„Sie werden alle sterben“, zischte der Fremde und Sirian sah überrascht auf.
Mit einem Nicken deutete der Fremde auf Melanies Haus; Azard trat an die Haustür vor, zog einen kleinen Dolch, öffnete die Tür einen Spalt breit und holte eine 'Kugel' hervor, die er mit einem kalten Lächeln streichelte.
„Was ist das?“, fragte Sirian hinter der Hand des Fremden und dieser lachte freudlos auf.
„Eine Art Drachenbombe nur im kleinen Format. Bei Stoßangriffen werden sie meist verwendet, um das Gebiet soweit zu räumen, dass man relativ sicher stürmen kann. Godric hat sie entworfen, während der Zeit der Vampirkriege. Eine kleine magische Kapsel enthält Drachenfeuer und sobald man sie aktiviert, hat man fünf Sekunden, bevor sie explodiert und alles in flüssiges Feuer taucht, das sich mit Wasser nur sehr schwer löschen lässt. Diese Flammen kann man nur ersticken, nicht wirklich löschen“, erklärte der Fremde und Sirians Augen weiteten sich.
Godric soll das entworfen haben? Der friedliebende, freundliche Priester hat Waffen konstruiert?
Sirian warf seinem Retter einen verstohlenen Blick zu.
Und woher weiß er das alles? Er kennt die Inquisition, kennt ihren Anführer, weiß, dass das eine kleine Drachenbombe ist, kennt ihren Erfinder und wann sie benutzt worden sind. Wer bei den drei Säulen ist das?
Azard ließ die Kugel leicht klicken und rollte sie in das Haus, schlug die Tür zu und hieb einen Dolch quer durch das Schloss, so dass es nicht mehr funktionierte.
Sirians Augen weiteten sich und er wollte schreiend aus seiner Ecke brechen und Azard angreifen, aber der Fremde hielt ihn eisern fest und zog ihn weiter weg, tiefer in die Schatten hinein.
Azard trat nur einige Schritte zurück und versteckte sich hinter einer Ecke, während die Männer drinnen das Zuschlagen der Tür mit einem überraschten Grunzen quittierten.
Plötzlich sah einer von ihnen die kleine Drachenbombe und laute Schreie erhoben sich, jemand warf sich gegen die blockierte Tür und mit einem ohrenbetäubenden Fauchen schossen auf einmal Flammen aus den Fenstern, ließen die Bullaugen explodieren, die Tür barst nach außen und brennende Männer rannten kreischend heraus, warfen sich auf den Boden und wälzten sich im Schlamm, aber sie brannten weiter, egal wie nass sie wurden.
Die Druckwelle schlug Sirian ins Gesicht und das Feuer breitete sich schlagartig nach oben aus, brannte sich die weiteren Etagen des Hauses hinauf und der schwarze Qualm stieg hinauf in die Luft, deutlich sichtbar am Mittagshimmel Moréngards.
Azard wandte sich von den Flammen ab und Sirians Versteck zu, rannte los und der Fremde seufzte leicht überrascht.
„Wir müssen hier weg und das so schnell wie möglich …“, stöhnte er und warf sich Sirian auf die Schultern, als wöge dieser nichts.
Sirian schlug auf den Rücken des Fremden, trat mit den Beinen aus, aber es fühlte sich an, als schlüge er mit den bloßen Fäusten auf Stahl.
„Lass mich gegen Azard kämpfen! Ich will meine Schwester rächen! Lass mich los, verdammt …!“
Weiter kam er nicht, denn der Fremde schoss los, schneller als ein gewöhnlicher Mensch es jemals könnte und ließ das brennende Gebäude weit hinter sich. Je weiter sie davon weg kamen, desto öfter kamen ihnen panische Bürger entgegen, die Eimer voll Sand, Schlamm oder Wasser trugen, um das Feuer zu löschen. Einer schrie laut, man solle eine Kette zu den Docks bilden, aber die Menschen rannten panisch umher, versuchten teils zu fliehen, teils zu helfen.
Ein Funke an der falschen Stelle und das gesamte Viertel würde in einem gewaltigen Feuersturm untergehen; Sirian konnte nicht fassen, dass jemand so viel Schaden riskierte, nur um ihn zu töten!
Allerdings würden jegliche Beweise nun vollkommen vernichtet – niemand würde mehr nachvollziehen können, dass es sich um einen Mord gehandelt hatte; es glich einem Unfall … einem Unfall mit gewaltigem Ausmaß.
Nach einer Weile ließ der Fremde Sirian von seiner Schulter fallen und hielt ihn so fest, dass er sich nicht rühren konnte; der Fremde lauschte kurz.
„Wir haben Azard abgehängt … sehr gut. Sirian, hast du einen Ort, an den du dich in so einem Fall zurückziehen kannst? Irgendjemand, dem du vertraust?“
Sirian nickte wie betäubt; er schaffte es immer noch nicht, all das was geschehen war, zu realisieren.
Mein Zuhause ist vernichtet, die Hafenstadt wird mit etwas Pech abbrennen und meine Schwester wurde wegen des Mordes an Godric ermordet … und das nur weil sie davon wissen könnte.
Wo soll ich jetzt hin? Wie soll ich weitermachen? Alles, was mir im Leben einmal wichtig war, ist in Flammen aufgegangen.
Sirian starrte regungslos auf den matschigen Boden und versuchte die gewaltige Last der Schuld auf seinen Schultern abzulegen, doch er schaffte es nicht. Er war schuld am Tod seiner Schwester, daran gab es keinen Zweifel – er ganz allein.
Ich hatte niemals die Chance, ihr endlich die Wahrheit zu sagen. Ich habe sie angelogen, ihr ganzes Leben lang und als ich es ihr sagen wollte, hat das Schicksal mir diese Chance genommen. Nun muss ich mit dem Wissen leben, niemals zu Melanie ehrlich gewesen zu sein.
Halb erwartete er, plötzlich schweißgebadet aufzuwachen, irgendwo in der Festung und gesagt zu bekommen, dass er aufstehen könne, dass Godric noch am Leben sei und er zu seiner Schwester dürfe.
„Ich kenne einen Paladin namens Liyold; er hat mich im Hafenviertel gefunden und mich zu Aaron gebracht“, antwortete er langsam und hob den Kopf.
Liyold war der Einzige, dem er mit Aaron noch trauen konnte; die einzige andere Person, der er vertraut hatte, war nun tot, einfach vom Antlitz der Welt gewischt.
„Gut“, antwortete der Fremde leise und ließ seine Fingerknochen krachen, „dann suche diesen Liyold auf und lasse dir dort weiterhelfen. Es tut mir leid.“
Trotz seiner Erschöpfung schaffte Sirian es, überrascht drein zu blicken.
„Es tut dir leid? Was soll dir denn leidtun? Du hast absolut gar nicht …“, der Fremde griff nach ihm und bevor Sirian seinen Satz beenden konnte, warf er Sirian in eine kleine Mulde im Fundament eines Hauses, die in die Kanalisation führte. Fassungslos rutschte Sirian über die steinerne Kante, der Gestank der Kanalisation schlug ihm in die Nase und er krachte mit voller Wucht auf den Stein, rutschte halb in das dreckige Wasser.
Bevor er das Bewusstsein verlor, hörte er Azard oben laut fluchen.
Heute habe ich eine Rede vor dem Gilderat Moréngards halten dürfen, nachdem mir Lyras diese Möglichkeit arrangiert hat. Im Gilderat sitzen all die, die begreifen, dass mein Vater nicht der Mann ist, der sie retten wird; außer den Königstreuen, den Soldaten meines Vaters, scheint jeder von ihnen begriffen zu haben, dass nur ich sie retten kann.
Ich weiß, das hört sich egozentrisch und arrogant an, aber ich habe die letzten Schlachten gegen die Vampire geschlagen! Ich stand dort, vorne in den ersten Reihen und habe mit Ragnir an meiner Seite Tod und Verderben unter den Vampiren gesät – und wir haben gewonnen.
Wir haben es bereits geschafft, sie hinter die Linien zurückzudrängen, in denen sie sich eingegraben haben.
Der Gilderat hat mir die Gelder zugesichert, die ich brauche, um einen Wall aus Festungen zu bauen, der das Herz Moréngards, nämlich den Westen, vom Osten trennt, wo wir kaum vorteilhaftes Gelände haben, um uns verteidigen zu können; alle verfügbaren Männer und Frauen werden zum Bau dieses lazianischen Walls angefordert werden und die Kosten übernimmt mein Vater, König Maioran.
Alle industriell und wirtschaftlich wichtigen Gebiete sollten somit geschützt sein und es uns erlauben, diesen Krieg weiterzuführen, ohne dass wir mit Verlusten in der Wirtschaft zu rechnen haben. So wird es uns möglich sein, uns wirksam zu verteidigen und langsam aber sicher eine Armee auszuheben, mit der wir einen Angriff führen können. Die Vampire haben nur eine begrenzte Anzahl von Blutsklaven, die sie mit sich führen können und wir setzen alles daran, ihre Versorgungslinien zu unterbrechen.
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