„Ich arbeite schon seit einigen Jahren nicht mehr bei der Zeitung.“
„Das erklärt, dass mir dein Name nichts sagt.“
„Wären Sie Schriftstellerin, würde ich sicher einen Roman von Ihnen kennen, Ihr Name wäre mir sofort aufgefallen“, warf Benedikt abfällig ein.
Das konnte sie ihm nicht verübeln. Ihre Arbeit als Journalistin war nicht unbedingt beispielhaft gewesen, sie war damals so sehr im Sog des Erfolges, dass ihr jedes Mittel recht war, um an eine gute Story zu kommen, völlig egal, ob sie den Tatsachen entsprach.
„Wenn du willst, dass wir dir helfen, musst du ehrlich sein, Jessica!“
Die Fremde sah Ron an, der noch immer vor ihr kniete. Mit dem Handrücken wischte sie sich einige Tränen vom Gesicht, da reichte Ron ihr ein Taschentuch.
„Schon mal was von Stephanie Freston gehört?“ fragte sie nicht ohne dabei rot zu werden.
„Sie sind…“, verwundert sah Ron sie an, das beantwortete ihre Frage.
„Reden Sie endlich Klartext!“ schrie Benedikt sie an.
„Das hat sie gerade. - Warte mal!“ forderte Ron und verließ dann das Zimmer.
Kurz darauf kam er wieder und drückte seinem Kollegen ein Taschenbuch in die Hand.
„Ooh, Ron! Nicht eins von deinen…“
Benedikt hielt inne, sein Kollege hatte auf den Namen der Autorin getippt, dort stand `Stephanie Freston`.
„Das haben Sie…“
„Glauben Sie wirklich ich würde so was unter meinem richtigen Namen veröffentlichen?“ gab sie zurück.
„Warum schreiben Sie so einen Müll, wenn Sie gutes Geld als Journalistin machen können?“ Benedikt war weiterhin misstrauisch.
„Du solltest das mal lesen, Ben, ist echt gut!“
Benedikt schlug wahllos eine Seite auf und las laut:
„…stürmisch öffnete Kyle ihr Kleid. Die fremde Frau stand lediglich mit einem knappen Slip bekleidet vor ihm. Er konnte nicht anders, als ihr unverhohlen auf die wohlgeformten, prallen Brüste zu starren…“
Jessica war das peinlich. Wegen Gewissensbissen hatte sie mit dem Journalismus aufgehört und begonnen Romane zu schreiben, aber leider keinen Verlag gefunden, der bereit war, ihre Manuskripte zu verlegen. Also musste sie einen Weg finden, ihre Miete zu bezahlen und auch sonst genügend Geld fürs Alltägliche zu verdienen. Stolz war sie auf diese verruchten Liebesgeschichten nicht, aber sie gingen ihr leicht von der Hand, sie verdiente ausreichend und hatte nebenher noch genug Zeit, sich dem Schreiben ihrer bevorzugten Richtung zu widmen. Das waren zwar auch Liebesromane, allerdings ohne erotische Abenteuer, aus denen dieses Buch, das Benedikt noch immer in den Händen hielt, fast ausschließlich bestand.
Jessica hatte keine Lust, sich vor diesen Fremden zu rechtfertigen, also meinte sie schließlich etwas arrogant:
„Prüfen Sie´s doch einfach nach! Das sollte ein Mann wie Sie doch wohl können!“
Benedikts scharfer Blick entging ihr nicht, zu ihrem Erstaunen tat er dann allerdings genau das.
„Setz’ dich wieder auf die Couch!“ forderte Ron Jessica auf.
„Jetzt sind es noch vier Stunden und zweiunddreißig Minuten“, erinnerte sie mit einem Blick auf die Uhr.
„Was passiert in viereinhalb Stunden?“ ging Ron endlich auf das ein, was sie sagte.
„Die Typen werden hier auftauchen und…“
„Die kennen dieses Versteck? Hast du uns etwa verraten?“
„Nein, aber…“
Wieder baute der Mann sich drohend vor ihr auf, gerade als er loslegen wollte, fuhr sie ihm ins Wort:
„Wenn Sie mir endlich mal zuhören würden, statt mich dauernd zu bedrohen, dann könnten Sie…“
„Willst du mir jetzt vorschreiben, wie ich meine Arbeit zu machen hab?“
„Ich will, dass Sie mir zuhören, sonst könnte es zu spät…“
„Ihre Angaben stimmen“, mit einem verwunderten Gesichtsausdruck kam Benedikt wieder in den Flur.
„Was haben Sie denn erwartet? Glauben Sie, ich komme in Ihr Versteck und nachdem Sie mich mehrfach bedroht haben, erzähl` ich Ihnen dann auch noch was vom Pferd…“
Sie schrie diese fremden Männer tatsächlich an. Das dürfte ihnen sicher nicht gefallen, und Jessica wollte sie auf keinen Fall verärgern, denn sie war auf ihre Hilfe angewiesen. Trotzdem fauchte sie weiter. Jessica hatte längst keine Ahnung mehr, was sie den beiden an den Kopf warf, sie hörte einfach nicht auf. Erst eine schallende Ohrfeige ließ die Frau verstummen.
Mit großen Augen sah sie Ron, der sie zur Vernunft gebracht hatte, an.
„Okay, Jessica, du hast eine Menge mitgemacht, aber jetzt musst du dich wieder beruhigen.“
„Helfen Sie mir?“ diese Frage glich einem Flüstern, sie legte all ihre Hoffnung in Rons Antwort und sah ihn flehentlich an.
Der Mann nickte nur.
„Ron, du kannst doch nicht…“
Ron sah seinen Partner an.
„Du hast selbst gesagt, dass ihre Angaben stimmen. Dann die Verletzungen, ihre Ohnmacht, der hysterische Anfall… Wir können sie in dem Zustand nicht alleine lassen!“
„Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?“ wandte sich Benedikt an Jessica, er war noch immer nicht bereit ihr zu helfen.
„Ich war in der Datenbank der Polizei und…“
„Du warst was?“ Ron war mehr als erstaunt.
„Journalistin halt, was hast du da erwartet, Ron?“
„Es gibt dort keine Meldung von Anna.“
„Was meinen Sie damit?“
„Es gab in jener Nacht keine Tote, weder als natürlicher noch als unnatürlicher Tod.“
„Bist du sicher?“
Nickend redete sie weiter:
„Auch keine Verletzte in irgendeiner Klinik, die auf Annas Beschreibung passen könnte. Dann erst habe ich mir diese Speicherkarte genauer angesehen.“
„Das heißt dann, Anna könnte noch am Leben sein“, mutmaßte Benedikt.
„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ fuhr Ron sie an.
Wieder zuckte Jessica zusammen.
„Das versuch’ ich doch die ganze Zeit“, erwiderte sie mit kippender Stimme.
Da wollte sie von zwei Männern Schutz und Hilfe, die sie in einer Tour bedrohten und ihr Angst einjagten. Was machte das für einen Sinn?
„Kannst du nicht einfach berichten, was vorgefallen ist?“ fragte Ron etwas versöhnlicher.
„Nein.“
Fragend sahen beide Männer sie an.
„Ich hab mit so was nicht jeden Tag zu tun, so wie Sie. Für mich ist das alles neu und erschreckend“, versuchte sie zu erklären.
„Und dennoch sind Sie hier.“
Jessica sah Benedikt an, er hatte sich mittlerweile gegen die Wand im Flur gelehnt, in dem Jessica noch immer saß.
„Wie meinst du das, Ben?“ fragte Ron seinen Kollegen.
„Jeder normale Mensch wäre zur Polizei gegangen“, erwiderte er überzeugt.
Das leuchtete auch Ron ein.
„Warum warst du nicht bei der Polizei?“ wurde sie zum wiederholten Male gefragt.
Beide Männer sahen Jessica durchdringend an, sie würden keine Ausflüchte dulden.
„Versprechen Sie, mir zu helfen?“ hakte sie besorgt nach.
Rons Gesichtsausdruck veränderte sich erneut, er war unverkennbar sauer. Zu ihrer Überraschung kam Benedikt ihm aber zuvor:
„Ja“, war seine knappe Antwort und sein Tonfall ließ keinen Zweifel offen, dieser Mann würde zu seinem Wort stehen.
Keine Stunde später saß Jessica Barnes auf der Vorderbank eines alten Pickups, Benedikt setzte sich neben sie hinters Steuer. Als sich Ron auf die andere Seite neben die Frau zwängte, wurde sie zwischen den beiden Fremden ziemlich eingequetscht. Keiner verlor ein Wort über diese beengte Situation. Benedikt gab Gas, als sie auf der Autobahn waren, forderte er:
„Legen Sie los, Miss Barnes!“
Darauf hatte sie gewartet. Nachdem die Männer sich beide dazu entschlossen hatten, ihr zu helfen, begannen sie zu packen. Sie schienen ihr zu glauben, dass ihr Versteck entdeckt worden war und hielten es für richtig, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.
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