Oh! Vater! sagte das Mädchen, die Hände faltend, verzeihen Sie Ihrem Kinde, daß es Ihnen schlimme Botschaft bringt.
Morel wurde furchtbar bleich; Julie warf sich in seine Arme.
Oh, Vater! Vater! rief sie, Mut gefaßt!
Der Pharao ist also zu Grunde gegangen? fragte Morel mit zusammengeschnürter Stimme.
Das Mädchen antwortete nicht, sondern machte nur ein bejahendes Zeichen mit seinem an die Brust des Vaters gelehnten Haupte.
Und die Mannschaft? fragte Morel.
Gerettet, antwortete das Mädchen, gerettet durch das bordolesische Schiff, das soeben in den Hafen eingelaufen ist.
Morel hob seine Hände mit einem Ausdruck voll Ergebenheit und erhabener Dankbarkeit zum Himmel empor und sagte: Ich danke, mein Gott, ich danke; wenigstens schlägst du nur mich allein.
So phlegmatisch der Engländer war, so befeuchtete doch eine Träne sein Augenlid.
Tretet ein, sagte Herr Morel, denn ich vermute, ihr seid alle vor der Türe.
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als Frau Morel schluchzend eintrat; Emanuel folgte ihr; im Vorzimmer sah man die rauhen Gesichter von sieben bis acht halbnackten Matrosen. Beim Anblick dieser Menschen bebte der Engländer; er machte einen Schritt, als wollte er auf sie zugehen, aber er bezwang sich und drückte sich im Gegenteil in den dunkelsten Winkel des Zimmers. Frau Morel setzte sich in den Lehnstuhl und nahm die Hand ihres Gatten, während Julie, an die Brust ihres Vaters gelehnt, stehen blieb.
Wie ist es zugegangen? fragte Herr Morel. Tretet näher, Penelon, und erzählt! Wo ist der Kapitän?
Was den Kapitän betrifft, Herr Morel, so ist er krank in Palma geblieben; doch wird es wohl nichts weiter sein, und Sie werden ihn in einigen Tagen wohl und gesund ankommen sehen.
Gut . . . nun sprecht, Penelon.
Penelon erzählte, wie der Pharao bei Kap Blanc von einem heftigen Sturm überfallen wurde und trotz heldenmütigem Widerstande untergegangen sei, nachdem sich die Mannschaft und der Kapitän in ein Boot gerettet hatten.
Als der Alte geendet hatte, sagte Herr Morel: Gut, mein Freund, ihr seid brave Leute, und ich wußte zum voraus, daß bei dem Unglück, das mir begegnet ist, nichts anders schuld war als mein Verhängnis. Es ist der Wille Gottes und nicht der Fehler der Menschen. Nun sagt, wieviel Sold bin ich euch schuldig?
Ah! bah . . . sprechen wir nicht davon, Herr Morel.
Im Gegenteil sprechen wir davon, erwiderte der Reeder mit traurigem Lächeln. Cocles, bezahlen Sie jedem von diesen braven Leuten zweihundert Franken. Zu andrer Zeit hätte ich gesagt: Geben Sie jedem zweihundert Franken über seinen Lohn, aber die Zeiten sind ungünstig, meine Freunde, und das wenige Geld, das mir übrig bleibt, ist nicht mehr mein Eigentum; entschuldigt mich also und liebt mich darum nicht minder!
Penelon zeigte eine gerührte Miene, er wandte sich gegen seine Gefährten um, sprach einige Worte mit ihnen, kam dann zurück und sagte: Was das betrifft, Herr Morel, was das betrifft . . .
Nun?
Nun, Herr Morel, die Kameraden meinen, sie hätten für den Augenblick mit fünfzig Franken jeder genug, und sie könnten mit dem Reste warten.
Ich danke, meine Freunde, rief Herr Morel, tief erschüttert, ihr seid brave Leute; aber nehmt nur, nehmt, und wenn ihr einen guten Dienst findet, tretet ein, ihr seid frei.
Diese letzten Worte brachten eine wunderbare Wirkung auf die Matrosen hervor; sie schauten einander mit bestürzter Miene an. Penelon, dem es an Atem fehlte, hätte beinahe seinen Kautabak verschluckt; zum Glück fuhr er zu rechter Zeit mit der Hand an seine Zunge.
Wie, Herr Morel! sagte er mit zusammengepreßter Stimme, wie? Sie schicken uns weg, Sie sind also unzufrieden mit uns?
Nein, Kinder, erwiderte der Reeder, nein, ich bin nicht unzufrieden mit euch, im Gegenteil; nein, ich schicke euch nicht weg. Aber was wollt ihr, ich habe kein Schiff mehr, und bedarf folglich auch keiner Matrosen.
Wie? Sie haben keine Schiffe mehr? rief Penelon; wohl, Sie lassen andere bauen, und wir warten.
Ich habe kein Geld mehr, um Schiffe bauen zu lassen, Penelon, entgegnete Herr Morel traurig lächelnd; ich kann also euer Anerbieten nicht annehmen, so freundlich es auch ist.
Wohl, wenn Sie kein Geld haben, so dürfen Sie uns nicht bezahlen, wir machen es, wie es der arme Pharao gemacht hat, wir laufen aufs Trockene.
Genug, genug, meine Freunde, erwiderte Herr Morel, dem vor Rührung beinahe die Sprache versagte. Wir werden uns in besseren Zeiten wiederfinden. Emanuel, begleiten Sie diese braven Leute, und seien Sie dafür besorgt, daß meine Wünsche erfüllt werden.
Also wenigstens auf Wiedersehen, nicht wahr, Herr Morel? versetzte Penelon.
Ja, meine Freunde, ich hoffe wenigstens; geht!
Auf ein Zeichen seiner Hand marschierte Cocles voran. Die Matrosen folgten dem Kassierer, und Emanuel folgte den Matrosen.
Nun laßt mich einen Augenblick allein, sagte der Reeder zu seiner Frau und zu seiner Tochter, ich habe mit diesem Herrn zu sprechen.
Und seine Augen richteten sich auf den Vertreter des Hauses Thomson und French, der während des beschriebenen Auftritts unbeweglich in seiner Ecke stehen geblieben war. Die Frauen schauten den Fremden an, den sie völlig vergessen hatten, und entfernten sich sodann; nur die Tochter warf im Weggehen dem Engländer einen inständig bittenden Blick zu, den er mit einem Lächeln erwiderte. Die Männer blieben wieder allein.
»Nun«, sagte Morel, »Sie haben alles gesehen und gehört, und ich habe Ihnen nichts mehr mitzuteilen.«
»Ich habe gesehen, mein Herr«, erwiderte der Engländer,»daß Ihnen ein neues Unglück, so unverdient als die anderen, widerfahren ist, und das hat mich in meinem Wunsche, Ihnen angenehm zu sein, bestärkt.«
»Oh! mein Herr . . .«
»Ich bin einer von Ihren Hauptgläubigern, nicht wahr?«
»Sie sind wenigstens der, welcher die Wechsel kürzester Sicht von mir in Händen hat. Eine Fristverlängerung könnte mir die Ehre und folglich das Leben retten.«
»Wieviel verlangen Sie?«
»Zwei Monate«, sagte Morel zögernd.
»Gut«, sagte der Fremde, »ich gebe Ihnen drei«.
»Doch glauben Sie, daß das Haus Thomson und French . . . ?«
»Seien Sie unbesorgt, ich nehme alles auf mich . . . Wir haben heute den 5. Juni. – Schreiben Sie also alle diese Papiere auf den 5. September um, und an diesem Tage um elf Uhr morgens werde ich mich bei Ihnen einfinden.«
»Ich werde Sie erwarten, mein Herr, und Sie sollen Bezahlung erhalten, oder ich bin tot.«
Diese letzten Worte sprach Morel so leise, daß sie der Fremde nicht hören konnte. Die Papiere wurden umgeschrieben, die alten zerrissen, und der arme Reeder hatte wenigstens drei Monate vor sich, um seine letzten Mittel aufzubieten. Der Engländer empfing seinen Dank mit dem seiner Nation eigentümlichen Phlegma und nahm von Morel Abschied, der ihn unter Segnungen bis an die Tür zurückführte. Auf der Treppe traf er Julie; das Mädchen tat, als ob es hinabginge, aber es wartete auf ihn.
»Oh! Herr . . .« rief Julie die Hände faltend.
»Mein Fräulein«, sagte der Fremde, »Sie werden eines Tages einen Brief, unterzeichnet . . . Simbad der Seefahrer . . ., erhalten. Tun Sie Punkt für Punkt, was der Brief sagt, so seltsam Ihnen auch die Aufforderung erscheinen mag.«
»Gut, mein Herr«, erwiderte Julie.
»Versprechen Sie es mir?«
»Ich schwöre es Ihnen.«
»Leben Sie wohl, mein Fräulein; bleiben Sie stets ein gutes, frommes Mädchen, und ich hoffe, Gott wird Sie dadurch belohnen, daß er Ihnen Herrn Emanuel zum Gatten gibt.«
Julie stieß einen leichten Schrei aus, wurde rot wie eine Kirsche und hielt sich am Geländer, um nicht zu fallen. Der Engländer entfernte sich mit einer Verneigung. Im Hofe begegnete er Penelon; dieser hatte eine Rolle von hundert Franken in der Hand und schien sich nicht entschließen zu können, das Geld fortzutragen.
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