tarantel gestochen die selbigen wieder auf.
„Hast du gerade JA gesagt? Hahahahahaaaa! Du hast JA gesagt!“, freudig springt er auf und fällt mir um den Hals.
„Toll! Ich freu mich riesig! Das wird großartig, glaub mir! Zwei ganze Wochen im Anwesen meines Cousins. Das wird hammermäßig!“
„Oberaffentittengeil?“, ergänze ich müde. Das ist eigentlich sein Lieblingswort. Dass er es selbst noch nicht benutzt hat, wundert mich fast etwas.
„Genau soooo!“, stimmt mir mein bester Freund mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter zu.
Er ist zwar schwul und in vielen Dingen voll das Mädchen. Aber in solchen Momenten werde ich immer wieder schmerzhaft an den kleinen, feinen Unterschied zwischen Männern und Frauen erinnert. Manchmal vergisst er einfach, dass Frauen nicht so sehr auf diesen ganzen „Hau dem anderen auf die Schulter oder ramm ihm deine Faust gegen den Oberkörper“-Kram stehen.
„Aua!“, erwidere ich nur und reibe mir meine schlanke Schulter.
„Kathie-M… ähm, ich meine… Kathie! Ich freu mich einfach. Endlich verbringen wir mal alle zusammen wieder etwas Zeit! Es ist einfach toll, dass es auch so gut mit deinem Urlaub geklappt hat.“
„Ja, es hat super gepasst. Ich glaube einfach, dass deine Freunde vielleicht nicht ganz so viel mit mir anfangen können. Die sind einfach alle soooo… soooo…“
„…Suuuper nett! Mach dir keine Platte, meine Kleene!“, dabei wuschelt er mir grob über mein geflochtenes Haar und hätte mir dabei beinahe sämtliche Haarspangen in die Kopfhaut gerammt.
Genervt ziehe ich den Kopf weg. „Mann, du bist ja heute echt in Form“, erinnere ich Friede daran, seine überschüssige Energie etwas im Zaum zu halten. Dann beginne ich zu lachen.
Ich bin einfach nicht so der impulsive Typ und frage mich immer wieder, wie ein Energiebündel wie Friede es mit mir überhaupt aushält.
Aber anscheinend ziehen sich Gegensätze in diesem Fall an… Wo Friede die nötige Ruhe fehlt, bringe ich ihn zu seiner „inneren Mitte“ zurück. Im Gegenzug dazu weckt er durch seine verspielte Art immer mal wieder das Kind in mir.
Seit unserer Grundschulzeit sind mittlerweile, ja es sind inzwischen Jahrzehnte, vergangen. Wir waren auf dem selben Gymnasium, haben dort unterschiedliche Freundeskreise gehabt, uns aber nie aus den Augen verloren. Im Gegenteil. In Friede hatte ich immer einen guten Freund, ein offenes Ohr und eine Schulter zum Anlehnen.
Ich war noch nie jemand, den man als Jungenschwarm bezeichnen kann. Auch, wenn sich mein Gewicht und ich möchte behaupten, auch mein Aussehen zum Positiven entwickelt haben, hat sich nie ernsthaft ein Junge für mich interessiert.
Zum Glück fand ich auf dem Gymnasium endlich Freunde, die genauso wie ich, weder die geborenen „Party-People“ waren, noch einen „Typen“ nach dem anderen abgeschleppt haben.
Daher hatte ich von da an nie ernsthaft das Gefühl, mir würde etwas fehlen zum Glücklichsein. Die meisten meiner Freundinnen fingen danach an zu studieren, ich machte eine Ausbildung. Ein sicherer Job zum Geld verdienen und Zeit für Dinge, die mich glücklich machen. In der Schule hatte ich bei der ganzen Lernerei keine Zeit mehr für meine Hobbies wie Tanzen, Zeichnen oder sonstige Tätigkeiten, um meiner Kreativität freien Lauf zu lassen.
Aber schon in meiner Ausbildung fing ich wieder an zu tanzen. Ich tanze mittlerweile praktisch in jeder freien Minute. Kein Weg ist mir zu weit, wenn ich mit ein paar Stunden bei einem guten Tanzlehrer belohnt werde.
Seit meinem Einzug in eine Wohnung mit kleinem Garten füllt meine neu entdeckte Liebe zum Pflanzen, Jäten, Mähen und Co. die restliche Zeit.
Ich hätte nie gedacht, dass ich darin tatsächlich einmal ein Hobby entdecken würde. Im Garten zu helfen, war mir früher eher ein Graus als Entspannung oder Inspiration. Aber im eigenen Garten ist es plötzlich etwas ganz Anderes. Man kann alles genau so gestalten, wie es einem gefällt. Und wenn man dabei zusieht, wie kleine, junge Pflanzen von einem zarten, hellgrünen Zwerg zu einer stattlichen, tiefgrünen Schönheit heranwachsen, dann geht mir das Herz auf.
Doch ich habe auch eine Art Häuslichkeit entwickelt, die wohl einige von Friedemanns Freunden nicht ganz teilen. Die meisten von ihnen zählen eher zu denen, die man als Langzeit-Party-Studenten bezeichnen würde.
Sie genießen wahrhaftig das, was man gemeinhin als „entspanntes Studentenleben“ bezeichnen würde. Sie stehen gegen Mittag auf und feiern Partys bis tief in die Nacht.
Leider sehen wir uns seither immer weniger. Zu irgendwelchen Treffen in seinem Freundeskreis gehe ich eher selten. Um ehrlich zu sein kann ich nicht einmal sagen, wann ich das letzte Mal da war. Es ist schon zu lange her. Er ist einfach ein ganz anderer Mensch, wenn seine Leute dabei sind. Er überdreht dann total und merkt leider oft erst viel zu spät, wenn er über die Stränge schlägt. Das macht mich meist sehr traurig, was dazu führt, dass ich solche Veranstaltungen viel zu früh, völlig desillusioniert wieder verlasse. Ich denke, dass Friede im Grunde genau weiß, warum ich deshalb so selten dabei bin. Und doch ist es immer wieder das Gleiche.
Und nun zwei Wochen mit dieser Bande? Ich weiß noch nicht so ganz, was ich davon halten soll. Ich werde wohl ganz einfach viel Musik mitnehmen und den Platz, den sein Cousin auf seinem Grundstück haben soll, zum Tanzen nutzen. Ich werde wohl das meiste alleine machen. Aber das macht mir nichts. Ich freue mich ganz einfach auf etwas Ruhe und Zeit für mich.
„Alter! Ist das eine krass lange Fahrt, Mann! Wann sind wir denn verdammt nochmal da?“
„Sven, jetzt reiß dich mal!“, schmettert ihm Michael von hinten entgegen.
„Genau Sven, es ist echt gut jetzt!“, stimmt Lea ihrem Freund zu. Sie tätschelt liebevoll Michaels Schulter. Wie eine so zierliche und niedliche Person wie Lea ein solches Muskelpaket attraktiv finden kann, ist und bleibt mir ein Rätsel.
Seufzend umfasse ich noch fester das Steuer. Obwohl ich Sven ungerne Recht gebe, wünsche auch ich mir, endlich anzukommen.
Dabei habe ich kein Problem mit langen Autofahrten. Im Gegenteil empfinde ich gerade Fahrten über Landstraßen als äußerst entspannend. Je weniger andere Autofahrer, desto besser.
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