»Das ist Fakirtum, poetische Phantasie eines unbedeutenden, kraftlosen Menschen«, werden die Leute urteilen, »der Triumph der Talentlosigkeit und Mittelmäßigkeit.« Ja, ich gebe zu, daß es zum Teil der Triumph der Talentlosigkeit und Mittelmäßigkeit ist, aber wohl kaum der der Kraftlosigkeit. Es machte mir besonderes Vergnügen, mir gerade ein talentloses, mittelmäßiges Individuum vorzustellen, das der ganzen Welt gegenüberträte und lächelnd zu ihr sagte: »Ihr seid Männer wie Galilei und Kopernikus, wie Karl der Große und Napoleon, wie Puschkin und Shakespeare, ihr seid Feldmarschälle und Hofmarschälle, ich aber bin talentlos und illegitim und stehe dennoch über euch, weil ihr selbst euch mir untergeordnet habt.« Ich bekenne, ich bin in dieser Phantasie so weit gegangen, sogar die Bildung zu verwerfen. Es schien mir, daß es schöner sein würde, wenn dieser Mensch sogar einen starken Mangel an Bildung aufwiese. Dieser denn doch zu weit getriebene Gedanke beeinträchtigte damals sogar meine Fortschritte in der siebenten Klasse des Gymnasiums; ich hörte infolge eben dieses Fanatismus auf zu lernen, in der Vorstellung, der Mangel an Bildung werde die Schönheit meines Ideals noch steigern. Jetzt habe ich meine Ansicht in diesem Punkt geändert: die Bildung stört nicht.
Meine Herren, können Sie es denn wirklich gar nicht vertragen, wenn jemand auch nur im geringsten selbständig denkt? Glücklich, wer ein Schönheitsideal besitzt, mag es auch ein falsches sein! Aber an das meine glaube ich. Ich habe es nur nicht ordentlich auseinandergesetzt, zu ungeschickt und schülerhaft. Nach zehn Jahren würde ich es natürlich besser darlegen können. Das Obige will ich mir zur Erinnerung aufheben.
Nun bin ich mit der Schilderung meiner »Idee« fertig. Wenn diese Schilderung schlecht und oberflächlich ausgefallen ist, so bin ich daran schuld und nicht die »Idee«. Ich habe schon vorher bemerkt, daß gerade die einfachsten Ideen am allerschwersten zu erfassen sind; jetzt füge ich noch hinzu, daß sie auch am schwersten darzulegen sind, und dazu kommt noch, daß ich eine frühere Gestalt meiner »Idee« geschildert habe. Es besteht für die Ideen auch ein Gesetz, das das Gegenstück hierzu bildet: schlechte, schnell entstandene Ideen werden außerordentlich schnell erfaßt, und zwar unfehlbar von der großen Menge und von der ganzen Straße; ja, sie werden für die höchsten und genialsten angesehen, aber nur an dem Tag, wo sie in Erscheinung treten. Was billig ist, ist nicht dauerhaft. Die schnelle Verständlichkeit ist nur ein Zeichen der Schlechtigkeit dessen, was verstanden wird. Die Idee Bismarcks wurde in einem Augenblick für genial erachtet, und Bismarck selbst für ein Genie; aber gerade diese Schnelligkeit ist verdächtig: warten wir einmal zehn Jahre, und sehen wir dann zu, was von Bismarcks Idee und vielleicht von dem Herrn Kanzler selbst übriggeblieben ist. Diese höchst nebensächliche und nicht zur Sache gehörige Bemerkung setze ich natürlich nicht zum Zweck eines Vergleichs hierher, sondern ebenfalls nur, um mich später daran zu erinnern. (Das zur Erläuterung für einen gar zu unverständigen Leser.)
Jetzt aber will ich zwei Geschichten erzählen, um damit den über die »Idee« handelnden Abschnitt endgültig abzuschließen, so daß sie mich nachher in meiner Erzählung nicht mehr stören wird.
Im Sommer, im Juli, zwei Monate vor meiner Abreise nach Petersburg, als ich schon vollständig frei geworden war, bat mich einmal Marja Iwanowna, nach Troizkij Possad zu einem alten dort wohnenden Fräulein zu fahren und ihr einen Auftrag, auszurichten; der Auftrag selbst, ist ohne Interesse und verdient nicht, daß ich näher auf ihn eingehe. Als ich an demselben Tag zurückfuhr, bemerkte ich im Eisenbahnwagen einen ziemlich häßlichen jungen Mann, der nicht schlecht, aber unsauber gekleidet war, ein Gesicht voller Pickel und einen schmutzigbraunen Teint hatte. Er zeichnete sich dadurch aus, daß er unfehlbar auf jeder Haltestelle ausstieg und einen Schnaps trank. Gegen Ende der Fahrt hatte sich um ihn ein lustiger Kreis gebildet, übrigens eine recht schäbige Gesellschaft. Ein Kaufmann, der schon etwas betrunken war, war von der Fähigkeit des jungen Menschen, ununterbrochen zu trinken und dabei doch nüchtern zu bleiben, ganz besonders entzückt. Sehr, einverstanden mit dieser Neigung war auch ein noch junger Bursche, der furchtbar dumm aussah, furchtbar viel redete, nach deutscher Art gekleidet war und einen sehr häßlichen Geruch verbreitete, ein Lakai, wie ich später erfuhr; dieser hatte sich mit dem trinklustigen jungen Mann sogar angefreundet und veranlaßte ihn jedesmal, wenn der Zug hielt, zum Aufstehen durch die Einladung: »Jetzt ist es Zeit, einen Schnaps zu trinken«, worauf dann beide Arm in Arm ausstiegen. Der trinklustige junge Mann redete fast keine Silbe, aber die schwatzende Gesellschaft, die um ihn herumsaß, wurde immer größer und größer; er hörte nur zu, was sie alle sagten, lächelte fortwährend mit einem schleimigen Kichern und brachte von Zeit zu Zeit, aber immer ganz unerwartet, einen Laut hervor, der ungefähr wie »Türlürlü!« klang, wobei er in der Manier eines Clowns den Finger an die Nase hielt. Das erheiterte den Kaufmann, den Lakaien und alle andern sehr, und sie lachten darüber recht laut und ausgelassen. Es ist gar nicht zu verstehen, worüber die Leute manchmal lachen. Auch ich trat heran – und ich begreife nicht, wodurch dieser junge Mann mir ebenfalls irgendwie gefiel, vielleicht durch die entschiedene Verletzung der allgemein üblichen, obligatorischen Anstandsregeln, kurz, ich merkte nicht, daß er ein Dummkopf war; ich stand sogar mit ihm bald auf du und du, und als wir ausstiegen, erfuhr ich von ihm, daß er am Abend nach acht Uhr nach dem Twerskoi-Boulevard kommen würde. Es hatte sich herausgestellt, daß er ein früherer Student war. Ich kam auf den Boulevard, und nun höre man, was er mich für einen Streich lehrte: wir gingen beide alle Boulevards entlang, und wenn wir zu dieser schon späten Stunde eine anständige Frauensperson gehen sahen und ringsum keine Leute in der Nähe waren, so machten wir uns gleich an sie heran. Ohne ein Wort zu ihr zu sagen, traten wir, er an ihre eine, ich an ihre andere Seite und begannen mit der ruhigsten Miene, als ob wir sie gar nicht bemerkten, miteinander ein höchst unanständiges Gespräch. Wir nannten die Dinge mit ihren eigentlichen Namen, und zwar mit der harmlosesten Miene und als sei es ganz in der Ordnung, und ließen uns bei der Behandlung verschiedener Schändlichkeiten und Schweinereien auf solche Finessen ein, wie sie die schmutzigste Phantasie des schmutzigsten Wüstlings sich nicht hätte ausdenken können. (Ich hatte mir alle diese Kenntnisse natürlich schon in der Schule angeeignet, sogar schon vor dem Eintritt ins Gymnasium, kannte aber nur die Worte, nicht die Sache.) Die betreffende Frauensperson bekam immer einen großen Schreck und suchte möglichst schnell von uns wegzukommen, aber wir beschleunigten gleichfalls unsere Schritte und – setzten unser Gespräch fort. Das arme Opfer konnte natürlich nichts dagegen tun; schreien konnte sie nicht, Zeugen waren nicht da, und es wäre doch auch peinlich gewesen, sich über solche Dinge zu beschweren. Diesen Spaß machten wir uns etwa acht Tage lang; ich verstehe nicht, wie ich daran Gefallen finden konnte; ich fand auch eigentlich kein Gefallen daran, ich machte es nur so mit. Anfangs schien mir dieses Benehmen originell, weil es aus den gewöhnlichen, konventionellen Umgangsformen herausfiel; zudem konnte ich die Weiber nicht leiden. Ich erzählte einmal dem Studenten, daß Jean-Jacques Rousseau in seiner Beichte gesteht, er habe sich als junger Mann damit vergnügt, gewisse gewöhnlich verhüllte Körperteile verstohlenerweise aus einem Winkel entblößt hervorzustrecken und so auf vorübergehende Frauen zu warten. Der Student antwortete mir mit seinem Türlürlü. Ich hatte schon gemerkt, daß er furchtbar unwissend war und sich für erstaunlich wenige Dinge interessierte. Von einer verborgenen Idee, die ich bei ihm zu finden erwartet hatte, war nicht die Spur vorhanden. Statt der Originalität fand ich nur eine erdrückende Einförmigkeit. Ich mochte ihn immer weniger leiden. Schließlich endete die ganze Sache auf völlig unerwartete Weise: wir hatten uns wieder einmal, als es schon ganz dunkel war, an ein junges Mädchen herangemacht, das schnell und furchtsam den Boulevard entlangging; sie war noch sehr jung, vielleicht erst sechzehn Jahre oder noch jünger, und sehr sauber und bescheiden gekleidet. Vielleicht lebte sie von ihrer Hände Arbeit und kehrte nun von ihrer Tätigkeit nach Hause zu ihrer alten Mutter zurück, einer armen Witwe mit zahlreichen Kindern; aber es hat keinen Zweck, hier gefühlvoll zu werden. Das Mädchen hörte unser Gespräch eine Zeitlang an und eilte hastig weiter, mit gesenktem Kopf, herabgelassenem Schleier, ängstlich und zitternd, aber auf einmal blieb sie stehen, schlug den Schleier von ihrem, soviel ich mich erinnere, recht hübschen, aber etwas mageren Gesicht zurück und rief uns mit funkelnden Augen zu:
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