„Lennys, du willst doch nicht...?“
„Haz-Gor!“ rief sie knapp.
Der alte Cas löste sich von den anderen, die etwas entfernt ihre Pferde zu Atem kommen ließen.
„Hier bin ich.“
„Du reitest nach Westen, über die Thau-Brücke in die Mittelebenen. Von da aus wieder am Fluss entlang nach Norden, bis du den Wald erreichst, der ans Westufer des Flusses grenzt. Ich will wissen, ob dort schon berittene Sicheltruppen in Stellung sind.“
Haz-Gor nickte gehorsam, auch wenn er nicht begeistert wirkte, sich von der Gruppe trennen zu müssen.
„Wenn sie dort sind – was soll ich ihnen sagen?“
„Nichts. Du bringst sie hierher. Bis in die Senke kurz vor der Brücke. Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr noch heute nacht dort sein. Wir werden dort ab Mitternacht auf euch warten.“
„Willst du... das Dorf angreifen?“ fragte Haz-Gor ahnungsvoll.
„Horem, du wirst versuchen, unerkannt nach Thau hineinzukommen. Ich will wissen, ob dort noch Cycala sind. Wenn ja, bring sie von dort weg. Danach kommst du sofort hierher zurück. Wenn dich jemand als Sichelländer erkennt, wirst du ihn töten.“
Horem atmete geräuschvoll durch.
„Ganz nach deinem Wunsch.“ Und schon stob er in Richtung Süden davon.
„Haz-Gor, worauf wartest du?“
„Lennys... Thau ist... kein Dorf der Krieger...“
„Ich werde dir nicht alle aufzählen, die durch die Hand von Bauern und Hirten gefallen sind, Haz-Gor. Gerade du solltest das wissen, als einer der wenigen, die nicht zum ersten Mal jenseits der Grenzen in einen Kampf ziehen.“
Pechschwarz war die Senke westlich der Thau-Brücke, jedoch nicht, weil sie im Schatten gelegen hätte. Der Mond erstrahlte direkt darüber, aber sein Licht wurde fast vollkommen verschluckt. Mehr als zweihundert cycalanische Krieger bedeckten sich mit ihren Umhängen und kauerten stumm und reglos nebeneinander. Ihre Pferde hatten sie weiter oben bei ein paar verbliebenen Wachen zurückgelassen.
Sie gehörten zu den ersten Kämpfern, die den Westbogen überwunden hatten und schneller als alle anderen waren sie in der Tat schon entlang des Westufers des Flusses bis in den Wald vor Thau gelangt, als Horem sie erreichte. Ihre Selbstbeherrschung hinderte sie an großen Jubelrufen, aber der Cas sah sofort, dass nicht nur sein Erscheinen, sondern auch seine Nachricht in ihnen Freude erweckte.
Sie sollten sich also in der Senke bereithalten. Vor Morgengrauen. Mehr mussten sie nicht wissen, um alles weitere zu erraten.
Und die Shaj hatte – wie es nicht anders zu erwarten war – Wort gehalten. Für viele Sichelkrieger war dies schon der Höhepunkt ihres Lebens als Gebieter der Nacht. Angeführt von der Shaj selbst würden sie im feindlichen Mittelland ihre Rache üben. Auch wenn es keine Hantua oder Schergen Iandals waren, auch nicht die Armee Logs. Wichtig war nur, für das Sichelland die Klinge zu erheben.
Während acht Cas den Befehl über das wartende Heer übernahmen und immer noch ohne klare Vorgaben der Shaj auf ein Kommando warteten, hatte Lennys die Senke wieder verlassen. Es genügte, sich kurz zu zeigen, so dass die Krieger um ihre Anwesenheit wussten. Noch war Zeit. Viel Zeit. Der Sonnenaufgang war noch weit entfernt. Sie waren wirklich schnell gewesen, die Sichelkrieger.
Sie musste nur noch auf eine letzte Antwort warten.
Als Horem endlich die Brücke passierte und auf die Senke zusteuerte, spürte Lennys in ihrem Nacken die Anspannung der Sichelländer hinter sich. Sie war greifbar.
Völlig außer Atem rutschte Horem direkt vor ihr von seiner Mondstute herab.
„Und?“
„Es... ist... keiner mehr da.“ keuchte er. „Die letzten Verwandten von Morell sind schon vor einigen Wochen fortgegangen. Es gibt keine Cycala mehr in Thau.“
Noch bevor seine letzte Silbe verklungen war, machte Lennys kehrte und baute sich vor den vordersten Reihen der schwarzen Masse auf. Direkt vor ihr saßen Karuu und Rahor, doch sie beachtete beide nicht, auch nicht, als sie, wie die anderen Cas, aufstanden und sich ebenfalls dem Heer zuwandten – ganz so, wie es den Erwählten gebührte.
„Die Stadt Thau wird in dieser Nacht fallen.“ rief sie mit klarer Stimme. „Lasst keinen am Leben.“
Und dann überzog eine schwarze Welle der Vernichtung jene friedliche Stadt, in der im vergangenen Sommer der Tod des Bauern Morell ein erstes Vorzeichen für diese Nacht gewesen war.
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