Haley lief auf und ab und fluchte, schimpfte und stampfte mit den Füßen. Vergebens versuchte Mr. Shelby von dem Balkon herab, seinen Leuten Befehle zuzuschreien, und Mrs. Shelby lachte und verwunderte sich abwechselnd am Fenster ihres Zimmers – nicht ohne einige Ahnung von dem wahren Grund der ganzen Verwirrung. Endlich gegen zwölf Uhr erschien Sam triumphierend auf Jerry reitend und Haleys Pferds, das von Schweiß dampfte, dessen funkelnde Augen und große Nüstern aber immer noch zeigten, daß der Geist der Freiheit noch nicht ganz gelähmt war, am Zügel führend.
»Ich habe es!« rief er triumphierend aus. »Wäre ich nicht gewesen, so hätten sie sich alle zu Tode gehetzt, aber ich hab's gefangen!«
»Du!« brummte Haley in durchaus nicht liebenswürdiger Laune. »Wenn du nicht gewesen wärest, wäre das gar nicht vorgefallen.«
»Gott behüte uns, Master«, sagte Sam in einem Ton des tiefsten Leidwesens, »und ich habe nach ihm gehascht und mich abgehetzt, bis mir der Schweiß vom Leibe floß wie ein Regen.«
»Sei still!« sagte Haley. »Mit deinem verdammten Unsinn habe ich fast drei Stunden verloren. Nun laß uns fortreiten und keine Streiche mehr!«
»Aber, Master«, wendete Sam ein, »ich glaube wahrhaftig, Sie wollen uns alle tot machen, die Pferde und uns. Hier können wir kaum noch auf den Beinen stehen, und die Pferde dampfen von Schweiß. Master wird doch nicht daran denken, vor dem Essen fortzureiten? Masters Pferd muß abgerieben werden; sehen Sie nur, wie naß es ist, und Jerry geht auch lahm; glauben Sie nicht, daß Missis uns so fortreiten lassen wird. Gott behüte Sie, Master, wir bringen es wieder ein, wenn wir auch jetzt bleiben. Lizzy war in ihrem Leben keine gute Fußgängerin.«
Mrs. Shelby, die zu ihrem großen Ergötzen von der Veranda aus diesem Gespräch zugehört hatte, entschloß sich jetzt ebenfalls, eine Rolle zu übernehmen. Sie trat hervor, bedauerte sehr höflich den widrigen Zufall, der Haley zugestoßen, und lud ihn dringend ein, zum Essen dazubleiben, welches die Köchin sofort auftragen werde.
Nach einiger Überlegung begab sich Haley mit nicht besonders freundlichem Gesicht in die Wohnstube zurück, während Sam, der ihm mit rollenden Augen voll unsäglicher Bedeutsamkeit nachsah, die Pferde ernsthaft nach den Stallungen zurückführte.
»Hast du ihn gesehen, Andy? Hast du ihn gesehen?« sagte Sam, als er endlich unter den Schutz der Scheune gekommen war und das Pferd an einen Pfahl gebunden hatte. »O Gott, wenn das nicht so gut wie ein Meeting war, ihn tanzen und stampfen und fluchen zu sehen! Ob ich ihn nicht gehört habe! Fluch nur zu, alter Kerl (sagt ich zu mir); willst du nun dein Pferd haben oder warten, bis du es gehascht (sagte ich); Gott, Andy, mir ist, als sähe ich ihn jetzt noch.« Und Sam und Andy lehnten sich an die Scheune und lachten nach Herzenslust.
»Du hättest nur sehen sollen, was er für ein böses Gesicht machte, wie ich das Pferd geführt brachte. Gott, er hätte mich totgeschlagen, wenn er es gekonnt hätte; und ich stand so unschuldig und demütig vor ihm.«
»Ha, ha, ich habe es gesehen«, sagte Andy, »bist du nicht ein alter Fuchs, Sam!«
»Ein bißchen schlau bin ich wohl«, sagte Sam. »Hast du nicht Missis oben am Fenster gesehen? Ich sah, wie sie lachte.«
»Ich bin so gelaufen, daß ich gar nichts gesehen habe«, sagte Andy.
»Siehst du, Andy«, sagte Sam, der jetzt mit ernstem Gesicht Haleys Pferd abrieb, »ich habe, was du eine Gewohnheit der Beobachtung nennen kannst, Andy. Das ist eine sehr wichtige Gewohnheit, Andy, und ich empfehle dir, sie auszubilden, solange du noch jung bist. Heb' mal den Hinterhuf in die Höhe, Andy. Siehst du, Andy, die Beobachtung macht den ganzen Unterschied unter den Niggern. Sah ich nicht gleich, woher heute morgen der Wind wehte? Habe ich nicht gleich gemerkt, was Missis wollte, obgleich sie gar nichts gesagt hat? Das ist Beobachtung, Andy. Ich sollte meinen, das ist so was, was man Genie nennt. Das Genie ist verschieden bei verschiedenen Leuten; aber die Ausbildung kann viel dabeitun.«
»Ich vermute, wenn ich dir heute morgen nicht bei deiner Beobachtung geholfen hätte, hättest du auch nicht so wunderbar viel entdeckt«, sagte Andy.
»Andy«, sagte Sam, »du bist ein vielversprechendes Kind, das läßt sich gar nicht bezweifeln. Ich halte viel von dir, Andy, und schäme mich gar nicht, Ideen von dir zu benutzen. Wir dürfen niemand über die Achsel ansehen, Andy, weil auch die Schlausten von uns manchmal fehlschießen. Und nun, Andy, wollen wir nach dem Hause gehen. Ich will wetten, Missis gibt uns diesmal einen ganz besonders guten Bissen.«
6. Kapitel: Der Kampf der Mutter
Es ist unmöglich, sich ein verlasseneres und unglücklicheres Menschenkind als Elisa vorzustellen, wie sie ihre Schritte von der Hütte Onkel Toms wegwendete. Die Leiden und Gefahren ihres Gatten und die Gefahr ihres Kindes vermischten sich in ihrer Seele mit einem verwirrten und betäubenden Gefühl von der Größe des Wagnisses, das sie selbst unternahm, die einzige Häuslichkeit, die sie jemals gekannt hatte, zu verlassen, und sich von dem Schutz einer Freundin loszusagen, die sie liebte und verehrte. Dann kam die Trennung von jedem vertrauten Gegenstand, von dem Haus, wo sie aufgewachsen war, von den Bäumen, unter denen sie gespielt, von den Gebüschen, wo sie manchen Abend in glücklichen Tagen neben ihrem jungen Gatten gewandelt hatte. Alles, wie es in dem klaren kalten Sternenlicht vor ihr lag, schien ihr vorwurfsvoll zuzusprechen und sie zu fragen, wohin sie aus einer Heimat wie dieser fliehen wolle.
Aber stärker als alles war die Mutterliebe, bis zum Wahnsinn gesteigert durch die große Nähe einer schrecklichen Gefahr. Ihr Knabe war alt genug, um neben ihr zu gehen, und in einem gewöhnlichen Falle würde sie ihn nur an der Hand geführt haben; aber jetzt machte sie schon der Gedanke, ihn aus ihrem Arme zu lassen, schaudern, und sie drückte ihn, wie sie raschen Laufs davoneilte, krampfhaft an den Busen.
Der gefrorene Erdboden knisterte unter ihrem Fuße, und sie zitterte bei seinem Laut; jedes raschelnde Blatt und jeder wankende Schatten machten ihr Blut stocken und beschleunigten ihre Schritte. Sie wunderte sich selbst über die Kraft, die sie plötzlich erlangt zu haben schien: denn ihr Knabe kam ihr federleicht vor, und jede Bebung der Furcht schien in ihr die übernatürliche Kraft zu steigern, die sie aufrecht erhielt, während von ihren bleichen Lippen in häufigen Ausrufungen das Gebet an einen Freund droben zitterte: »Gott hilf mir! Gott rette mich!«
Wenn es dein Harry wäre, Mutter, oder dein Willi, den dir morgen früh ein roher Händler entreißen wollte – wenn du den Mann gesehen und gehört hättest, daß die Verkaufskontrakte unterschrieben und ausgewechselt wären und du nur die Stunden von Mitternacht bis zum Morgen zu deiner Flucht hättest – wie rasch würdest du dann gehen? Wie viele Meilen würdest du in diesen wenigen Stunden mit dem Liebling an deinem Herzen zurücklegen – das müde Köpfchen an deiner Brust ruhend – die weichen Arme vertrauensvoll um deinen Hals geschlungen?
Denn das Kind schlief. Anfangs hielten die Neuheit und die Unruhe es wach, aber die Mutter unterdrückte so aufgeregt jeden Hauch oder Ton und prägte ihm so sehr ein, daß sie nur, wenn es ganz still sei, es retten könne, daß es ruhig an ihrem Busen nestelte und nur fragte, als es den Schlaf über sich kommen fühlte:
»Mutter, ich brauche nicht wach zu bleiben, nicht wahr?«
»Nein, liebes Kind, schlafe, wenn du kannst.«
»Aber Mutter, wenn ich einschlafe, wirst du mich doch nicht von ihm haschen lassen?«
»Nein! So Gott mir helfe!« sagte die Mutter mit bleichen Wangen und einem strahlenden Licht in ihren großen dunklen Augen.
»Weißt du das gewiß, Mutter?«
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