So starb sie. Nie wird sie erfahren
Mehr Schmerz und Schmach; unfähig, dass sie trägt
Die inn´re Last im Lauf von Monden, Jahren,
Gleich kältern Herzen, bis in’s Grab sie legt
Das Alter. Ihre Tag’ und Freuden waren
Kurz, aber schön, wie sie das Schicksal pflegt
Nicht lang zu gönnen. Doch am Meeresstrand
Schläft sie nun wohl, wo sie sich gern befand.
Byron.
Die jungen Männer, die bei Hetty’s plötzlichem Erscheinen auf Kundschaft waren ausgesandt worden, kehrten bald zurück mit dem Bericht, dass es ihnen nicht gelungen, irgendetwas zu entdecken. Einer von ihnen war sogar am Strand bis an den Platz, der der Arche gegenüber lag, hingegangen, aber die Dunkelheit hatte dies Fahrzeug seinen Blicken gänzlich entzogen. Andre hatten in verschiedenen Richtungen sich umgesehen, und überall hatten sie nur die Stille der Nacht mit dem Schweigen und der Einsamkeit der Wälder vermählt gefunden.
Man glaubte daher, das Mädchen sei, wie bei ihrem ersten Besuch und in einem ähnlichen Zweck, allein gekommen. Die Irokesen wußten nicht, dass die Arche das Castell verlassen hatte, und es waren mittlerweile Bewegungen im Plane, wenn nicht schon in wirklicher Ausführung begriffen, welche auch das Gefühl der Sicherheit mächtig verstärkten. Eine Wache ward daher ausgestellt, und Alle außer den Schildwachen schickten sich zum Schlafe an.
Man hatte hinlängliche Sorge getroffen, den Gefangenen sicher verwahrt zu halten, ohne ihm unnöthige Leiden anzutun, und Hetty gestattete man, sich unter den indianischen Mädchen so gut sie konnte, eine Schlafstätte zu suchen. Die freundliche Dienstfertigkeit Hist’s fand sie freilich nicht, obwohl ihr Charakter nicht bloß gegen Unbilden und Gefangenschaft sie sicher stellte, sondern ihr auch eine Berücksichtigung und Achtung verschaffte, vermöge der sie, was Bequemlichkeit betraf, völlig den wilden aber gutmüthigen Geschöpfen um sie her gleichgestellt wurde. Man gab ihr eine Haut, und sie machte sich selbst ihr Bett zurecht aus einem Haufen von Zweigen, ein wenig beiseite von den Hütten. Hier lag sie bald, wie Alle um sie her, in tiefem Schlafe.
Es waren jetzt dreizehn Männer bei der Truppe, und je drei auf einmal hielten Wache. Einer jedoch blieb im Schatten, nicht weit vom Feuer, zurück. Seine Obliegenheit war, den Gefangnen zu bewachen, dafür Sorge zu tragen, dass das Feuer nicht so aufflackerte, dass es den Platz beleuchtete, und doch es nicht ganz erlöschen zu lassen, und auf den Zustand des Lagers überhaupt ein wachsames Auge zu haben. ein Zweiter ging von einem Strand zum andern herüber und hinüber, und durchkreuzte die Basis der Landspitze, während der dritte langsam an dem äußersten Rand der Küste auf-und abschritt, um eine Wiederkehr der Überraschung, die schon einmal in dieser Nacht stattgefunden, zu verhüten. diese Einrichtung war keineswegs gewöhnlich bei Wilden, die sich in der Regel mehr auf die Heimlichkeit ihrer Bewegungen, als auf eine derartige Wachsamkeit verlassen; aber sie war veranlaßt durch die eigenthümlichen Umstände, in welchen sich die Huronen eben jetzt befanden. Ihre Stellung war ihren Feinden bekannt, und sie konnte nicht wohl geändert werden zu einer Stunde, welche Schlaf und Ruhe verlangte. Vielleicht setzten sie auch hauptsächlich ihr Vertrauen auf das, was, wie sie für gewiss zu wissen glaubten, weiter aufwärts auf dem See vorging, und was, wie sie wähnten, sämmtlichen in Freiheit befindlichen Bleichgesichtern nebst ihrem einzigen indianischen Bundesgenossen alle Hände voll zu tun geben würde. Auch wusste vermutlich Rivenoak, dass, so lange er den Gefangenen behielt, er den Gefährlichsten von allen seinen Feinden in Händen hätte. Die Sicherheit, mit welcher diese an Wachsamkeit oder an ein Leben, dessen Ruhe oft gestört wird, gewöhnten Menschen einschlafen, ist eines der nicht am wenigsten merkwürdigen Phänomene unsers geheimnißreichen Daseins. Nicht sobald ruht der Kopf auf dem Pfühl, so ist auch das Bewusstsein entschwunden; und doch, zur erforderlichen Stunde, scheint der Geist den Körper aufzuwecken, so rasch und sicher, als hätte er die Zeit über Schildwache bei ihm gestanden. Es kann kein Zweifel darüber obwalten, dass diejenigen, die so ihren Schlummer abbrechen, aufwachen vermöge der Macht des Gedankens über die Materie, obwohl die Art und Weise, wie diese Macht, dieser Einfluss geübt wird, unsrer Forschbegier verborgen bleiben muss, bis er einst, falls diese Stunde je eintritt, wird erklärt werden durch die vollständige Erleuchtung der Seele hinsichtlich aller menschlichen Rätsel. Dies war nun auch der Fall bei Hetty Hutter. Für so schwach auch der immaterielle Bestandteil ihres Wesens galt, war er doch kräftig genug, ihre Augen um Mitternacht zu öffnen. Um diese Stunde wachte sie auf, verließ ihr Lager, aus Zweigen und einer Haut bestehend, schritt arglos und offen zu der Glut des Feuers, und fachte diese ein wenig an, da die Kühle der Nacht und der Wälder, in Verbindung mit einem über die Maßen kunstlosen Bett, sie ein wenig frieren gemacht hatte. Als die Flamme aufloderte, beleuchtete sie das braune Gesicht des wachehaltenden Huronen, dessen dunkle Augen bei diesem Licht blitzten wie die Augen des Panthers, der mit Feuerbränden zu seiner Höhle verfolgt wird. Aber Hetty fühlte keine Furcht, und sie näherte sich dem Platz, wo der Indianer stand. Ihre Bewegungen waren so natürlich, und so gänzlich frei von der verstohlenen Art der List oder Täuschung, dass er dachte, sie sei nur aufgestanden wegen der Kälte der Nacht, ein in einem Bivonak nicht seltenes Vorkommniß, und ein solches, das vielleicht unter allen am wenigsten Verdacht zu erregen geeignet ist. Hetty sprach zu ihm, aber er verstand kein Englisch, dann starrte sie beinahe eine Minute den schlafenden Gefangenen an, und entfernte sich dann langsam, Trauer und Betrübniß in ihrem Wesen.
Das Mädchen nahm sich nicht die Mühe, ihre Bewegungen zu verhehlen. Alle schlauen Auskunftsmittel dieser Art gingen gänzlich über ihr Vermögen; doch war ihr Schritt von Natur leicht und kaum hörbar. Wie sie die Richtung nach der äußersten Landspitze, oder nach dem Platz einschlug, wo sie bei ihrem ersten Abenteuer gelandet, und wo Hist sich eingeschifft hatte, sah die Schildwache ihre leichte Gestalt allmälig im Dunkel verschwinden, ohne darüber unruhig zu werden oder ihre Stellung zu ändern. Der Indianer wusste, dass Andere auf Wache ausgestellt waren, und glaubte nicht, dass diejenige, die zweimal freiwillig ins Lager gekommen war, und es schon ganz offen verlassen hatte, sich durch die Flucht ihnen werde zu entziehen suchen. Kurz, das Thun und Treiben des Mädchens erregte nicht mehr Aufmerksamkeit, als das irgend einer geistesschwachen Person in zivilisierten Ländern erregen würde, während man ihrer Person mit weit mehr Achtung und Rücksicht begegnete.
Hetty hatte freilich keine sehr deutliche Vorstellung von den Lokalitäten, aber doch fand sie den Weg zum Strande, den sie auf derselben Seite des Vorsprungs erreichte, wo auch das Lager aufgeschlagen war. Dem Rand des Wassers folgend, und die Richtung nach Norden einschlagend, stieß sie bald auf den Indianer, der als Schildwache am Strand auf-und abschritt. Es war dies ein junger Krieger, und als er ihren leichten Tritt auf dem Kiesgrunde hörte, näherte er sich rasch, obwohl keineswegs in drohender Weise. Die Finsterniß war so dicht, dass es nicht leicht war, innerhalb der Schatten des Waldes auf eine Entfernung von zwanzig Fuß Gestalten zu entdecken, und beinahe unmöglich, Personen zu unterscheiden, als bis man sie beinahe greifen konnte. Der junge Hurone ließ einigen Verdruß blicken, als er merkte, wem er begegnete, denn die Wahrheit zu gestehen, erwartete er seine Auserkorene, welche ihm versprochen, die Langeweile einer Wache um Mitternacht durch ihre Anwesenheit ihm zu versüßen. Auch dieser Mann verstand kein Englisch, aber er fand gar nichts Befremdendes daran, dass das Mädchen zu dieser Stunde auf den Beinen war. Solche Dinge kamen in einem indianischen Dorf und Lager, wo der Schlaf so unregelmäßig ist wie die Mahlzeit, ganz gewöhnlich vor. Dann kam der armen Hetty ihre bekannte Geistesschwäche auch bei dieser Gelegenheit, wie in den meisten Dingen gegenüber den Wilden, sehr zu Statten. Verdrießlich über die Täuschung seiner Erwartung, und unmuthig über die Erscheinung eines unbequemen Besuchs, wie er dachte, winkte der junge Krieger dem Mädchen weiter zu gehen in der Richtung des Strandes. Hetty gehorchte; aber im Weitergehen sprach sie laut Englisch in ihrem gewöhnlichen, weichen Ton, den die Stille der Nacht auf einige Entfernung vernehmbar machte.
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