„Im Prinzip ja, aber ich würde es anders nennen. Es könnten auch ein paar ehemalige Prostituierte dabei sein, aber es handelt sich um benachteiligte Frauen, Roger.“ Roger nickte, denn die Idee seines Freundes hatte etwas. Roger wusste, dass Jürgen kein sozialromantischer Spinner war, sondern sich bestens auskannte und ehrlich engagiert war, nicht nur förderte, sondern auch forderte, was die meisten seiner Klientel gut gebrauchen konnten, denn die hatten fast alle verlernt, sich selbst zu helfen, sich selbst etwas zuzutrauen. Außerdem rechnete er sich an, mitgeholfen zu haben, Jürgen bezüglich der Sozialromantik auf den rechten Weg gebracht zu haben. Nach Jürgens Worten verhielt sich das bei diesen Frauen etwas anders; die wollten unbedingt an ihrer unwürdigen augenblicklichen Situation etwas ändern, mussten etwas ändern, um ihren endgültigen Absturz abzuwenden. Das sagte Roger zu, denn nur einfach Geld für fragwürdige Projekte auszugeben, hielt er für nicht zielführend. Jürgen schien das mittlerweile akzeptiert zu haben, was Roger zufriedenstellte. Außerdem würde Jürgen das Projekt leiten, was schon eine gewisse Garantie wäre.
„Deine Skizze war sehr anschaulich, Jürgen. Ich überlege mir mal was. Übrigens: Kann man diese Personen auch mal kennenlernen?“ Jürgen lächelte erleichtert; er hatte seinen Freund interessiert, das war der erste Schritt. Dass Roger die Damen vielleicht mal kennenlernen wollte, war ein gutes Zeichen. Ein sehr gutes, denn für Roger, so wusste Jürgen, war es wichtig, die Menschen, mit denen er auch nur entfernt zu tun hatte, kennenzulernen, wenn auch nicht unbedingt persönlich; er wusste eben gerne, mit wem er es zu tun hatte, vor allem bei Personen mit einem besonderen Hintergrund.
Der weitere Abend verlief dann eher amüsant, was beide Männer genossen. Für Roger war es eine willkommene Ablenkung vom Tagesgeschäft, das bei ihm ja durchaus nicht alltäglich genannt werden konnte, und Jürgen erfreute sich immer wieder an dem Esprit seines Freundes und fand gut, dass er dem Industriellen zu ein wenig Kurzweil verhelfen konnte.
Beim Aufräumen allerdings stellte sich Jürgen Link die Frage, was den Sinneswandel Rogers hinsichtlich seines Projektes bewirkt haben könnte, denn der war in der Vergangenheit, was diese Dinge anlangte, ziemlich kritisch gewesen. Es blieb jedoch bei dieser Frage, denn Jürgen beantwortete sie sich nicht; das hätte er auch nicht gekonnt, weil er die Konstellationen nicht kannte, nicht die der Sterne, sondern andere, eher personelle. Aber diese Frage hätte selbst Roger nicht beantworten können, der zwar die personelle Konstellation kannte, aber nicht um ihre Bedeutung wusste. Noch nicht.
„Ich freue mich auf heute Abend.“ Hönnes sah das Telefon an, über das er seiner Frau gerade gesagt hatte, wann er ungefähr zu Hause sein würde, als wolle es ihn beißen. Gut, es wäre sein erster Abend als Rentner, aber was gab es für seine Frau zu freuen?
„Was ist denn heute Abend?“, fragte er vorsichtig; könnte ja sein, dass er etwas vergessen hatte. Geburtstag? Hochzeitstag?
„Na, das Essen bei ‚Hilde‘.“, meinte seine Frau ungeduldig. Welches Essen bei welcher Hilde? Waren sie eingeladen bei einer ihrer Freundinnen? Besser nicht nachfragen, bestimmt hatte sie es ihm gesagt und er hatte es verdrängt, schließlich war er auch nicht mehr der Jüngste.
„Ist der Chef fertig? Er wollte doch um sechs nach Hause?“ Hönnes stand im Vorzimmer und sah Rehbein an, die ihre Sachen für heute packte. Von den Neuen war nichts zu sehen, obwohl das Gerücht ging, dass sie durchaus sehenswert wären.
„Geh schon einmal rein, er wartet.“ Hönnes war verwirrt. Im Allerheiligsten war er noch nie gewesen. Rehbein nahm ihn lächelnd beim Arm und schob ihn in das Chefzimmer. Er schaute sich um, dann sah er den Chef, wie der sich langsam erhob und sein Jackett zuknöpfte.
„Herr Hönnes! Schön, dass Sie etwas früher gekommen sind.“ Wulvsen nahm einen Umschlag von seinem Schreibtisch und kam auf Hönnes zu. Rehbein lächelte.
„Herr Hönnes, ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Sie haben mich jahrelang gefahren – immer sicher, immer schnell - , Sie haben meine Launen ertragen, waren mein Blitzableiter, mein Seelsorger. Ich glaube nicht, dass es einen besseren Cheffahrer gibt.“ Er reichte Hönnes mit einem seltenen Lächeln den Umschlag. „Nehmen Sie es persönlich. Für all die Jahre. Und jetzt geben Sie mir den Schlüssel.“
„Welchen Schlüssel?“, fragte Hönnes erstaunt.
„Den Autoschlüssel. Sie haben jetzt Feierabend. Ich werde fahren. Und machen Sie den Umschlag auf.“, lächelte der Alte. Hönnes tat, wie ihm geheißen und seine Kinnlade sackte nach unten.
„Das, das … das …“
„Haben Sie sich verdient.“, vervollständigte Wulvsen, nahm seine Tasche, hängte sich seinen Mantel über den Arm und zog seinen Fahrer in den Exklusivlift. „Ich fahre Sie heute.“
Sie hielten vor einem kleinen Reihenhaus.
„Gehen Sie hinein und machen Sie sich ein wenig frisch. Ihre Frau wartet schon auf Sie. Wir fahren dann zusammen weiter.“
„Ich dachte, Sie wollten früh nach Hause.“ Wulvsen schüttelte lächelnd den Kopf.
„Habe es mir anders überlegt.“
„Aber wir sind heute Abend bei Hilde.“, informierte Hönnes tonlos von hinten.
„Ich weiß.“
„Woher…?“
„Ich lade Sie zum Essen ein.“
„Bei Hilde?“, fragte der Exfahrer verwirrt. Wulvsen lachte.
„‘Hilde‘ ist das beste Restaurant in der Stadt, Hönnes.“ Hönnes räusperte sich.
„Das geht nicht.“, sagte er kategorisch, doch er hatte nicht mit seinem Chef gerechnet.
„Und ob das geht.“
„Sie haben mir meinen Traumwagen geschenkt …“
„Und den sollen Sie jetzt ordentlich begießen.“
„Dann kommen Sie wenigstens mit rein.“ Wulvsen zögerte, stieg dann aber aus und folgte Hönnes in das Reihenhaus. Im Flur kam ihnen ein junger Mann entgegen.
„N’Abend Paps. Na, jetzt endgültig Feierabend? Hast du einen Kollegen mitgebracht?“ Hönnes aber hastete bereits die Treppe hinauf, so dass der Mann sich an Wulvsen wenden musste.
„Sind Sie Vaters Nachfolger?“ Wulvsen räusperte sich.
„Äh, nein.“
„Ein Kollege aus der Firma?“
„Sozusagen.“
„Muss ja ein seltsamer Laden sein. Ein Chef, der sich versteckt, alle verschreckt, aber sonst ganz in Ordnung ist, wie mein Alter sagt. Der macht sich wohl einen Spaß daraus, den wilden Mann zu spielen.“, lachte der große Dunkelhaarige. Wulvsen blickte an dem Sohn hinunter.
„Vielleicht sollten Sie sich was anderes anziehen.“
„Wieso?“
„Wir gehen essen.“, erklärte der vermeintliche Kollege des Vaters. Der Sohn, der von seiner Mutter in davon Kenntnis gesetzt worden war, dass seine Eltern essen gehen wollten, sich aber wunderte, dass dieser edel gekleidete Mann und seine Person mit einbezogen werden sollten, trollte sich kopfschüttelnd und wurde von den Eheleuten Hönnes abgelöst.
„Sind Sie der Nachfolger meines Mannes? Das ist aber außergewöhnlich, dass Sie Ihren Einstand mit einem Ruheständler feiern.“, lächelte Frau Hönnes den Fremden an. Hönnes hub an, etwas klarzustellen, kam aber nicht dazu.
„Normalerweise sitze ich hinten, Frau Hönnes, angenehm.“ Die Mundwinkel der Ehefrau rutschten nach unten und ihr Gehirn schien, nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, Unmenschliches zu leisten, doch nach einer Weile schien der Groschen gefallen.
„Sie sind der A … äh, Herr Wulvsen?“, brachte sie hervor.
„Ja, ich bin der Alte.“, gab Wulvsen lächelnd zurück. Hönnes war rot angelaufen, als der Sohnemann im Jackett die Treppe herunterkam und kurz stockte.
„Is was passiert?“
„Auf welchen Namen ist der Tisch reserviert?“, wollte der Chefkellner zum wiederholten Male von seiner Mitarbeiterin wissen.
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