Wenn sie sich etwas auffällig und prima vista für Völkern entscheidet, ist das ein Frühlingssturm, welcher vielleicht doch noch abflaut, ehe ein bindendes Wort gesprochen wird.
Fürerst darf der Schwerenöter Bonaventura die Schleppe tragen — wer weiß aber, ob sich nicht doch noch ein Unwiderstehlicherer findet, welcher ihm mit energisch keckem Griff die weichen Seidenfalten aus der Hand windet und sich selber in die Rechte eines Auserkorenen einsetzt!
Als Gräfin Malva in der Bahn erscheint, wird sie von allen Seiten so lebhaft begrüßt, daß Völkern kaum Gelegenheit findet, sich zu nähern.
Als er es endlich tut, schreitet Fräulein Ellinor neben ihm und reicht ihr so vertraut und freundschaftlich die Hand, wie einer guten Freundin.
»Welch herrliche Veilchen!« sagt sie mit den »ahnungslosesten« Augen, welche man sich denken kann, und lacht leise auf: »Hängt vielleicht auch eine Schleife mit ›I love you!‹ daran, wie es bei den Veilchenfressern Sitte ist?«
Malva ärgert sich über sich selbst, daß ihr das Blut in die Wangen steigt.
Achselzuckend hebt sie den Strauß empor.
»Wie Sie sehen — nein!«
»Es kommt wohl nach!« —
»Bombensicher! Bitte, beichten Sie, Komtesse, welcher dienstfreie Bursche hat ihn heute morgen abgegeben?« —
»Fehlgeschoßen!«
Fräulein von Heym stampft abwechselnd mit den Füßen, um sich zu erwärmen; sie hebt lachend die Hand: »Ich bitte Sie, Baron, welch ein Mann, der tatsächlich Feuer gefangen, überläßt seine Huldigungen einem gebildeten Hausknecht?! Wenn er persönlich seine Gefühle durch ›die Blume‹ ausdrücken kann, wird er dies Verfahren doch stets vorziehen!«
»Hört, hört! — Beifall auf allen Seiten!«
»Was bedeuten denn Veilchen in der Blumensprache, Komtesse? «—
»So viel ich weiß: du bist sehr bescheiden!«
»Weiter nichts?«
»Unsinn, nur Lumpe sind bescheiden! Ich taxiere folgendermaßen: Frühlingserwachen und der Liebe Erwachen! Das erste Lenzeszeichen in der Natur ist das Veilchen, darum macht man es auch zur Botin junger Liebe!«
»Sehr poetisch!«
»Darf ich Ihnen nachher ein Dutzend Veilchensträuße schicken, meine Gnädigste?«
»Wenn dieselben bezahlt sind, ja!«
»Fatal! Wer wird so genau sein! — Wir haben doch heute schon den achtzehnten Januar!«
»Da sieht man, wie der Mensch in den Tag hineinlebt — schauderhaft! In allen Dingen um ein Jahrhundert zurück!«
Herr von Heym hatte in angeregtem Gespräch neben Gräfin Margarete gestanden; aber man sah es dem Ausdruck seines Gesichts an, daß ihm kein Wort der Unterhaltung entging.
Auch seine Nachbarin wurde aufmerksam und lauschte nach den Lachenden hinüber.
Dann trat sie überrascht einen Schritt näher und deutete auf die Blumen.
»Malva! Wo hast du denn plötzlich die schönen Veilchen her?« —
»Pst! Diskretion, Gräfin!!«
»Es gibt Heinzelmännchen, Tante Margarete, welche uns über Eis und Schnee hinwegtäuschen wollen!«
Das junge Mädchen versuchte zu scherzen, konnte es aber nicht hindern, daß sie bei der allgemeinen Neckerei, welche sie in solch fatale Situation brachte und welche wohl nicht ohne Ursache so geschickt von Fräulein Ellinor heraufbeschworen war, immer roter und verlegener wurde.
Bonaventura hatte stumm zur Seite gestanden; jetzt heftete er einen scharfen, durchdringenden Blick auf Malva und sagte kurz: »Und wird den Heinzelmännchen diese Suggestion gelingen, Komtesse?«
»Wenn sie keine Stümper sind und es verstehen die Sache recht anzufangen, gewiß!« scherzte Fräulein Ellinor, und Gräfin Margarete steckte fröstelnd die Hände in den Muff und lachte sehr wohlgelaunt: »Du erinnerst an Eis und Schnee, Malva! Da friert man doppelt! Ich schlage vor, wir setzen uns so schnell wie möglich in den Wagen und sausen einer Tasse heißer Bouillon entgegen.«
»Dieser Antrag wird einstimmig angenommen!« verneigte sich Rolf-Valerian sehr höflich. »Am liebsten dann, wenn Frau Gräfin den neutralen Boden eines Frühstückrestaurants bestimmen wollten, wo wir alle uns an der Bouillontasse auftauen könnten!«
»Bravo! Famose Idee!« —
»Seien Sie keine Turandot, Gräfin, und bewilligen Sie uns noch eine Stunde!« —
»Wie steht es Malva — hast du Zeit?« —
Die Komtesse sah auf ihr Uhrenarmband nieder. »Undenkbar — es ist die höchste Zeit, daß ich heimkomme — mein kleines Modell wird sonst ungeduldig und läuft mir davon! — Aber dies ist kein Grund, um die Frühstücksstunde auch für dich zu streichen! — Ich begleite dich bis an Ort und Stelle und fahre dann heim!«
»Nein, nein! — Auf keinen Fall! Auch ich möchte mich gern noch eine Weile ruhen, ehe ich zu dem Wohltätigkeitsbasar fahre! Also heute trinkt jeder seine Fleischbrühe allein, meine Herrschaften — aber das nächstemal —! Am Donnerstag erkläre ich mich zu allen Schandtaten bereit!«
Ein lautes Durcheinander — lebhaftes Bedauern — vergebliche Bitten und Versuche, Malva zum Bleiben zu bestimmen, endlich ein allgemeiner Abschied.
Man schritt durch die Bahn zu den harrenden Wagen.
Rolf-Valerian schloß sich der Gräfin und Malva an — Bonaventura behauptete den Platz an Fräulein Ellinors Seite.
Ein Schatten lag auf seiner Stirn.
»Zu schade, daß Komtesse Kettenau so sehr pflichtgetreu ist! Ich verstehe solche Energie nicht!« sagte Fräulein von Heym in ihrer überlegenen Weise, mit etwas spöttischem Zug um die Lippen. »Es muß doch zum Sterben langweilig sein, nur immer unter dem Druck zwingender Notwendigkeit zu leben! Geradezu entsetzlich! Das ist überhaupt kein Leben! Wenn ich dächte, ich sollte mir nur die geringste Freude um irgendeiner lästigen Arbeit willen versagen, welch ein unwürdiges Dasein!« —
»O ja! Es ist schön, völlig ungebunden und unumschränkter Herr über sich — seine Zeit und seine Börse zu sein!«
Völkern stieß es kurz, beinahe ingrimmig hervor.
Sie blickte naiv zu ihm auf: »Aber kann das nicht jeder?«
»Nein, mein gnädiges Fräulein, ein mittelloser Mensch ist in allem und jedem ein Sklave!«
»Schrecklich! Und die so nette Komtesse ist sehr arm, nicht wahr?« —
Er biß sich auf die Lippe. »Ich glaube es.«
»Ja, ja, völlig mittellos, sagte man mir!« fuhr Ellinor mit einem weichen, beinahe sentimentalen Klang in der Stimme fort; »so etwas muß zum Verzweifeln sein. Ich bin gewiß nicht oberflächlich, aber Armut deucht mir das Unerträglichste, was es gibt! Lieber sterben, als stets entbehren, stets wollen und nicht können — jeder Tag eine Kette neuer Entsagungen und bitterer Enttäuschungen — o, ich begreife es, wenn Ehen, die auf das Nichts gebaut sind, im mordenden Kampf um die Existenz todunglücklich werden!«
»Doch nicht immer!«
»Man wahrt äußerlich den Schein, um innerlich die Last desto ingrimmiger weiterzuschleppen. Es gibt ja Naturen, welche zu Lasttieren geboren sind und mit ihrem Joch stumpfsinnig durch das Leben keuchen; wer aber einmal kennen gelernt hat, was ›Genießen‹ heißt, der kann und wird sich nie und nimmer in der Misere einer mittellosen Ehe wohlfühlen.«
Bonaventura atmete tief auf. »Sie sprechen mir aus der Seele! — Nein, man kann es nicht; es wäre ein Verbrechen an der Unglücklichen, welche man in solche Verhältnisse hineinriß, und an sich selber, so lange man noch nicht völlig mit dem Leben abgeschlossen hat!«
»Und wer tut das freiwillig? Nur ein Narr! Im Gegenteil — nur dann erfüllt ein Mensch den ihm von der Natur erteilten Beruf, wenn er sich auslebt — wenn jede Muskel und Faser seines äußeren und jeder Nerv seines inneren Menschen im Austausch mit den vollen Werten eines reichen, sättigenden Lebens angespannt wird! Darüber lassen Sie uns noch ein wenig eingehender plaudern — es interessiert mich so sehr, Ihre gesunden, lebensfrischen Ansichten zu hören — heute abend, wenn Sie uns die Freude machen bei uns zu dinieren! — D’accord?« —
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