Ali ließ mich nicht vor Sonnenuntergang abreiten, denn keiner von seinen Leuten sollte mein Verlassen des Lagers bemerken. Selbst vor seinen Sklaven hielt er die Reise geheim und versah mich mit arabischem Mantel und Kopftuch, die meine Uniform verhüllen und mir im Dunkeln auf meinem Kamel eine unauffällige Silhouette geben sollten. Da ich keine Vorräte bei mir hatte, gab er Tafas Weisung, in dem sechzig Meilen entfernten Bir el Scheikh, der ersten Tagesrast, Lebensmittel anzukaufen, und befahl ihm aufs strengste, unterwegs jederlei neugierige Fragen oder Erkundigungen von mir fernzuhalten und alle Lager oder sonstige Begegnungen zu vermeiden.
Wir ritten durch die Palmenhaine, die die zerstreuten Häuser des Dorfes Rabegh wie ein Gürtel umschlossen, und dann unter die Sterne hinaus, längs der Tihamma hin, jenem sandigen und flachen Wüstenstreifen, der sich an der Westküste Arabiens zwischen Meeresstrand und Randgebirge auf Hunderte von Meilen einförmig dahinzieht. Tagsüber herrscht in dieser Ebene eine unerträgliche Hitze, und ihre Wasserarmut macht ihre Durchquerung höchst beschwerlich. Doch war dieser Weg nicht zu vermeiden, da die wasserreichen Randgebirge von Norden wie von Süden her zu schroff waren für einen Übergang mit beladenen Tieren.
Die Kühle der Nacht war wohltuend nach dem mit Widrigkeiten und Verhandlungen hingeschleppten Tag in Rabegh. Tafas führte schweigend, und die Kamele schritten lautlos über den weichen, ebenen Sand. Während wir so dahinzogen, dachte ich daran, daß wir hier auf der alten Pilgerstraße ritten, auf der seit unzähligen Generationen das Volk aus dem Norden herabgezogen kam, um die Heiligen Städte zu besuchen und Gaben des Glaubens am Heiligen Grab niederzulegen. Und mir kam der Gedanke, daß die Erhebung Arabiens gewissermaßen eine Pilgerfahrt in umgekehrter Richtung werden könnte, eine Pilgerfahrt, die dem Norden – Syrien – ein anderes Ideal bringen würde: den Glauben an die Freiheit an Stelle ihres früheren Glaubens an eine Offenbarung.
Mehrere Stunden lang ritten wir gleichförmig dahin, nur daß die Kamele bisweilen strauchelten und sich wieder hochrafften und die Sättel krachten: Anzeichen dafür, daß die glatte Ebene in Triebsandgelände überging, das mit niedrigem Strauchwerk bestanden und infolgedessen uneben war, indem sich um die Pflanzen kleine Dämme stauten und die Wirbel der Seewinde die Zwischenräume aushöhlten. Die Kamele schienen im Dunkeln nicht gangsicher zu sein, und da der sternbeleuchtete Sand kaum Schatten warf, waren Unebenheiten und Löcher schwer zu erkennen. Kurz vor Mitternacht hielten wir an; ich wickelte mich fester in meinen Mantel und suchte mir eine meiner Größe passende Kuhle, in der ich gut bis fast zur Morgendämmerung schlief.
Sobald Tafas den frostigen Lufthauch des nahenden Tages spürte, war er auf den Beinen, und zwei Minuten später schaukelten wir von neuem dahin. Eine Stunde danach, als es eben hell wurde, klommen wir einen niedrigen Lavarücken hinan, der fast bis zur Höhe mit Flugsand bedeckt war. Ein schmaler Ausläufer nahe dem Ufer verband ihn mit dem großen Lavafeld von Hedjas, dessen Westrand rechts von uns aufstieg und die Lage der Küstenstraße bestimmte. Der Rücken war steinig, aber nicht lang, die bläuliche Lava hatte beiderseits niedrige Grate angestaut, von denen aus man – wie Tafas sagte – die Schiffe draußen auf dem Meer sehen konnte. Zu Seiten des Weges hatten hier die Pilger Steinmale errichtet. Bisweilen waren es einzelne kleine Pfeiler, aus je drei übereinandergeschichteten Steinen bestehend, bisweilen regellose Haufen, denen jeder Vorübergehende nach Belieben einen Stein hinzufügte – ohne eigentlich zu wissen warum, nur weil es andere auch taten, und die wußten vielleicht den Grund.
Jenseits der Höhe stieg der Pfad in eine weite, offene Ebene hinab, die Masturah, durch die der WadiWadi = trockne meist tief eingeschnittne Flußtäler, die nur während der Winterregen, etwa Januar und Februar, Wasser führen, dann allerdings oft zu reißenden Strömen werden (A. d. Ü.). Fura zum Meere floß. Die ganze Oberfläche war bedeckt mit ineinanderlaufenden, wenige Zoll tiefen Rinnen aus lockerem Steingeröll: den Betten des Hochwassers, wenn es nach einem der seltenen Regenfälle im Tareif sich mit stromartiger Gewalt zum Meer ergoß. Das Delta der Flußmündung war ungefähr sechs Meilen breit, und in seinem unteren Teil traten zuweilen für ein bis zwei Stunden oder selbst ein bis zwei Tage kleine Wasserläufe hervor. Der Untergrund war voller Feuchtigkeit und durch die darüberliegende Sandschicht vor dem Austrocknen geschützt, so daß Dornbäume und lockeres Buschwerk darauf wuchsen.
Manche Stämme waren einen Fuß im Durchmesser stark und etwa zwanzig Fuß hoch. Die Bäume und Büsche standen in einzelnen Gruppen verstreut, und ihre unteren Zweige waren von Kamelen abgefressen, so daß sie wie künstlich gestutzt aussahen, was in dieser Wildnis einen seltsamen Eindruck machte, zumal die Tihamma sich bisher nur als eine kahle Öde gezeigt hatte.
Die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, und wir ließen die Kamele über das gleichmäßige Kiesgeröll zwischen den Bäumen in ständigem Trab gehen, um den Brunnen von Masturah zu erreichen, der ersten Station auf der Pilgerstraße von Rabegh, wo wir tränken und etwas rasten wollten. Ich war ganz entzückt von meinem Kamel, denn ich hatte nie vorher auf einem so trefflichen Tier gesessen. In Ägypten gibt es keine guten Kamele, und die aus der Sinaiwüste, obgleich kräftig und abgehärtet, sind nicht dressiert auf diesen sanften, gleichmäßigen und raschen Gang, wie die prächtigen Tiere der arabischen Fürsten.
Doch blieben die Fertigkeiten meines Kamels an diesem Tage durchaus ungenützt, denn sie konnten nur Reitern zugute kommen, die sich darauf verstanden und den Kniff weg hatten, nicht aber mir, der ich lediglich getragen zu werden erwartete und von dieser Reitkunst wenig Ahnung hatte. Es ist nicht schwer, auf dem Buckel eines Kamels zu sitzen, ohne herunterzufallen; aber mit Verständnis das Beste aus ihm herauszuholen, ohne bei langer Reise Reiter und Tier zu überanstrengen, dazu gehört allerlei. Tafas gab mir unterwegs einige Winke in dieser Beziehung; und das war in der Tat so ziemlich das einzige, worüber er mit mir sprach. Der Befehl, mich von jeder Berührung mit Menschen fernzuhalten, schien auch seine eigenen Lippen verschlossen zu haben. Schade, denn sein Dialekt interessierte mich.
Nahe am Nordrand der Masturah trafen wir auf den Brunnen. Neben ihm standen verfallene Steinmauern, wahrscheinlich einst eine Hütte, und gegenüber einige Schutzdächer aus Zweigen und Palmblättern, unter denen ein paar Beduinen hockten. Wir grüßten sie nicht, sondern Tafas bog hinter die Mauerruinen, und wir stiegen ab. Dort blieb ich im Schatten sitzen, während Tafas und sein Sohn Abdulla die Kamele tränkten und für sich wie für mich einen Trunk Wasser schöpften. Der Brunnen war alt und geräumig, mit einer gut erhaltenen steinernen Einfassung und einer starken Mauerkappe über der Öffnung. Er war ungefähr zwanzig Fuß tief, und zur Bequemlichkeit für Reisende, die, wie wir, keine Seile bei sich hatten, war in dem Mauerwerk ein Schacht ausgespart mit Stützen für Hand und Fuß, so daß jedermann hinabsteigen und seinen Ziegenschlauch füllen konnte.
Unnütze Hände hatten Steine in den Brunnen geworfen, so daß der Grund zum Teil verstopft war und wenig Wasser gab. Abdulla band seine flatternden Ärmel über der Schulter zusammen, schürzte das lange Gewand unter dem Patronengürtel, und, hurtig ab- und aufkletternd, brachte er jedesmal vier bis fünf Gallonen herauf, die er für die Kamele in einen Steintrog neben dem Brunnen goß. Jedes von ihnen soff etwa fünf Gallonen, denn sie waren zuletzt am Tage vorher in Rabegh getränkt worden. Dann ließen wir sie etwas umherschweifen, während wir friedlich beieinandersaßen und die leichte Brise von See atmeten. Abdulla rauchte eine Zigarette zur Belohnung für seine Mühen.
Читать дальше