Fjodor Dostojewski - Fjodor Dostojewski - Der Jüngling

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Fjodor Dostojewski: Der Jüngling: краткое содержание, описание и аннотация

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"Der Jüngling" von Fjodor Dostojewski erzählt von der psychischen Entwicklung eines ungefähr 20jährigen Mannes. Wegen seiner unehelichen Geburt kann er in der russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts nicht Fuß fassen. Zunächst zieht er sich auf sich selbst zurück und «rächt» sich durch Missachtung an der Gesellschaft. Sein Leben gewinnt an Schwung, als er seinem bis dahin weitgehend unbekannten Vater begegnet und sich von ihm beraten lässt. Doch als der Sohn das wahre Wesen des Vaters durchschaut, ändert sich ihr Verhältnis.
Dostojewskis «Jüngling» ist ein Roman voller anrührender Weisheiten, mitten aus dem realen Leben gegriffen.
Dieses E-Book enthält eine vollständige deutsche Ausgabe des Romans «Der Jüngling» von Fjodor Michailowitsch Dostojewski.

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Sechstes Kapitel

I

Meine Hoffnungen gingen nicht ganz in Erfüllung: ich traf die Meinigen nicht allein: Wersilow war zwar nicht da, aber bei meiner Mutter saß Tatjana Pawlowna, also doch eine fremde Person. Die Hälfte meiner hochherzigen Stimmung war mit einemmal wie weggeblasen. Es ist erstaunlich, wie schnell sich in solchen Fällen ein Umschwung in meiner Stimmung vollzieht; ein Sandkörnchen oder ein Härchen ist ausreichend, um eine gute Regung zu verscheuchen und eine schlechte an deren Stelle treten zu lassen. Meine schlechten Empfindungen lassen sich zu meinem Bedauern nicht so schnell vertreiben, obwohl ich nicht nachtragend bin. Als ich eintrat, huschte mir der Gedanke durch den Kopf, daß meine Mutter soeben schnell den Faden ihres Gesprächs mit Tatjana Pawlowna abgerissen habe, das recht lebhaft gewesen zu sein schien. Meine Schwester war nur einen Augenblick vor mir von ihrer Arbeit nach Hause gekommen und befand sich noch in ihrem Kämmerchen.

Die Wohnung bestand aus drei Zimmern. Dasjenige, in dem sich alle gewöhnlich aufhielten, das Mittel- oder Wohnzimmer, war bei uns ziemlich groß und machte beinah einen anständigen Eindruck. Es befanden sich darin ein paar bequeme rote Sofas, die allerdings stark abgescheuert waren (Wersilow duldete keine Überzüge), ein paar leidliche Teppiche, einige Tische und unnötige Tischchen. Rechts davon lag Wersilows Zimmer, das eng und schmal und einfenstrig war; darin stand ein jämmerlicher Schreibtisch, auf dem mehrere unbenutzte Bücher und vergessene Schriftstücke umherlagen, und vor dem Schreibtisch ein nicht minder jämmerlicher Polsterstuhl mit einer zerbrochenen und spitz nach oben vorstehenden Sprungfeder, über die Wersilow oft stöhnte und schimpfte. In diesem selben Zimmer wurde auch auf einem ebenfalls sehr abgenutzten Sofa ein Nachtlager für ihn zurechtgemacht; er haßte dieses sein Zimmer und tat, wie es schien, nichts darin, sondern zog es vor, ganze Stunden müßig im Wohnzimmer zu sitzen. Links vom Wohnzimmer war ein genau ebensolches Zimmer, dort schliefen meine Mutter und meine Schwester. In das Wohnzimmer gelangte man vom Flur aus, der mit dem Eingang in die Küche seinen Abschluß fand. Dort in der Küche wohnte die Köchin Lukerja, und wenn sie kochte, erfüllte sie erbarmungslos die ganze Wohnung mit dem Qualm von angebranntem Fett. Es gab Augenblicke, wo Wersilow wegen dieses Küchendunstes laut sein Leben und sein Schicksal verfluchte, und in diesem einen Punkt sympathisierte ich mit ihm vollständig; auch ich haßte diese Gerüche, obgleich sie gar nicht bis zu meinem Zimmer drangen: ich wohnte oben in einem Giebelzimmer unter dem Dach, wohin ich auf einer sehr steilen, knarrenden Treppe hinaufstieg. An bemerkenswerten Dingen waren da nur ein halbrundes Fenster und eine furchtbar niedrige Decke, ein Sofa mit Wachstuchbezug, auf das Lukerja zur Nacht für mich ein Laken breitete und ein Kissen legte, und sonst nur zwei Möbelstücke – ein ganz einfacher Brettertisch und ein Rohrstuhl mit löchrigem Sitz.

Übrigens hatten sich bei uns doch einige Überreste eines gewissen ehemaligen Komforts erhalten; so befand sich zum Beispiel im Wohnzimmer eine sehr hübsche Porzellanlampe, und an einer Wand hing ein vortrefflicher großer Kupferstich der Dresdner Madonna und gegenüber an einer ändern Wand eine kostbare Photographie der Bronzetüren des Domes von Florenz, in gewaltigem Format. In demselben Zimmer hing in einer Ecke ein großer Heiligenschrein mit altertümlichen, schon lange im Besitz der Familie befindlichen Heiligenbildern, von denen das eine (alle Heiligen) eine große, vergoldete Silbereinfassung hatte, eben das, welches sie hatten versetzen wollen, und ein anderes (das Bild der Muttergottes) eine mit Perlen gestickte samtene. Vor den Heiligenbildern hing ein Lämpchen, das am Vorabend eines jeden Feiertages angezündet wurde. Wersilow verhielt sich den Heiligenbildern gegenüber, was ihre religiöse Bedeutung anbetraf, gleichgültig und runzelte nur manchmal, jedoch mit sichtlicher Selbstbeherrschung, die Stirn über das von der Goldeinfassung reflektierte Licht des Lämpchens, indem er ein klein wenig darüber klagte, daß das seiner Sehkraft schade, aber er hinderte meine Mutter doch nicht, das Lämpchen anzuzünden.

Ich kam gewöhnlich schweigend und mürrisch herein, sah irgendwohin in eine Ecke und grüßte mitunter nicht einmal beim Eintreten. Ich war sonst immer früher nach Hause gekommen als dieses Mal, und das Mittagessen wurde mir dann nach oben gebracht.

Als ich jetzt eintrat, sagte ich auf einmal: »Guten Abend, Mama«, was ich früher nie getan hatte; indes vermochte ich mich aus Verlegenheit auch diesmal nicht dazu zu zwingen, sie anzusehen, und setzte mich am entgegengesetzten Ende des Zimmers hin. Ich war sehr müde, aber daran dachte ich nicht.

»Dieser Flegel kommt immer noch so unhöflich wie früher zu euch herein«, schalt Tatjana Pawlowna über mich. Schimpfworte hatte sie sich auch früher gegen mich erlaubt, und das war schon zwischen ihr und mir zur Gewohnheit geworden.

»Guten Abend ...«, erwiderte meine Mutter; sie schien ganz die Fassung darüber verloren zu haben, daß ich sie begrüßt hatte. »Das Essen ist schon längst fertig«, fügte sie fast verwirrt hinzu. »Wenn nur die Suppe nicht schon kalt geworden ist, aber ich will gleich Lukerja sagen, daß sie die Koteletts ...« Sie wollte eilig aufstehen, um in die Küche zu gehen, und vielleicht zum erstenmal in diesem ganzen Monat schämte ich mich plötzlich darüber, daß sie so hastig aufsprang, um mich zu bedienen, was ich doch bisher selbst von ihr verlangt hatte.

»Danke schön, Mama, ich habe schon zu Mittag gegessen. Wenn ich nicht störe, möchte ich mich hier ein bißchen erholen.«

»Ach ... was soll das ... warum denn nicht, setzen Sie sich doch ...«

»Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, Mama, ich werde zu Andrej Petrowitsch nicht mehr grob sein«, unterbrach ich sie kurz.

»Ach, Herrgott, wie großmütig von ihm!« rief Tatjana Pawlowna. »Sonja, Täubchen, sagst du denn wirklich immer noch zu ihm Sie? Was ist er denn Großes, daß ihm solche Ehre erwiesen werden müßte, und noch dazu von seiner eigenen Mutter! Nun sieh mal an, du bist ja ganz verlegen vor ihm geworden, es ist eine Schande!«

»Es wäre mir selbst sehr lieb, Mama, wenn Sie mich duzen wollten.«

»Ach... nun schön, dann werde ich es tun«, sagte meine Mutter eilig. »Ich... ich habe es ja auch nicht immer... nun, und von jetzt an werde ich es mir merken.«

Sie war ganz rot geworden. Ihr Gesicht war manchmal außerordentlich anziehend... Es war gutmütig, aber durchaus nicht einfältig, nur etwas blaß und blutarm. Ihre Wangen waren sehr mager, sogar eingefallen, und auf ihrer Stirn sammelten sich schon viele kleine Runzeln, aber um die Augen waren noch keine Fältchen vorhanden, und die großen, offenen Augen leuchteten immer mit einem stillen, ruhigen Glanz, der mich gleich vom ersten Tage an zu ihr hingezogen hatte. Es gefiel mir auch gut, daß in ihrem Gesicht so gar nichts Trauriges oder Bedrücktes lag; im Gegenteil, der Ausdruck desselben wäre sogar heiter gewesen, wenn sie sich nicht so oft aufgeregt hätte, manchmal ohne jeden Anlaß. Sie fuhr nicht selten in völlig grundlosem Schreck von ihrem Platz in die Höhe oder horchte ängstlich nach irgendeinem neuen Gespräch hin, bis sie sich überzeugt hatte, daß alles wie früher gut stand; denn »gut« und »wie früher«, das bedeutete bei ihr dasselbe. Wenn sich nur nichts veränderte, wenn sich nur nichts Neues zutrug, mochte es selbst etwas Glückliches sein!... Man hätte denken können, sie sei als Kind so verschüchtert worden. Außer ihren Augen gefiel mir auch das Oval ihres länglichen Gesichts, und ich glaube, wenn ihre Backenknochen nur ein ganz klein bißchen weniger breit gewesen wären, so hätte man sie nicht nur in ihrer Jugend, sondern auch jetzt noch eine Schönheit nennen können. Sie war jetzt nicht mehr als neununddreißig Jahre alt, aber in ihrem dunkelblonden Haar traten schon eine Menge grauer Fäden hervor.

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