Günther Weber hatte dem Fahrer befohlen, zu einem der abgeschossenen Schützenpanzerwagen zu fahren. Zusammen mit den anderen Männern stieg er aus, als sie dort angekommen waren. Die Panzergranate hatte die rechte Seite glatt durchschlagen, der nur 8 Millimeter dicke Stahl hatte der Wucht des Geschosses nicht standhalten können. Was Weber wunderte war, dass niemand der Männer aus dem Fahrzeug herausgekommen und die Hecktür geschlossen war. Er stieg über den vorderen Kotflügel auf die Motorhaube, zog die Plane über dem Mannschaftsraum zur Seite und erstarrte. Das Geschoss hatte ähnlich wie die deutsche Panzergranate 39 eine Sprengstofffüllung besessen, die die Granate nach dem Durchschlag der dünnen Seitenpanzerung zur Explosion gebracht hatte. Die Splitter der Panzerung und der Granate hatten in dem Inneren des Schützenpanzers eine verherrende Wirkung gehabt. Ein auf der rechten Sitzbank kurz hinter dem MG-Schützen hockender Soldat war von dem Geschoss direkt in den Rücken getroffen worden, sein Oberkörper war komplett zerfetzt, der Kopf abgetrennt worden. Da der Mannschaftsraum keine Abtrennungen hatte sondern ein durchgehend Bereich war, hatten sich die Splitter ohne Widerstand dort ausbreiten können. Alle 12 Männer, 10 Soldaten, der Fahrer und der MG-Schütze, waren tödlich verletzt worden. Der Mannschaftsraum schwamm im Blut, überall lagen abgerissene Körperteile herum. Zu dem Schlachthofgeruch kam noch der Gestank von Kot, den die Männer in ihren Därmen gehabt hatten. Weber wusste, dass keine Zeit sein würde, die Männer, oder das, was von ihnen übrig geblieben war, irgendwie zu bestatten, die Russen saßen ihnen im Nacken und die unverhofft aufgetauchten T 34 schienen darauf hinzudeuten, dass russische Einheiten sie in den Flanken bereits überholt hatten. Irgendeinen seiner Männer in den Transporter zu schicken oder selbst hineinzusteigen um den Toten ihre Erkennungsmarken abzunehmen schloss er aus, es wäre eine zu grausame Arbeit gewesen, in diesem Brei von menschlichen Körperteilen noch danach zu suchen. Außerdem wusste er, wer in dem Schützenpanzerwagen gesessen hatte, es waren Männer seiner Kompanie gewesen. Um den Russen aber nicht die Genugtuung zu lassen, die Leichen so grausam verstümmelt vorzufinden, hatte Weber etwas anderes vor.
„Werner“ rief er „bring mir einen 20 Liter Kanister Benzin und einen Putzlappen.“
„Wieso“ fragte der Mann erstaunt.
„Du sollst mir einen Kanister Benzin und einen Putzlappen bringen“ schrie er unbeherrscht.
Als der andere Mann ihm die verlangten Sachen brachte schaute er Weber mit einem seltsamen Blick an.
„Willst du mal reinsehen“ fragte Günther Weber den Soldaten gereizt „so lass‘ ich die Männer hier nicht zurück. Der Iwan soll sich nicht daran erfreuen, dass er wieder ein paar von den Fritzen umgelegt hat.“
Er schüttete das Benzin in den Mannschaftsraum. Dann zwang er sich, noch einmal genau hinzuschauen. Fast allen Männern waren die Körper bis zur Unkenntlichkeit zerrissen worden, aber er erkannte noch zwei Gesichter. Fred Baumgartner, ein Bayer, Rudi Kruse, ein Pommer. Beide Männer hatte er schon lange gekannt. Baumgartner war ein schweigsamer aber überaus kameradschaftlicher Mann gewesen, der ohne viele Worte seine Pflicht erfüllte. Kruse, obwohl ein Nordlicht, hatte seine Kameraden mit viel Humor und Späßen aufgeheitert. Beide waren Anfang 20 gewesen. Jetzt würde Weber als Kompaniechef an ihre Angehörigen schreiben müssen. Bis er überhaupt dazu kam würde es sicher noch dauern, jetzt mussten sie erst einmal vor den heranstürmenden Sowjets in Sicherheit gelangen und eine neue Front aufbauen. Weber würde in den Briefen die üblichen Floskeln verwenden und er war froh, dass ihre Eltern und Geschwister die Toten in diesem Zustand so nicht sehen konnten. Er selbst war keineswegs gefühllos, und was er schon alles an Grausamkeiten erlebt und gesehen hatte, hatte sich als Last auf seine Seele gelegt. Der Anblick der abgeschlachteten Soldaten hatte ihn für eine Weile erschüttert, aber dann waren diese Bilder zwar nicht gleich aus seinem Gedächtnis verschwunden, sondern nicht mehr so dominierend, irgendwann würden sie verschwinden, weil er täglich neue sah, die nicht weniger schrecklich waren. Wieviel Phantasie und Geist bringen die Menschen doch auf um Mittel zu erfinden, mit denen man sich möglichst effektiv gegenseitig umbringen konnte dachte er. Auf der anderen Seite wartete er wie die anderen Grenadiere aber auch darauf, endlich mit modernen Maschinenwaffen ausgestattet zu werden.
Er hatte den Putzlappen mit Benzin getränkt. Jetzt nahm er sein Feuerzeug und brannte das Stück alten Stoff an. Weber warf den brennenden Putzlappen in das Fahrzeug hinein und mit einem dumpfen Explosionsgeräusch entzündete sich das Benzin, die Flamme schlug aus dem Mannschaftsraum heraus. Weber wusste, dass das Benzin schnell verbrannt sein würde, aber die Kleidung der Männer würde auch Feuer fangen und sie wenigstens bis zur Unkenntlichkeit verschmoren. Früher wurden Tote auch verbrannt, wenn man keine andere Möglichkeit dazu hatte sie zu bestatten. Günther Weber hatte das gerade mit 12 Männern getan, die er alle gut gekannt hatte, und die wie er an den Sieg Deutschlands geglaubt hatten und dafür bereit gewesen waren ihr Leben zu geben.
Ihr Leben war kurz vor Rostow am Don und viel zu früh zu Ende gegangen, ihr Grab war der stählerne und kastenförmige Aufbau eines ausgebrannten deutschen Schützenpanzerwagens vom Typ Sd. Kfz. 251.
Martin Haberkorn, 4. März 1943, Biskaya
Dass die Biskaya ein schwieriges Seegebiet war wussten alle, aber diesmal war das Wetter so schlecht, dass der Kommandant nur zum Aufladen der Batterien auftauchen ließ.
„Die Wassertiefe in der Biskaya nimmt schlagartig von 200 Metern auf 3.000 bis 4.000 Meter zu wenn man sich von Land entfernt“ dozierte der I WO in der O-Messe, das Boot war in 50 Meter Tiefe, „lange Atlantikwellen werden also von diesem Sockel abgebremst und steilen sich auf. Außerdem können Wellen aufgrund der Biskayaküsten reflektiert werden und so entstehen gefährliche Überlagerungen. Dazu kommt noch, dass die Biskaya ein Durchzugsgebiet atlantischer Tiefdruckgebiete ist.“
„Gut gelernt“ brummte der Kommandant „eine ordentliche Ausbildung ist doch Gold wert. Leider merken wir ja jetzt selbst was hier los ist. Schon bei der letzten Reise dieser Kuhsturm, und jetzt sieht es auch nicht viel besser aus. Na wenigstens sollen wir mit anderen Booten einen Suchstreifen im Nordatlantik bei Grönland bilden und müssen nicht wieder so weit runter wie beim letzten Mal. Wie viele Boote sind denn überhaupt da draußen, I WO?“
„Knapp 10.“
„Nicht schlecht. Könnte was werden. Nun müssen wir bloß noch ein Geleit finden, aber 10 Boote sind schon n ganze Menge. Der BdU wird die Boote nicht ohne Grund da operieren lassen. Da wird wohl einer dann schon was sichten und Meldung geben. Was meinen Sie, LI?“
„Diesmal wird’s schon klappen, Herr Kaleun. Das letzte Mal haben wir eben bloß Pech gehabt. Außerdem würde man ja nicht so viele Boote in diesem Gebiet konzentrieren, wenn es keine Anhaltspunkte auf ein Geleit geben würde.“
„Ihr Wort in Gottes Gehörgang. Ich glaube auch, dass wir Agenten in den Häfen der Amis haben. Wenn sich dort ein großes Geleit sammelt kann das doch nicht verborgen bleiben. Unser Boot ist ja fast wie neu, da dürfte nichts passieren wenn wir schnell die Position ändern müssten. Wie ist Ihr Eindruck LI?“
„Genauso. Der neue Diesel läuft gut, es gibt keine Probleme. Auch alles andere ist in Ordnung.“
„Na fein. Jetzt müssen wir bloß noch möglichst schnell auf unsere Position kommen, und dann sehen wir weiter. Aber bei diesem Wetter hat es wenig Sinn aufgetaucht zu fahren, da kommen wir ja kaum voran. Und wir haben noch gut 1.000 Seemeilen vor uns. Das dürfte aber in 3 bis 4 Tagen zu schaffen sein, wenn wir so um die 12 bis 13 Knoten laufen und das Wetter besser mitspielt. Wenn das Wetter aber so mies bleibt müssen wir mit einer deutlich längeren Reise rechnen, ich schätze mal so einen Woche. Na gut, wir gehen in 3 Stunden zum Rundhorchen hoch und peilen dann die Lage. Bis dahin haben wir noch mal Ruhe.“
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