Wenn er über mich Witze machte, so war das immer ein Zeichen, daß er sich in vergnügter Stimmung befand. Ich gab ihm natürlich keine Antwort. Lukerja kam herein mit einem großen Paket, das allerlei Dinge enthielt, die er eingekauft hatte, und legte es auf den Tisch.
»Ich habe gesiegt, Tatjana Pawlowna! Der Prozeß ist gewonnen; Berufung einzulegen werden die Fürsten gewiß nicht unternehmen. Die Erbschaft fällt mir zu! Ich habe auch gleich jemanden gefunden, der mir tausend Rubel geliehen hat. Sofja, leg doch die Arbeit weg, streng nicht deine Augen an! Lisa, du bist wohl von der Arbeit gekommen?«
»Ja, Papa«, antwortete Lisa mit freundlicher Miene; sie nannte ihn Vater; ich konnte mich dazu um keinen Preis bereit finden.
»Bist du müde?«
»Freilich.«
»Laß die Arbeit, geh morgen nicht hin, und gib diese Tätigkeit ganz auf!«
»Das würde mir nicht bekommen, Papa.«
»Aber ich bitte dich darum ... Ich kann es gar nicht leiden, wenn Frauen arbeiten, Tatjana Pawlowna.«
»Wie kann man denn ohne Arbeit leben? Das wäre ja noch schöner, wenn eine Frau nicht arbeitete! ...«
»Ich weiß, ich weiß; das ist ja alles sehr gut und richtig, und ich bin im voraus mit allem einverstanden; aber ich spreche hauptsächlich von der Handarbeit. Denkt euch nur, das war für mich in meiner Kindheit eine der peinlichsten oder richtiger eine der absonderlichsten Empfindungen. In meinen dunklen Erinnerungen an die Zeit, wo ich fünf oder sechs Jahre alt war, sehe ich am häufigsten – natürlich mit einem Gefühl des Widerwillens – eine Gesellschaft von klugen Frauen mit ernsten, finsteren Gesichtern um einen runden Tisch versammelt, auf dem Scheren, Stoffe, Schnittmuster und Modebilder liegen. Alle geben sie ihr Urteil ab und disputieren, schütteln wichtig und langsam die Köpfe, nehmen Maß und berechnen und machen sich zum Zuschneiden fertig. Alle diese sonst so freundlichen Personen, die mich so lieb hatten, waren auf einmal unnahbar geworden; wenn ich zu laut wurde, schickten sie mich sofort hinaus. Selbst meine arme Kinderfrau, die mich an der Hand hielt, antwortete nicht auf mein Rufen und auf mein Zupfen, sondern schaute und lauschte nur, als ob da ein Paradiesvogel säße und sänge. Diesen strengen Ausdruck der verständigen Gesichter und das wichtige Wesen vor dem Beginn des Zuschneidens kann ich mir noch heute nicht ohne eine sehr unangenehme Empfindung vorstellen. Sie, Tatjana Pawlowna, finden ja am Zuschneiden ein besonderes Vergnügen! Aber so aristokratisch das auch sein mag, ich liebe doch mehr eine Frau, die gar nicht arbeitet. Beziehe das nicht auf dich, Sofja... Wie solltest du auch! Die Frau ist auch ohne das eine große Macht. Das ist übrigens auch dir bekannt, Sonja. Wie denken Sie darüber, Arkadij Makarowitsch? Sie machen gewiß Opposition?«
»Nein, durchaus nicht«, antwortete ich. »Besonders gut gefällt mir der Satz, daß die Frau eine große Macht ist, obgleich ich nicht verstehe, in welche Verbindung Sie das mit der Arbeit bringen. Aber daß man arbeiten muß, wenn man kein Geld hat, das wissen Sie selbst.«
»Aber nun genug!« sagte er, zu meiner Mutter gewendet, die über das ganze Gesicht strahlte (als er sich an mich wandte, hatte sie heftig zu zittern angefangen), »wenigstens in der ersten Zeit möchte ich keine Handarbeiten zu sehen bekommen; ich bitte um meiner selbst willen darum. Du, Arkadij, bist als moderner Jüngling gewiß ein bißchen Sozialist; na, willst du es mir glauben, mein Freund, daß die größten Liebhaber des Müßigganges unter dem zeit seines Lebens arbeitenden Volk zu finden sind?«
»Diese Leute lieben vielleicht die Erholung, aber nicht den Müßiggang.«
»Nein, gerade den Müßiggang, das völlige Nichtstun, das ist ihr Ideal! Ich habe einen Menschen gekannt, der lebenslänglich arbeiten mußte, obwohl er nicht zum Volk gehörte; er besaß einen ziemlich entwickelten Verstand und einen Blick für das Allgemeine. Der gab sich sein ganzes Leben hindurch, vielleicht täglich, mit Genuß und Rührung seinen Träumereien vom völligen Müßiggang hin; er malte sich sozusagen sein Ideal bis zur höchsten Vollendung aus, bis zu unbegrenzter Unabhängigkeit und ewiger Freiheit, zu träumen und müßig zu reflektieren. So ging das mit ihm, bis er unter der Arbeit vollständig zusammenbrach; zu helfen war ihm nicht, er starb im Krankenhaus. Ich bin manchmal allen Ernstes geneigt, zu glauben, daß der angebliche Genuß, den die Arbeit gewährt, eine Erfindung müßiger Leute ist, natürlich tugendhafter Leute. Das ist eine der ›Genfer Ideen‹ vom Ende des vorigen Jahrhunderts. Tatjana Pawlowna, vorgestern habe ich mir aus einer Zeitung eine Annonce ausgeschnitten, da ist sie« (er zog ein Blättchen Papier aus der Westentasche), »das stammt von den unzähligen ›Studenten‹, die die alten Sprachen und Mathematik verstehen und bereit sind, zur Erteilung von Unterricht ›nach auswärts‹ zu gehen oder in eine Dachstube oder sonstwohin. Also hören Sie: ›Eine Lehrerin bereitet zum Eintritt in alle Lehranstalten vor‹ (hören Sie: in alle!) ›und gibt auch Rechenunterricht‹, – das ist nur eine Zeile, aber sie ist klassisch! Sie bereitet zum Eintritt in alle Lehranstalten vor, also natürlich doch auch im Rechnen? Nein, vom Rechnen spricht sie besonders. Das ist schon der richtige Hunger, das ist schon der höchste Grad der Not. Rührend ist dabei gerade diese Unkenntnis: offenbar hat sie sich niemals zur Lehrerin ausgebildet und dürfte kaum imstande sein, in irgendeinem Fach zu unterrichten. Aber vor dem Ertrinken trägt sie ihren letzten Rubel in die Zeitungsexpedition und läßt einsetzen, daß sie für alle Unterrichtsanstalten vorbereite und außerdem Rechenstunde gebe. Per tutto mundo e in altri siti.«
»Ach, Andrej Petrowitsch, der sollte man helfen! Wo wohnt sie?« rief Tatjana Pawlowna.
»Ach, deren gibt es eine Menge!« Er schob die Annonce wieder in die Tasche. »In diesem Paket sind lauter Näschereien, für dich, Lisa, und für Sie, Tatjana Pawlowna; Sofja und ich lieben keine Süßigkeiten. Vielleicht ist es auch für dich etwas, junger Mann. Ich habe alles selbst bei Jelissejew und bei Ballet eingekauft. Wir haben lange genug ›am Hungertuche genagt‹, wie Lukerja sagt.« (NB Keiner von uns hatte jemals wirklich gehungert.) »Hier sind Weintrauben, Konfekt, Duchessebirnen und Erdbeertorte; sogar einen ausgezeichneten Likör habe ich mitgebracht, auch Nüsse. Merkwürdig, daß ich bis auf den heutigen Tag, von meiner Kindheit an, gern Nüsse esse, Tatjana Pawlowna, und zwar die gewöhnlichste Sorte, wissen Sie. Lisa schlägt darin nach mir; sie liebt es ebenfalls, wie ein Eichhörnchen Nüsse zu knacken. Aber es gibt nichts Reizvolleres, Tatjana Pawlowna, als sich manchmal, wenn man an seine Kindheit zurückdenkt, unversehens für einige Augenblicke in den Wald zu versetzen, ins Gebüsch, wo man sich selbst Nüsse pflückt... Die Tage sind schon beinah herbstlich, aber klar und manchmal so frisch; man versteckt sich im Dickicht oder streift im Wald umher, es riecht nach Blättern ... Ich sehe eine Art Zustimmung in deinem Blick, Arkadij Makarowitsch?«
»Ich habe meine ersten Kinderjahre ebenfalls auf dem Lande verlebt.«
»Wie? Du bist doch wohl in Moskau gewesen... wenn ich nicht irre.«
»Er wohnte damals bei Andronikows in Moskau, als Sie hinkamen, aber vorher hatte er bei Ihrer seligen Tante Warwara Stepanowna auf dem Lande gelebt«, fiel Tatjana Pawlowna ein.
»Da ist Geld, Sofja, verwahre es! In den nächsten Tagen soll ich fünftausend bekommen.«
»Also haben die Fürsten gar keine Hoffnung mehr?« fragte Tatjana Pawlowna.
»Absolut keine, Tatjana Pawlowna.«
»Ich habe Ihnen, Andrej Petrowitsch, und allen Ihren Angehörigen immer alles Gute gewünscht und bin eine Freundin des Hauses gewesen; aber obwohl mir die Fürsten fremd sind, tun sie mir, weiß Gott, doch leid. Seien Sie mir deswegen nicht böse, Andrej Petrowitsch!«
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