Wichtig war mir im Jahr 2000 der Führerschein, den ich bestand, und mich in die Lage versetzte mit dem Auto selbstständig fahren zu können. Das war richtig schön und eine große Bereicherung für ein selbstständiges Leben. Die erwähnte Frau die ich während der Ausbildung kennen lernte und mit der ich bis zum heutigen Tage zusammen bin, hatte ähnliche Ziele und man kann hier eine große Übereinstimmung feststellen. Zwar insgesamt eine Sorgen arme Zeit in der ich das Leben aus einer ganz unbekannten Perspektive kennen lernen durfte. Und es gefiel mir immens, sodass ich niemals auch nur daran gedacht hätte dass es anders kommen könnte. Und an diesem Punkt möchte ich mit dem Beginn der Erkrankung einsteigen, die mich bis zum heutigen Tage heimsuchen sollte.
Es ist mir besonders wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen dass die Erkrankung und der stetige Abbau meiner körperlichen Fähigkeiten, alles von Grund auf umgekrempelte. Vor der Erkrankung – mich bereits geschrieben habe – wusste ich zwar um die Symptomatik einer Erkrankung wie der Multiplen Sklerose – aber dies alles war mir weiter entfernt als das, was es eigentlich bedeutete bzw. bedeuten sollte. Und so stellt sich mir die Zeit vor der Erkrankung, als eine Zeit die im Zeitraffer abgelaufen sein musste. Und so schien mir auch eine gewisse Beschleunigung stattzufinden, als es nun unumstößlich wurde. Was sich bei mir ab der Diagnose bewegte, mir selbst und anderen abverlangte erscheint enorm. Und im Zuge der Psychotherapie auch unmenschlich. Ich denke an dieser Stelle ist es wichtig die sprichwörtliche Entschleunigung zu nennen, die gerade mit einer Erkrankung wie der meinen besser tut als eine Beschleunigung. Denn Letztere führt sehr oft, wie in meinem Fall, zu Überforderung. Und das ist auf keinen Fall gesund. Und wenn man schon krank ist summiert sich die Sache. Das sollte man tunlichst vermeiden, doch wie Sie ab der Diagnose feststellen werden war genau dies nicht mein Bestreben. Es kostete mich viel Zeit, um mich selbst wieder in den Griff zu kriegen. Und manchmal habe ich wirklich nicht gedacht es hinzukriegen, aber irgendwie hat‘s dann doch funktioniert. Und dafür bin ich aus jetziger Perspektive, sehr froh denn es hätte auch anders ausgehen können.
Ein recht gewöhnlicher Werdegang, der sicher vielen Menschen genauso widerfahren sein könnte. Nichts daran scheint aufregend oder ungewöhnlich. Selbst die Ziele und Vorstellungen die ich zu jener Zeit hatte, sind nichts Außergewöhnliches gewesen. Es ging mir damals wie heute um die Schaffung und den Erhalt von Sicherheit. Dies scheint mir ein unspektakuläres Ansinnen. Doch war dies damals, und im Grunde ist es dies noch heute, ein sehr langweiliger Idealzustand. Vermutlich hätte es dieser Bahn folgend keine Weiterentwicklung gegeben. Weiterentwicklung ist ja an sich ein positiver Zustand, der ein gleich bleiben verhindert bzw. denn eine sich weiterentwickelnde Welt– in jedem Bereich – verlangt nun mal eine stetige Anpassung. Unter diesem Gedanken tröste ich mich manchmal, denn erstens kann ich den Zustand in dem ich jetzt bin nicht mehr ändern, sondern zweitens nur einen förderlichen Umgang mit selbst anstreben.
Bis zu diesem Zeitpunkt, befand ich mich auf einer recht stabilen Bahn im Leben. Mein Leben begann wie die Umlaufbahn eines Planeten, der um die Sonne kreist und durch einen großen Asteroiden getroffen wird, vollkommen chaotisch zu werden. Kleinere Einschläge steckte der Planeten leicht weg. Jedoch weit der Treffer durch diesen großen Asteroiden etwas ganz Verheerendes, denn veränderte der Einschlag die Balance total. Nicht nur geriet die Umlaufbahn ins Schlingern, sondern das komplette Klima kippte. Es wurde kalt und ungemütlich. Veränderung war also vorprogrammiert, was nicht unbedingt etwas Negatives sein muss, aber aus der damaligen Perspektive es definitiv war. Dieser Umstand es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität, wenn man darauf zurückblickt. Und genau an dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Albert Camus – auf das mich ein langjähriger Freund und Philosoph aufmerksam machte – anführen. Dieses Zitat hat mich oft davor bewahrt mir selbst Schlimmes anzutun und diesen beschleunigten Prozess des körperlichen Verfalls zu beenden:
Das Absurde ist das wesentliche Konzept und die erste Wahrheit.
Ich bilde mir zumindest ein, dass sich genau verstanden habe was Camus damit sagen wollte. Zumindest aus meiner Perspektive. Unsere Existenz, wie immer sie aussehen mag, folgt keinen Gesetzen und keiner Ordnung, sondern die Dinge die uns geschehen passieren zufällig. Sie sind also aus unserer Sicht absurd. Schöne Dinge die uns geschehen nennen wir Glück – Dinge die genau unseren Erwartungen entsprechen und uns in unser eigenes Konzept passen. Dinge die unseren Vorstellungen zuwiderlaufen – solche die Krankheit und weitere für uns subjektiv negative Ereignisse – nennen wir Pech.
Wir befinden uns also immer in einer Diskrepanz der situativen Bewertung von Dingen die uns geschehen. Über diesen Dingen zu stehen fällt mir auch sehr schwer, doch denke ich das viel gewonnen ist, wenn man sich dies bewusst macht. Es hat zumindest mir geholfen und kann mir vorstellen, dass es vielen anderen ebenso geht bzw. gehen kann. Und an dieser Stelle lache ich der Philosophie frech ins Gesicht, denn durch eigene Erfahrung (also echte Empirie) habe ich das Rätsel, besser gesagt den Satz von Camus, für mich gelöst. Und der hatte ja so was von Recht, denn das Leben an sich ist chaotisch und ist ob liegt uns – als einen jeden Menschen – für einen selbst richtige Bewertung zu suchen und im Idealfall zu finden. Das ist doch mal ein sehr positiver Aspekt, den diese Krankheit mit sich brachte: Erkenntnis. Dieses Zitat, das mir mein langjähriger Freund nannte, mit gab ist und war wertvoller für mich als jedes autogene Training, Antidepressivum oder jede Tasse Kaffee mit Zigarette. Es war vielleicht eine bewusste Handlung von ihm. Es bleibt zu erwähnen, dass er zu diesem Zeitpunkt wirklich Philosophie studierte. Jedenfalls brachte mir dies mehr als halbherzig rübergebrachte und vermeintlich anteilnehmende Bekundungen. Dazu gehören für mich kluge Sprüche und Ratschläge – die unreflektiert sind – und den Kern der Sache verfehlen. Dazu gehören einerseits Themenbereiche wie Finanzen und eben auch die Krankheit an sich. Dass ich und damit meine Familie, um es kurz zu erwähnen, in den genannten Bereichen nicht besonders gut aufgestellt sind, liegt auf der Hand. Ich möchte aber auf diesem Themenbereich speziell nach der Schilderung der dreizehn Jahre und der zusammengefassten und nach erzählten Interviews mit meiner Tochter und meiner Frau eingehen. Diese wertvollen Kommentare und Anregungen von Ihnen sind sicher aus verschiedenen Hinsichten motiviert. Ganz besonders abscheulich finde ich solche „Anteilnahmen und Mitleidsbekundungen“, die religiös motiviert sind.
Besonders zu erwähnen ist hier jegliche religiöse Glaubensrichtung und die jenseitige Einstellung die mit einer solchen das eigene Ableben nah einlegt – auf eine nicht sehr subtile Art. Sie vertröstet denjenigen, der betroffen ist, auf das Jenseits und das ist mir einfach nicht genug. Wie Sie sicherlich schon gemerkt haben, bin ich ein diesseitsorientierter Mensch, was heißen will dass ich meine Handlungen und Leiden – wie immer diese aussehen mögen – im hier und jetzt suche. Ich mache keine übernatürliche Macht dafür verantwortlich und sehe den Menschen nicht im Zentrum des Universums. Dies würde man als anthropozentrisch bezeichnen. Bei der schier unermesslichen Größe des Universums und der damit verbundenen „Nichtigkeit“ unseres Sonnensystems, scheint es mir nicht gegeben dass der Mensch eine besondere Stellung einnimmt. Dies hat natürlich damit zu tun, dass ich an keine über irdische Macht – im göttlichen Sinne – glauben kann. Beeindruckend ist für mich einzig und allein die Komplexität der Natur, des menschlichen Gehirns und des Universums an sich. Bevor ich jetzt allerdings schweife, und genau das habe ich bereits getan, will ich mich wieder dem eigentlichen Thema meiner inzwischen dreizehn Jahre dauernden Erkrankung widmen. Denn auch dieser Sachverhalt bietet genug Komplexität, und zwar einen nicht abnehmende sondern vielmehr stetig zunehmende, die mich in die Lage versetzt Ihnen darüber zu berichten. Dies wäre dann auch die Premiere Absicht dieses Schriftstücks: ein Mitteilendes
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