„Doch! Ich liebe die Teile!“
Ehe wir uns versehen, hat sich die kleine blonde Nervensäge den Teller mit einer Roulade, Kartoffeln und Rotkohl vollgeknallt.
Verdattert setzt sich der Rest dazu. Ich schüttele irritiert den Kopf. Wie kann man nur dermaßen schlecht erzogen sein?
Conrad ist das Benehmen seiner Freundin sichtlich unangenehm. Rasch tut er sich auch etwas auf seinen Teller, damit es nicht mehr so auffällt.
Wir alle lassen uns dieses Festmahl begeistert schmecken. Mit lobenden Worten beenden wir das Essen und tragen gemeinsam das dreckige Geschirr in die Küche. Während sich der Rest erst einmal seine Zimmer zeigen lässt, waschen Lea und ich ab.
„Find ich echt cool, dass du dabei bist“, ermuntert Lea mich. Sie hat wohl bemerkt, dass ich mich nach wie vor unwohl fühle unter Friedes Freunden.
„Ja, ich freu mich auch, dabei zu sein“, gebe ich zurück.
„Naja, ich habe das Gefühl, du fragst dich seit Beginn der Fahrt, wo du hier eigentlich gelandet bist.“
Lea senkt den Blick. „Sven war früher echt nicht so. Ich kenne ihn schon länger und er ist erst seit ein paar Jahren so großkotzig geworden. Erst seit seine kleine Schwester Drogenprobleme bekommen hat. Seitdem scheint er irgendwas beweisen zu wollen und spielt sich jetzt auf, als sei er der Held der Stunde. Aber eigentlich ist er wirklich ein ganz netter, wenn auch nerviger Kerl.“
„Ja bestimmt!“, gebe ich ihr Recht.
„Und Franzi, ja, naja…“, Lea sucht nach den passenden Worten.
„Hat nen drogenabhängigen Bruder und ist eigentlich auch sonst ganz nett?“, frage ich etwas zu schnippisch. „Tut mir leid, das war echt gemein!“ Versuche ich diese unüberlegte Äußerung gleich wieder etwas zu mindern.
„Ach nee, du hast vollkommen Recht. Die ist einfach unmöglich. Ich hätte nicht gedacht, dass es was wird zwischen den beiden. Als Conrad die Trulla angeschleppt hat, dachten alle, die ist ganz schnell wieder weg vom Fenster. Aber seit einem Monat spricht Conrad sogar von Heirat. Da schaudert’s mir, wenn ich daran denke, dass wir die dann überall dabeihaben müssen.“
Wir fangen beide an zu lachen.
Lea spritzt noch ein wenig Spülmittel in das Wasser.
„Wie hast du Michael eigentlich kennengelernt?“, möchte ich wissen. Natürlich sage ich Lea nicht, dass meine Frage eigentlich im Sinne von „Wie zum Teufel kommt ein Mädchen wie du an so einen Kerl?“ gemeint war.
„Im Studium. Ich habe ihn gleich zu Beginn meines Sonderpädagogik-Studiums kennengelernt. Er ist Sportstudent an derselben Uni. Erst konnte ich gar nichts mit ihm anfangen. Voll der „Haudrauf“, dachte ich am Anfang. Aber dann habe ich ihn bei einigen Partys näher kennengelernt und wir haben uns ineinander verliebt.“
Verlegen wischt sie sich eine rote Strähne aus dem Gesicht.
„Und was ist mit dir, Kathie? Darf ich Kathie sagen?“
„Natürlich! Wie meinst du das, mit mir?“
„Na ich meine“, erläutert mein Gegenüber, „ich meine, ob du einen Freund hast.“
Jetzt werde ich verlegen. Wie erkläre ich einer fünfundzwanzigjährigen, dass ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren praktisch noch keine Beziehungserfahrungen habe? Ich hatte vor vier Jahren mal kurz einen Freund, der sich als notorischer Fremdgänger herausstellte, der zu allem Übel auch noch gewalttätig wurde. Danach war ich so enttäuscht und desillusioniert, dass ich lange Zeit niemanden mehr in mein Leben lassen wollte. Erst vor einem Jahr habe ich mit Online-Dating angefangen. Allerdings ohne Erfolg. Bisher ist bei keinem der Funken übergesprungen und ich bin Single.
„Naja, momentan habe ich keinen Freund“, versuche ich dieses Thema schnell abzuschließen.
„Wieso nicht?“, hakt Lea nach.
„Wieso nicht? Naja, wieso nicht nicht?“, gebe ich mit einem Grinsen zurück.
„Haha, ich meine einfach, dass so eine hübsche Frau wie du, doch bestimmt einen Freund haben könnte.“
„Hübsch? Naja“, stammele ich. Jetzt bin ich diejenige, die sich verlegen durch die Haare fährt.
„Doch, du hast ‘ne super Figur! Friede hat erzählt, dass du tanzt. Also kannst du dich bestimmt auch gut bewegen. Schöne große Augen, volle Lippen. Alles, wovon eine Frau und ja wohl auch die Männerwelt träumt.“
Peinliches Schweigen entsteht…
„So, alles fertig abgewaschen. Dann lass mal sehen, wo unsere Zimmer sind“, bricht Lea schnell die Stille.
„Ja lass mal gucken, wo wir schlafen die nächsten zwei Wochen“, antworte ich dankbar.
Gemeinsam stapfen wir die gewaltige Treppe in der großen Halle hinauf in der Hoffnung, unsere Freunde irgendwo zu finden.
„Friede?“, rufe ich in den Gang, der rechts von der Treppe abgeht.
„Hier drüben“, winkt Lea von der linken Seite zu mir rüber.
Als ich bei ihr ankomme, höre ich die anderen gackern. Das ist zweifelsohne Friedemann. Diese Lache erkenne ich unter tausenden. Sie hört sich an wie die eines kleine Mädchens.
„Na, mein Schatz?“, begrüßt Michael seine Freundin. Mit einer ausladenden Geste präsentiert er ihr das gemeinsame Zimmer.
„Toll!“, staunt die zierliche Frau. „Mit Himmelbett!“ Ihre Augen funkeln freudig.
Ich kann mir in etwa vorstellen, was da in den nächsten Nächten noch alles passieren wird.
„Wir sind direkt nebenan“, ergänzt Conrad mit einem Fingerzeig zum benachbarten Zimmer.
Es ist ein Spiegelbild des Zimmers von Lea und Michael. Wenigstens habe ich nicht ein Zimmer zwischen den Beiden. Zu hören, wie von beiden Seiten Betten gegen die Wände gerammelt werden, das wäre mir wirklich zu viel geworden…
„Wir beide haben unsere Zimmer auf der anderen Seite!“ Friedemann zeigt auf den Gang, vor dem ich eben vergeblich seinen Namen gerufen habe. Ein erleichtertes Lächeln huscht mir durchs Gesicht.
Gemeinsam mit meinem besten Freund schleppe ich meine Reisetasche den schmalen Flur entlang. Kurz bevor wir am Ende des Ganges angekommen sind, bleibt er vor einer Tür stehen.
„Hier ist es!“, verkündet er stolz. „Gleich nebenan bin ich und direkt gegenüber ist das Zimmer meines Cousins.“ Er zeigt auf die hinter mir befindliche Tür.
„Und er weiß, dass wir hier sind?“, frage ich vorsichtig.
„Naja, ähm, er hat gesagt, wenn ich nicht alleine sein will, kann ich gerne noch einen Freund mitnehmen.“
„EINEN Freund?“, frage ich skeptisch.
„Ja also, ich glaube, er hat bestimmt nichts dagegen, dass ihr hier seid. Ich meine, was soll ich denn alleine mit einem einzigen Kumpel in so einem riesigen Haus? Wird er sich ja denken können, dass ich ein paar Freunde einlade. Hallo? Dafür halte ich hier alles soweit in Ordnung, während er weg ist.“
„Wo ist er denn eigentlich? Irgendwo im Urlaub?“
„Sowas in der Art. Er besucht wohl einen Geschäftspartner in Südafrika, soweit ich weiß. Aber ganz genau kann ich es dir jetzt auch nicht sagen. Er ist Kunsthändler und Sachverständiger, spezialisiert auf afrikanische Kunst. Schräg irgendwie, oder? Ich finde, Kunsthändler hat immer irgendwie was Zwielichtiges!“, lacht Friedemann, während er mein Zimmer aufschließt und mir daraufhin den Schlüssel übergibt.
„Wie ist er denn so, dein Cousin?“, frage ich beiläufig. Irgendwie möchte ich doch gerne herausfinden, ob er es wirklich so locker nimmt, dass sein jüngerer Cousin eine Horde Party-People in so ein Anwesen einlädt.
„Ach, eigentlich ist er ganz cool!“
„Eigentlich?“, will ich es genauer wissen.
„Naja, seit damals ist er sehr zurückgezogen. Ich hab dir das damals nicht so groß erzählt und es wäre toll, wenn du den anderen nichts davon sagst. Also er hatte damals kurz nach dem Tod seiner Eltern eine Frau kennengelernt. Und die hat ihn leider schon nach einem halben Jahre Beziehung mit seinem besten Freund betrogen. Da ist ganz schön was abgegangen. Seither ist er ziemlich… wie soll ich sagen… im Grunde ist er seither ziemlich verbittert. Es ist traurig, das so zu sagen und jetzt, wo ich es dir erzähle, wird es mir auch erst richtig bewusst. Aber er mag die Menschen seither nicht mehr besonders. So kann man das wohl bezeichnen. Besonders Frauen… Ja, er hat wirklich ein Problem mit Frauen. Oh Mann, er war der netteste, ausgeglichenste Mensch, den ich kannte. Und jetzt sitzt er hier in seinem Palast, der langsam verkommt und vergräbt sich manchmal monatelang in seiner Arbeit. Ich meine hey, hast du mal den Garten gesehen? Er sieht schlimm aus. Ist ja auch klar. Wer soll sich darum kümmern? Und im Haus verkommt auch das meiste. Es kommt zwar regelmäßig jemand, der das Wesentliche sauber hält. Hier braucht man ja ‘ne ganze Firma, ein einziger Mensch schafft das ja im Prinzip gar nicht. Aber es tut mir immer wieder leid, wenn ich herkomme und ihn sehe. Er sieht oft sehr traurig aus. Ich glaube, wenn er nicht langsam eine neue Freundin findet, dann…“
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