Die Bedienungen der 2-Zentimeter-Flak-Vierling 38 saßen frierend in ihren Unterständen, es wurde nachts jetzt schon empfindlich kalt. Am Zaun patrouillierten Doppelposten und ansonsten schien alles so, wie es auch die Wochen vorher gewesen war, nichts passierte. Nur einmal, nach Errichtung des Munitionslagers, hatten Partisanen einen Angriff unternommen, aber die Flakkanoniere hatten ihre Waffen für den Erdkampf vorbereitet und die eingespielten Bedienungen kamen auf eine Schussfolge von 800 Patronen pro Minute. Die Russen wurden in diesem Feuerhagel regelrecht zerrissen, und es gab keine weiteren Versuche mehr, das Lager einzunehmen. Die Deutschen hatten also eine gewisse Garnisonsmentalität angenommen, aber das Wachregime funktionierte weiterhin ohne Probleme und wurde streng durchgeführt. Die Männer eines der Doppelposten drehten bedächtig ihre Runden in dem ihnen zugewiesenen Bereich.
„So eine Scheiße“ sagte der eine „bald wird es wieder arschkalt werden und in unseren Erdbunkern wird es ja nie so richtig warm. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf einen weiteren Winter hier freue. Außerdem würde ich Weihnachten gern bei meiner Frau und den Kindern sein.“
„Vergiss‘ es“ erwiderte der andere „jetzt wird erst einmal gesiegt, dann kannst du vielleicht mal nach Hause fahren. Paulus scheint in Stalingrad ganz gut voran zu kommen, und wenn er über die Wolga übersetzen könnte wäre das ein entscheidender Schritt, um weiter nach Osten vorrücken zu können. Du wirst sehen, nächstes Jahr wendet sich das Blatt und wir machen dem Iwan wieder Beine, so wie 1941. Außerdem geht’s uns doch hier nicht schlecht, oder? Oder hast du Lust, dir an der Front die Knochen zerschießen zu lassen?“
„Nee, natürlich nich. Als wir auf Moskau in unseren dünnen Sommeruniformen vorgerückt sind und der Iwan uns dann in Schnee und Eiseskälte zurückgetrieben hatte, hab‘ ich mir am linken Fuß zwei und am rechten Fuß eine Zehe erfroren. Die hat man mir dann ohne großes Federlesens im Lazarett amputiert. Der Arzt hat die einfach in einen Blecheimer geworfen, wie Abfall! Da dachte ich mir, jetzt ist der Krieg für dich vorbei. Denkste! Sagt mir doch son arroganter Kerl auf dem Wehrkreisamt, dass ich weiterhin frontdiensttauglich bin und für Führer und Vaterland kämpfen kann, allerdings nicht bei der Infanterie, weil ich ja die langen Märsche nich mehr schaffen würde. Also bin ich hier gelandet. Aber hast ja recht, schlecht geht‘s uns hier nicht.“
Die beiden Posten begaben sich wieder auf den Rückweg, nachdem sie das Ende ihres Abschnittes erreicht hatten.
„Hörst du das auch“ fragte der eine Soldat gespannt nach einer Weile.
„Was?“
„Na da ist so was wien fernes Brummen.“
„Ich höre nichts.“
„Sag mal, machst du dir ab und zu mal die Ohren sauber? Oder wasch dir ab und zu mal die Füße, da rutscht der Dreck besser nach. Hör‘ mal genau hin.“
Der andere Mann lauschte, dann sagte er:
„Stimmt, ich hör‘ auch was. Das wird auch lauter. Was kann das sein?“
„Flugzeuge?“
„Um diese Zeit, Quatsch! Ist doch noch viel zu dunkel. Die sehn doch gar nichts.“
„Du, da is was. Ich informiere mal den wachhabenden Offizier.“
Der Mann ging zu einem Feldfernsprecher, drehte die Kurbel und meldete dann:
„Unklare Geräusche, näherkommend.“
Kurze Zeit später war ein Oberleutnant bei den Posten, auch er lauschte.
„Alarm auslösen“ befahl er, einer der Posten drehte die Kurbel einer Sirene.
Ein heulender Ton zog über das Gelände, nach 3 Minuten hatten die Soldaten ihre Positionen eingenommen. Die Flakkanoniere hatten die Munitionsmagazine in die Waffen eingeführt, die MG-Schützen die Gurte in die Waffen eingelegt. Die PaK Bedienungen hockten hinter den Schutzschilden ihrer Geschütze. Die in dem Wald verborgenen Panzer wurden über Funk informiert, dass höchste Alarmbereitschaft ausgerufen sei, sie sollten die Motoren warm laufen lassen.
Günther Weber, 12. November 1942, Russland
Vor fast genau 4 Wochen hatte das SS-Bataillon mit anderen deutschen Einheiten Novosil nach einem kurzen aber heftigen Kampf eingenommen. Für Günther Weber war es unverständlich geblieben, warum die Russen den Ort nicht besser geschützt und dort nur leichte Waffen und einige PaK stationiert hatten. Die deutschen Panzer waren relativ schnell durch die Verteidigungslinie durchgestoßen und die anderen Truppen hatten einen Ring um den Ort gebildet. Erstaunlicherweise gaben die Russen schnell auf, aber dann stellte sich heraus, dass sie trotz der strategisch interessanten Lage des Ortes weder ausreichend mit Munition noch mit Verpflegung versorgt worden waren und sich demzufolge schnell verschossen hatten. Einigen kleineren Gruppen war es gelungen aus der Umklammerung durch die Deutschen auszubrechen, aber der größte Teil der Russen, ungefähr 1.200 Mann, ging in Gefangenschaft. Weber war mit den Männern seiner Kompanie in einem Teil einer leeren Werkhalle untergekommen. Auch die anderen beiden Kompanien waren dort untergebracht worden und die Soldaten hatten sich so gut es ging Schlafstätten aus Stroh gebaut. Seit der Einnahme des Ortes hatten die Männer die Aufgabe einer Garnisonsbesatzung übernommen. Nur einige Panzer waren im Ort verblieben und nur ein paar PaK waren an den Rändern der kleinen Stadt in Stellung gegangen, weil man momentan nicht von gegenwärtig zu erwartenden Operationen der Russen ausging. Die Kämpfe waren ohnehin abgeflaut, denn noch herrschte die Schlammperiode, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis es wieder heftig kalt werden würde. Schon jetzt waren die Temperaturen auf 5 Grad gesunken aber das reichte nicht aus, den Schlamm erstarren zu lassen. In der Halle waren einige Kanonenöfen aufgestellt worden aber durch die Höhe des Gebäudes wurde es so gut wie nie warm, und die Männer schliefen in ihren Winteruniformen. Günther Weber versuchte, so wie die anderen auch, die Zeit totzuschlagen, aber es gab natürlich wenige Gelegenheiten dazu. Er schrieb öfter an seine Eltern und Karla. Sein Vater hatte berichtet, dass die Bombenangriffe in der letzten Zeit an Intensität zugenommen hätten, aber ihr relativ kleiner Ort stand noch nicht im Visier der Engländer und Amerikaner, obwohl dort doch einige Industrie angesiedelt war. Die Produktion wäre immer weiter hochgefahren worden aber es würde sich nun sehr deutlich zeigen, wie viele Männer einberufen worden waren, und auch bestimmte Materialien würden knapp. Dennoch sei er zuversichtlich, dass der Russe nach dem Fall von Stalingrad dann endgültig aufgeben würde. Karla hatte Weber geschrieben, dass sie jetzt von Montag bis Samstag jeweils 10 Stunden am Tag arbeiten müsste und schon merken würde, wie sehr sie das anstrenge. Aber für sie als Nationalsozialistin gäbe es gar keine Diskussion darüber, es sei erforderlich und damit richtig.
Novosil war mit dem deutschen Hinterland über einige Straßen verbunden, aber das große Waldstück blieb weiterhin eine Gefahrenquelle. Kurz nach der Einnahme des Ortes war der Befehl ergangen, die beim Vormarsch durch den Wald gefallenen deutschen Soldaten zu bergen. Für die Wehrmacht und SS war es selbstverständlich, ihre Toten auch unter der Inkaufnahme weiterer Verluste ordentlich zu bestatten. Günther Weber hatte mit seiner Kompanie den Auftrag erhalten zu der Stelle vorzurücken, wo die Russen den Panzer IV vernichtet hatten und einige Soldaten in den Minenfeldern ums Leben gekommen waren. Ein Zug Pioniere, die Minen räumen sollten, würde die Einheit verstärken. Allen war klar, dass sich versprengte Rotarmisten und Partisanen in dem weitläufigen Gebiet aufhalten könnten und den Vorteil der genauen Geländekenntnis hatten. Aufklärungsflüge über dem Gebiet hatten keine Erkenntnisse darüber erbracht, wo mit dem Gegner zu rechnen war. Es war eine denkbar schwierige Aufgabe bis zu der Stelle zu gelangen, und nicht in Hinterhalte zu geraten. Einige der Männer der SS-Kompanie, die schon länger bei der Truppe waren, hatten Erfahrungen in der Partisanenbekämpfung und wussten genau, wie gefährlich der Einsatz werden konnte. Insgesamt sah der Plan so aus, dass die Männer mit ihren Schützenpanzerwagen bis an den Waldrand vorrücken, dann absitzen und in weit auseinandergezogenen Schützenketten und sich gegenseitig Deckung gebend das Zielgebiet erreichen sollten. Dazu sollten sie rechts und links neben dem Waldweg marschieren und zwei der Schützenpanzerwagen würden ihnen folgen, sie sollten dann die Toten aufnehmen und transportieren. Wenn es möglich wäre sollten Gefechte vermieden werden, für das Ausräuchern des Feindes dort würde demnächst eine größere Operation stattfinden.
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