Laßt weinen das Tier, vom Pfeile wund,
Frischem Hirsch sei’s Spiel nicht vergällt;
Einer schläft, Einer wacht zur selben Stund’;
Das ist der Lauf der Welt.
Shakspeare.
Wieder fand eine Beratung statt auf dem Vordertheil der Fähre, bei welcher Judith und Hetty anwesend waren. Da jetzt keinerlei Gefahr sich ungesehen nähern konnte, hatte die augenblickliche Unruhe der Besorgniß Platz gemacht, welche die Überzeugung begleitete, dass Feinde in ansehnlicher Anzahl sich am Ufer des See’s befanden, und dass sie darauf zählen konnten, es werde kein irgend tunliches Mittel, ihren Untergang herbeizuführen, von den Feinden außer Acht gelassen werden. Natürlich empfand Hutter diese Umstände am tiefsten, da seine Töchter gewohnt waren, sich immer unbedingt auf seine Klugheit und Maßregeln zu verlassen, und zu wenig Einsicht besaßen, um alle ihnen drohenden Gefahren in ihrem ganzen Umfang zu würdigen; während es seinen männlichen Genossen frei stand, ihn jeden Augenblick zu verlassen, wo es ihnen dienlich schien. Seine erste Aeußerung zeigte, dass er den letztern Umstand wohl in’s Auge fasste, und hätte einem scharfen Beobachter leicht verrathen, welche Besorgniß eben jetzt in seiner Seele die überwiegende war.
»Wir haben einen großen Vorteil über die Irokesen, oder Wer immer unsre Feinde sind, darin, dass wir uns auf dem See befinden,« sagte er. »Es ist kein Canoe um den See herum, von dem ich nicht wüßte, wo es verborgen ist; und nachdem das Eurige hier ist, Hurry, sind nur noch drei auf dem Land, und sie sind so hübsch versteckt in hohlen Stämmen, dass ich nicht glauben kann, die Indianer werden sie finden, versuchten sie es auch noch so lang.«
»Das läßt sich nicht ausmachen – Niemand kann das sagen,« versetzte Wildtödter; »ein Hund ist nicht sichrer auf der Spur einer Witterung als eine Rothaut, wenn er Etwas dadurch zu erhaschen denkt. Laßt die Leute nur Skalpe vor sich sehen, oder Plünderung, oder Ehre, nach ihren Ideen von dem was Ehre ist, so müsste das ein dicker Baumstamm sein, der ein Canoe ihren Augen verbärge.«
»Ihr habt Recht, Wildtödter;« rief Harry March; »Ihr sprecht wie ein Evangelium in dieser Sache, und ich bin froh, dass meine Nußschaale von Barke hier, im Bereich meines Armes, sicher genug ist. Ich kalkulire, sie werden alle übrigen Canoes noch vor morgen Nacht aufspüren, wenn es ihnen ein rechter Ernst ist, Euch fortzuräuchern, alter Tom, und wir dürfen wohl unsre Ruder recht brauchen, um vorwärts zu kommen.«
Hutter antwortete im Augenblicke nicht. Er sah sich eine Minute stillschweigend um; er betrachtete genau den Himmel, den See und den Gürtel Wald, der ihn gleichsam hermetisch einschloß, als zöge er ihre Zeichen zu Rathe. Auch fand er keine beunruhigenden Symptome. Die grenzenlosen Wälder schlummerten in der tiefen Ruhe der Natur, der Himmel war heiter, aber noch hell und glänzend von dem Licht der scheidenden Sonne, während der See lieblicher und freundlicher aussah, als den ganzen Tag über. Es war eine wahrhaft beruhigende Scene, geeignet, die leidenschaftlichen Gefühle in eine Art heiligen Friedens einzulullen. In wie weit sie jedoch diese Wirkung auf die Gesellschaft in der Arche ausübte, muss aus dem weitern Verlauf unserer Erzählung erhellen.
»Judith,« rief der Vater, nachdem er diesen kurzen aber genau prüfenden Blick auf die Vorbedeutungen der Umgebung geworfen, »die Nacht steht vor der Türe; schaffe Speise für unsere Freunde her; ein weiter Marsch schärft den Hunger.«
»Wir sterben nicht Hungers, Meister Hutter,« bemerkte March, »denn wir haben uns gesättigt, gerade wie wir den See erreichten, und ich meines Teils ziehe die Gesellschaft Judiths selbst ihrem Abendbrod vor. Dieser ruhige Abend ist ganz lieblich, an ihrer Seite zu sitzen.«
»Natur ist Natur,« bemerkte dagegen Hutter, »und muss ihre Nahrung haben. Judith, besorge die Mahlzeit und nimm deine Schwester mit, dir zu helfen. Ich habe noch ein Wenig mit Euch zu sprechen, Freunde,« fuhr er fort, sobald seine Töchter außer Gehörweite waren, »und wünschte die Mädchen weg zu haben. Ihr seht meine Lage, und ich möchte gern Eure Ansichten hören, was Ihr zu tun für’s Beste haltet. Dreimal habe ich schon mein Haus niederbrennen sehen, aber das war auf dem Land; und ich habe mich ziemlich sicher geglaubt, seit ich das Castell gebaut und die Arche auf dem Wasser hatte. Meine andern Unfälle jedoch trugen sich in friedlichen Zeiten zu, und waren nichts weiter, als solche Ungelegenheiten, wie sie wohl einen Mann in den Wäldern von Zeit zu Zeit überraschen; aber diese Sache sieht ernst aus, und Eure Ideen würden meinem Gemüt eine große Last abnehmen.«
»Nach meinem Begriff von der Sache, alter Tom, seid Ihr und Eure Hütten und Eure Fallen und alle Eure Besitzthümer hier herum in verzweifelter Gefahr,« versetzte der derbe Hurry, der Verheimlichung seiner Gedanken für unnöthig hielt. »Nach meinen Ideen von Wert sind sie heute nicht halb so viel wert als sie gestern waren, auch gäbe ich nicht mehr dafür, die Bezahlung in Häuten geleistet.«
»Und dann habe ich Kinder!« fuhr der Vater fort, und brachte diese Erwähnung in einem Tone vor, welcher selbst einen unbefangenen Beobachter in Verlegenheit würde gesetzt haben, wenn er hätte sagen sollen, ob sie als Lockspeise gemeint, oder nur ein Ausruf natürlicher Besorgniß war; »Töchter, wie Ihr wisst, Hurry; und gute Mädchen, dazu, wie ich wohl sagen darf, obgleich ich ihr Vater bin.«
»ein Mann darf Alles sagen, Meister Hutter, zumal wenn er von Zeit und Umständen gedrängt ist. Ihr habt Töchter, wie Ihr sagt, und Eine davon hat nicht Ihres gleichen auf den Grenzen, was das gute Aussehen betrifft, mag sie auch welche haben, was das gute Betragen anlangt. Und die arme Hetty – die ist eben Hetty Hutter; das ist Alles, was sich von dem armen Ding sagen läßt. Ich lobe mir Jude, wenn nur ihre Aufführung ihrem Aussehen gleich käme!«
»Ich sehe, Harry March, ich kann auf Euch nur als Schönwetterfreund zählen; und ich denke, Euer Begleiter hat dieselbe Denkweise,« versetzte der Andere mit einem leichten Anflug von Stolz, der nicht ohne Würde war; »nun gut, ich muss mich auf die Vorsehung verlassen, die vielleicht kein taubes Ohr haben wird für das Gebet eines Vaters.«
»Wenn Ihr den Hurry da so verstanden habt, als sei er gemeint, Euch im Stich zu lassen,« sagte Wildtödter mit ernster Einfachheit, welche doppelt für seine Wahrhaftigkeit bürgte, »so tut Ihr ihm, glaube ich, Unrecht; so wie ich weiß, dass Ihr mir Unrecht tut, wenn Ihr voraussetzt, ich würde ihm folgen, hätte er ein so treuloses Herz, dass er eine Familie von seiner eignen Farbe in einer solchen Bedrängniß verließe. Ich bin an diesen See gekommen, Meister Hutter, um nach einer Verabredung einen Freund zu treffen, und ich wünschte nur, er wäre selbst hier, wie er denn ohne allen Zweifel morgen um Sonnenuntergang hier sein wird, in welchem Fall Ihr dann eine weitere Büchse zu Eurer Vertheidigung hättet; eine noch nicht erprobte, ich gesteh’ es, wie auch meine eigene; aber eine, die sich so oft schon am Wild, großem und kleinem, bewährt hat, dass ich für ihre Dienste gegen Menschen bürgen will.«
»Kann ich also auf Euch zählen, Wildtödter, dass Ihr mir und meinen Töchtern beistehen wollt?« fragte der Alte mit der Besorgniß eines Vaters in seinen Gesichtszügen.
»Das könnt Ihr, Floating Tom, wenn das Euer Name ist; und wie ein Bruder seiner Schwester, ein Gatte seinem Weib, oder ein Freier seiner Geliebten beistehen würde. In dieser Bedrängnis könnt Ihr auf mich zählen unter allen Widerwärtigkeiten; und ich denke, Hurry müsste seine Natur und seine Wünsche verläugnen, wenn Ihr nicht auf ihn zählen könntet.«
»O nein!« rief Judith, ihr schönes Gesicht zur Türe heraus streckend, »seine Natur ist hastig und eilfertig, wie sein Name anzeigt, und er wird davon eilen, sobald er sein sauberes Gesicht in Gefahr glaubt. Weder der ›alte Tom‹ noch seine ›Mädels‹ werden sich stark auf Meister March verlassen, nunmehr sie ihn kennen, aber auf Euch werden sie bauen, Wildtödter; denn Euer ehrliches Gesicht und ehrliches Herz bürgen uns dafür, dass Ihr leisten werdet, was Ihr versprecht.«
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