»Ueberlegen, Judith?–« wiederholte sie mit Stolz. »In was kann Wildtödter dir überlegen sein? Bist du nicht der Mutter Kind – und kann er lesen – und that es nicht Mutter darin allen Frauen in dieser Gegend der Welt zuvor? Ich sollte meinen, weit entfernt, dass er dir überlegen wäre, dürfte er sich kaum mir überlegen glauben. Du bist hübsch und er ist häßlich–«
»Nein, nicht häßlich, Hetty,« unterbrach sie Judith, »Nur unansehnlich. Aber sein ehrliches Gesicht hat einen Ausdruck, der weit besser ist, als Schönheit. In meinen Augen ist Wildtödter hübscher als Harry Hurry.«
»Judith Hutter! Du erschreckst mich. Hurry ist der hübscheste Sterbliche auf der Welt – hübscher sogar als du selbst; weil, wie Du weißt, das gute Aussehen eines Mannes immer besser ist, als das gute Aussehen eines Weibes.«
Dieser kleine unschuldige Zug von natürlichem Geschmack gefiel der ältern Schwester im Augenblick nicht, und sie stand nicht an, dies zu erkennen zu geben.
»Hetty, du sprichst jetzt töricht, und sagtest lieber Nichts mehr über diesen Gegenstand,« versetzte sie. »Hurry ist weit nicht der schönste Sterbliche auf der Welt; und es sind Officiere in den Garnisonen –« bei diesen Worten stammelte Judith – »es sind Officiere in den Garnisonen in unsrer Nähe weit hübscher als er. Aber warum glaubst Du, dass ich Wildtödtern gleich sei – davon sprich, denn ich höre es nicht gern, wenn du solche große Bewunderung an den Tag legst für einen Mann wie Hurry Harry, der weder Gefühl, noch Benehmen, noch ein Gewissen hat. Du bist zu gut für ihn, und das sollte man ihm geradeheraus sagen!«
»Ich, Judith, wie Du Alles vergißt! Ha, ich bin ja nicht schön, und schwachsinnig!«
»Du bist gut, Hetty, und das ist mehr, als sich von Henry March sagen läßt. Er mag ein Gesicht, und einen tüchtigen Körper haben, aber er hat kein Herz. Doch genug hievon für jetzt. Sage mir, was mich Wildtödtern gleich stellt.«
»Daß dir einfällt, mich das zu fragen, Judith! Er kann nicht lesen und du kannst es. Er weiß nicht, schön zu reden, sondern spricht schlechter, sogar als Hurry; denn, Schwester, Harry spricht seine Worte nicht immer richtig aus. Hast du das auch schon bemerkt!«
»Ganz gewiss; er ist so roh im Sprechen, wie in Allem sonst. Aber ich fürchte, du schmeichelst mir, Hetty, wenn du meinst, ich könne mit Recht Wildtödtern gleich gestellt werden. Es ist wahr, ich habe mehr gelernt; bin in Einem Sinne hübscher; und vielleicht dürfte ich nach Höherem trachten – aber dann seine Wahrhaftigkeit – seine Wahrhaftigkeit – die macht einen fürchterlichen Unterschied zwischen uns! Nun, ich will hievon nicht weiter sprechen; und wir wollen auf Mittel denken, ihn aus den Händen der Huronen zu befreien. Wir haben Vaters Schrank in der Arche, Hetty, und könnten es mit der Lockspeise weiterer Elephanten versuchen; aber ich fürchte, solche Spielsachen werden nicht die Freiheit eines Mannes wie Wildtödter erkaufen. Ich fürchte Vater und Hurry werden nicht so bereitwillig sein, Wildtödter auszulösen, als er es war, sie auszulösen!«
»Warum nicht, Judith? Hurry und Wildtödter sind Freunde und Freunde sollten immer einander beistehen?«
»Ach, arme Hetty, du kennst die Menschen wenig! Anscheinende Freunde sind oft mehr zu fürchten, als offene Feinde, zumal von Frauen. Aber Du sollst am Morgen noch einmal an’s Land, und versuchen, was für Wildtödter geschehen kann. Gemartert soll er nicht werden, so lange Judith Hutter lebt, und Mittel finden kann, es zu verhindern.«
Das Gespräch kam jetzt auf allerlei Punkte und spann sich fort, bis die ältere Schwester von der jüngern alle Umstände herausgezogen hatte, welche zu behalten und mitzutheilen dieser ihre schwachen Geisteskräfte gestatteten. Als Judith befriedigt war – obgleich man eigentlich nicht sagen kann, dass sie befriedigt worden, da ihre Gefühle so mit Allem verwoben waren, was sich auf den Gegenstand bezog, dass eine fast nicht zu stillende Neugier in ihr rege geworden war – also, als Judith keine Fragen mehr zu ersinnen wusste, ohne sich nur zu wiederholen, ward das Canoe zu der Arche hingerudert. Die dichte Finsterniß der Nacht, und die tiefen Schatten, welche die Hügel und Wälder auf das Wasser warfen, machten es schwer, das Fahrzeug zu finden, da es so nahe an der Küste vor Anker lag, als nur irgend die Rücksicht auf Sicherheit räthlich machte. Judith war erfahren in der Handhabung eines Rindencanoes, dessen Leichtigkeit mehr Geschicklichkeit als Kraft erheischte; und sie trieb ihr kleines Fahrzeug rasch über das Wasser hin, sobald sie ihre Unterredung mit Hetty beendigt und den Entschluß zurückzukehren, gefaßt hatte. Aber noch immer war keine Arche zu sehen. Einige Male glaubten die Schwestern, sie zu erblicken, hervorragend in der Finsterniß, wie ein niedrer, schwarzer Fels; aber jedesmal fand sich, dass es entweder eine optische Täuschung, oder ein Auswuchs von Laubwerk an der Küste gewesen war. Nach einem halbstündigen Suchen drängte sich den Mädchen die unwillkommne Überzeugung auf, dass die Arche sich entfernt habe.
Die meisten Mädchen hätten wohl die peinliche Verlegenheit ihrer Lage im physischen Sinne unter den Umständen, in welchen sich die verlassenen Schwestern befanden, eher empfunden, als irgend sonstige Besorgnisse. Bei Judith verhielt sich dies nicht so; und selbst Hetty empfand mehr Unruhe wegen der Beweggründe, die ihren Vater und Hurry möchten geleitet haben, als Besorgnisse wegen ihrer Sicherheit.
»Es kann doch nicht sein, Hetty,« sagte Judith, als die genaueste Nachsuchung Beide überzeugt hatte, dass keine Arche zu finden war; »es kann doch nicht sein, dass Indianer auf Flößen oder gar ohne solche herangeschwommen sind, und unsre Freunde im Schlaf überrascht haben?«
»Ich glaube nicht, dass Hist und Chingachgook schlafen würden, ehe sie einander Alles gesagt, was sie sich nach einer so langen Trennung zu sagen hatten – glaubst du es, Schwester?«
»Vielleicht nicht, Kind. Vielerlei konnte sie wach halten, aber ein Indianer mochte überrascht werden, selbst wenn er nicht schlief, zumal da seine Gedanken bei andern Dingen verweilt haben mögen. Doch aber sollten wir ein Geräusch hören; denn in einer Nacht, wie diese, hätte ein Fluch Harry Hurry’s an den östlichen Bergen widerhallen müssen, wie ein Donnerschlag.«
»Hurry ist sündhaft und rücksichtlos in seinen Worten,« versetzte Hetty leise und bekümmert.
»Nein – nein; es ist unmöglich, dass die Arche sollte genommen worden sein, ohne dass ich ein Geräusch gehört hätte. Es ist nicht eine Stunde, seit ich sie verließ, und die ganze Zeit über lauschte ich auf das kleinste Geräusch. Und doch kann man nicht leicht glauben, dass ein Vater absichtlich seine Kinder preisgeben würde!«
»Vielleicht hat Vater uns in unserem Gemache schlafend geglaubt, und hat zurück nach Hause gesteuert, Du weißt, dass wir oft bei Nacht mit der Arche Bewegungen machen.«
»Das ist wahr, Hetty, und es muss so sein, wie du denkst. Es ist etwas mehr Südwind, als zuvor, und sie sind den See hinaus gefahren – «
Judith stockte; denn als das letzte Wort ihrer Zunge entschwebte, ward die Scene plötzlich, obwohl nur für einen Augenblick, durch ein aufflammendes Licht erhellt. Das Krachen einer Büchse folgte darauf, und dann das Rollen des Echo’s die östlichen Berge entlang. Beinahe in demselben Augenblick stieg ein durchbringender weiblicher Schrei in langem Kreischen in die Lüfte empor. Die entsetzliche Stille, die darauf folgte, war wo möglich noch gräßlicher, als die plötzliche, wilde Unterbrechung des tiefen, mitternächtlichen Schweigens. Judith, so entschlossen sie von Natur und durch Gewohnheit war, athmete kaum, während die arme Hetty ihr Angesicht verbarg und zitterte.
»Das war eines Weibes Schrei, Hetty!« sagte die Erstere mit feierlichem Ernst; »und es war ein Schmerzensschrei! Wenn die Arche sich von dieser Stelle bewegt hat, so konnte sie bei diesem Wind nur nördlich segeln, und der Schuß und der Schrei kamen von der Landspitze. Sollte Hist Etwas zugestoßen sein?«
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