1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 In der nächsten Nacht darauf begab sich etwas Seltsames auf dem Gottesacker. Der Schulmeister, der diesem zunächst wohnte, wurde es zuerst gewahr und meldete es dem Herrn Pfarrer. Über den Gräbern wandelten kleine brennende Lichtlein in unstäter Bewegung umher. »Das sind die armen Seelen, Schulmeister!« flüsterte der Pfarrer mit Grausen. Plötzlich erschien eine große schwarze Gestalt auf den Stufen der Kirchtüre, die rief mit hohlem Tone:
»Kommt all zu mir, kommt all zu mir,
Der jüngste Tag ist vor der Tür!
O Menschenkinder, betet still!
Die Toten sammeln schon ihr Gebein!
Wer mit mir in den Himmel will,
Der kreuch in diesen Sack hinein!«
»Wollen wir?« fragte der Schulmeister den Pfarrer mit Zähneklappern. »Zeit wär's, vorm Torschluß. Der heilige Apostel Petrus ruft uns, das ist keine Frage. Aber Reisegeld?« – »Ich habe mir zwanzig Kronen erdarbt«, wisperte das Schulmeisterlein. »Ich habe hundert Dicketonnen (Laubthaler) für den Notfall zurückgelegt!« sprach der Pfarrer. »Holen wir's und neh men's mit!« riefen beide und taten also, dann näherten sie sich der schwarzen Gestalt mit Furcht und Zittern. Diese war der Meisterdieb; er hatte Krebse gekauft und ihnen brennende Wachslichterlein auf den Rücken geklebt, das waren die armen Seelen, hatte einen Mönchsbart und eine Mönchskutte, und einen Hopfensack, in den er die beiden Schwarzröcke aufnahm, nachdem er ihnen ihr Erspartes abgenommen. Jetzt schnürte er den Sack zu und schleifte ihn hinter sich her durch das Dorf und durch einen Tümpfel, wobei er rief: »Jetzt geht's durch das Rote Meer!« dann durch den Bach: »Jetzt geht's durch den Bach Kidron«, dann durch die Schloßflur, allwo es kühl war: »Jetzt geht's durch das Thai Josaphat«, dann zur Treppe hinauf: »Dieses ist schon die Himmelsleiter«, endlich hing er den Sack im Schornstein auf an einen Haken, daran man die Schinken räuchert, machte darunter einen ziemlichen Qualm und rief mit schrecklicher Stimme: »Dieses ist das Fegefeuer! Dieses dauert etwelche Jahre!« und machte sich fort. Da schrieen Pfarrer und Schulmeister Zeter Mordio, daß das ganze Hausgesinde zusammen lief. Der Meisterdieb aber trat kecklich zum Edelmann: »Herr Pate, meine dritte Probe ist auch gelöst. Pfarrer und Schulmeister hängen im Schornstein, und so es Euch gefällig, könnt Ihr sie selber zappeln sehen und schreien hören!« – »O du Erzschalk und Erzgauner, du Erzbösewicht und Meisterdieb aller Meisterdiebe!« rief der Edelmann und gab gleich Befehl, jene aus dem Fegefeuer zu erlösen. »Du hast mich überwunden, hebe dich von dannen! Hier hast du ein Goldstück. Hebe dich von dannen, komme mir nicht wieder vor Augen, und laß dich für dein Geld henken, wo es dir gefällig ist.«
»Danke zum allerschönsten, gestrenger Herr Pate, und will so tun!« antwortete der Spitzbub, »aber wollt Ihr nicht die Pfänder auslösen, die ich redlich erworben habe? Euer Leibroß mit zweihundert Kronen, Eurer Gemahlin Trauring und das Tuch mit hundert Kronen, des Pfarrers und Schulmeisters Geld mit hundertundzwanzig Kronen! Wo nicht, so fahr ich damit von dannen.« Den Edelmann rührte fast der Schlag; er sprach: »Lieber Pate, das war ja alles nur ein Spaß, du wirst diese Güter nicht an dir behalten wollen; ich schenke dir ja das Leben.« – »Nun, so will ich gehen, und Euch die Sachen alle herbringen!« sprach der Meisterdieb; ging und ließ seinen Wagen anspannen, seinen alten Vater und seine Mutter hineinsetzen, setzte sich selbst auf des Edelmanns Roß, steckte den prächtigen Ring an den Finger und schickte dem Edelmann nur das Bettuch mit einem Brieflein, darin stand: »Gebt dem Pfarrer und dem Schulmeister ihr Geld zurück, sonst stiehlt Euch Eure Frau
Dero untertäniger Pate und Meisterdieb.«
Da bekam der Edelmann große Furcht, trug den Schaden und wollte nichts mehr von seinem Paten wissen, erfuhr auch nichts mehr von ihm, denn der war mit seinen Eltern in ein fernes Land gezogen und ein ehrlicher und angesehener Mann geworden.
Die verzauberte Prinzessin
Es war einmal ein armer Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, einen guten, der hieß Hans, und einen bösen, der hieß Helmerich. Wie das aber wohl geht in der Welt, der Vater hätte den bösen mehr lieb als den guten.
Nun begab es sich, daß das Jahr einmal ein mehr als gewöhnlich teures war und dem Meister der Beutel leer ward. Ei! dachte er, man muß zu leben wissen. Sind die Kunden doch so oft zu dir gekommen, nun ist es an dir höflich zu sein und dich zu ihnen zu bemühen. Gesagt getan. Früh morgens zog er aus und klopfte an mancher stattlichen Tür; aber wie es sich denn so trifft, daß die stattlichsten Herren nicht die besten Zahler sind, die Rechnung zu bezahlen hatte niemand Lust. So kam der Handwerksmann müde und matt des Abends in seine Heimat und trübselig setzte er sich vor die Türe der Schenke ganz allein, denn er hatte weder das Herz mit den Zechgästen zu plaudern, noch freute er sich sehr auf das lange Gesicht seines Weibes. Aber wie er da saß in Gedanken versunken, konnte er doch nicht lassen hinzuhören auf das Gespräch, das drinnen geführt ward. Ein Fremder, der eben aus der Hauptstadt angelangt war, erzählte, daß die schöne Königstochter von einem bösen Zauberer gefangen gesetzt sei und müsse im Kerker bleiben ihr lebelang, wenn nicht jemand sich fände der die drei Proben löste, welche der Zauberer gesetzt hatte. Fände sich aber einer, so wäre die Prinzeß sein und ihr ganzes herrliches Schloß mit all seinen Schätzen. Das hörte der Meister an zuerst mit halbem Ohr, dann mit dem ganzen und zuletzt mit allen beiden, denn er dachte: mein Sohn Helmerich ist ein aufgeweckter Kopf, der wohl den Ziegenbock barbieren möchte, so das einer von ihm heischte; was gilt's, er löst die Proben und wird der Gemahl der schönen Prinzeß und Herr über Land und Leute. Denn also hatte der König, ihr Vater, verkündigen lassen. – Schleunig kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er zum Helmerich, daß er ihn mit Roß und Wehr ausrüsten wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder Hans gleich holen lassen in einem sechsspännigen Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig wie er dahinzog, ließ er seinen Mutwillen aus an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit Gesang wie sie es verstanden, scheuchte er mit der Gerte von den Ästen und kein Getier kam ihm in den Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen hätte.Und zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen; den ließ er sein Roß zertreten, und die Ameisen, die erzürnt an sein Roß und an ihn selbst krochen und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam. Endlich traf er auch einen schönen Bienenstock; da machte er es den Bienen wie er es den Ameisen gemacht. Und so war seine Freude die unschuldige Kreatur nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer Tücke zu plagen und zu zerstören.
Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige Schloß erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte. Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter. Endlich tat sich ein Schiebefenster auf und hervor sah ein altes Mütterlein mit spinnewebfarbigem Gesichte, die fragte verdrießlich, was er begehre. »Die Prinzeß will ich erlösen«, rief Helmerich, »geschwind macht mir auf.« »Eile mit Weile, mein Sohn«, sprach die Alte; »morgen ist auch ein Tag, um neun Uhr werde ich dich hier erwarten.« Damit schloß sie den Schalter.
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