Nach einer Pause von einigen Minuten fing Hetty an zu singen. Ihre Stimme war schwach und zitternd, aber ernst und feierlich. Die Worte und die Weise waren von der einfachsten Art; es war eine Hymne, die ihre Mutter sie gelehrt hatte, und eine jener natürlichen Melodien, die bei allen Klassen, zu allen Zeiten Beifall und Gunst finden, weil sie vom Herzen kommen und ans Herz sprechen. Hutter horchte nie diesem einfachen Gesang, ohne dass sein Herz und sein Benehmen milder wurde; dies wusste seine Tochter wohl, und sie hatte es sich schon oft zu Nutze gemacht vermöge jenes geheimen, heiligen Instinkts, der oft die Geistesschwachen erleuchtet, zumal bei ihren guten Absichten und Bestrebungen.
Hetty’s leise, süße Töne drangen nur erst einige Augenblicke durch die Lüfte, als das Klatschen der Ruder aufhörte, und der heilige Gesang allein in der athmenden Stille der Wildnis zum Himmel emporstieg. Wie wenn sie im Verfolg der Hymne Muth gewänne, schien ihre Kraft, wie sie weiter sang, zu wachsen; und obgleich nichts Gemeines oder Schreiendes sich in ihre Melodie mischte, schwoll doch ihre Stärke und schwermüthige Zartheit hörbar an, bis die Luft erfüllt war von dieser einfachen Huldigung einer Seele, die beinahe fleckenlos erschien. Daß die Männer vorn nicht gleichgültig blieben gegen diese rührende Unterbrechung, ging aus ihrer Unthätigkeit deutlich hervor; auch klatschten nicht eher wieder ihre Ruder, als bis der letzte der süßen Töne wirklich erstorben war an den merkwürdigen Ufern, die in dieser bezaubernden Stunde selbst die leisesten Modulationen der menschlichen Stimme weiter als eine Meile fortpflanzten. Hutter selbst war gerührt; denn so roh er war vermöge seiner früh angenommenen Lebensweise, und so hartherzig sogar er geworden war durch seine lange Bekanntschaft mit den Sitten und Bräuchen der Wildnis, bestand doch seine Natur aus jener furchtbaren Mischung von Gut und Böse, welche man überhaupt bei der moralischen Organisation der Menschen so vielfach findet.
»Du bist heute Nacht traurig, Kind,« sagte der Vater, dessen Benehmen und Sprache gewöhnlich Etwas von der Feinheit und Erhebung des zivilisierten Lebens annahm, das er in seiner Jugend geführt hatte, wenn er so mit diesem seltsamen Kind sich unterhielt, »wir sind eben erst Feinden glücklich entgangen, und sollten uns vielmehr freuen!«
»Ihr könnt es nimmermehr tun, Vater!« sagte Hetty im leisen Ton flehentlicher, abmahnender Bitte, indem sie, mit ihren beiden Händen seine harte, rauhe Hand ergriff; »Ihr habt lang mit Harry March gesprochen; aber Keiner von Euch wird das Herz haben, es zu tun.«
»Das geht über Deinen Kreis, närrisches Kind; Du bist wohl so garstig gewesen und hast gehorcht, sonst könntest Du Nichts wissen von unserm Gespräche.«
»Warum wolltet denn Ihr und Hurry Leute tödten – und gar Weiber und Kinder?«
»Still, Mädchen, still; wir leben im Krieg, und müssen unsern Feinden tun, was sie uns tun möchten.«
»Das ist nicht so, Vater! Ich habe Wildtödter sagen hören, wie es ist. Ihr sollt Euren Feinden tun, was Ihr wünscht, dass Eure Feinde Euch tun! Niemand wünscht, dass seine Feinde ihn tödten!«
»Wir tödten unsre Feinde im Krieg, Mädchen, damit sie nicht uns tödten. Eine Seite oder die andre muss anfangen; und die zuerst anfangen, tragen am ehesten den Sieg davon. Du verstehst Nichts von diesen Dingen, arme Hetty, und solltest am liebsten davon schweigen.«
»Judith sagt, es sei Unrecht, Vater; und Judith hat Verstand, wenn auch ich keinen habe.«
»Judith versteht es besser, als dass sie mir von diesen Dingen spräche; denn sie hat Verstand, wie Du sagst, und weiß, dass ich es nicht dulden würde. Was würdest Du vorziehen, Hetty: dass man Dir Deinen Skalp nähme, und an die Franzosen verkaufte, oder dass wir unsre Feinde tödteten, und sie hinderten, uns ein Leid zu tun?«
»Das ist es nicht, Vater! Tödtet sie nicht, und lasst auch uns nicht von ihnen tödten. Verkauft Eure Häute, und schafft neue herbei, wenn Ihr könnt; aber verkauft nicht Blut!«
»Komm, komm, Kind; reden wir von Dingen, die Du verstehst. Freut es Dich, unsern alten Freund March wieder zurückgekommen zu sehen? Du magst Hurry wohl leiden, und musst wissen, dass er wohl eines Tages Dein Bruder werden kann – wo nicht noch etwas Näheres.«
»Das kann nicht sein, Vater,« erwiderte das Mädchen nach einer langen Pause; »Hurry hat Einen Vater und Eine Mutter gehabt; und die Leute haben nie zwei.«
»Da sieht man Deinen schwachen Geist, Hetty. Wenn Jude heirathet, so wird ihres Mannes Vater ihr Vater, und ihres Mannes Schwester ihre Schwester. Wenn sie Hurry heiraten sollte, wird er Dein Bruder.«
»Judith wird nie den Hurry nehmen,« versetzte das Mädchen mild aber bestimmt. »Judith mag den Hurry nicht.«
»Das ist Mehr als Du wissen kannst, Hetty. Harry March ist der schönste und der stärkste und der kühnste junge Mann, der je den See besucht; und da Jude die größte Schönheit ist, sehe ich nicht ein, warum sie nicht zusammenkommen sollten. Er hat so gut als versprochen, dass er mit mir diesen Handel eingehen will, wenn ich meine Zustimmung gebe.«
Hetty fing an, sich unruhig hin und her zu bewegen, und sonst auch ihre geistige Unruhe und Aufregung auszudrücken; aber länger als eine Minute antwortete sie nicht. Ihr Vater, an ihr Wesen gewöhnt, und keine besondere Ursache ihrer Aufregung ahnend, fuhr fort zu rauchen mit jenem in die Augen fallenden Phlegma, welches gerade dieser Art von Genuß eigen zu sein scheint.
»Hurry ist schön, Vater,« sagte Hetty mit einfacher Emphase, welche in ihren Ton zu legen sie sich wohl würde bedacht haben, wäre ihr Geist aufmerksamer gewesen auf die Gedanken und Beweggründe Anderer.
»Das habe ich dir gesagt, Kind,« brummte der alte Hutter, ohne die Pfeife aus den Zähnen zu nehmen; »er ist der hübscheste Junge in dieser Gegend; und Jude ist das hübscheste junge Weibsbild, das mir vorgekommen, seit den besten Zeiten ihrer armen Mutter.«
»Ist es schlimm, häßlich zu sehn, Vater?«
»Man kann sich Schlimmeres vorzuwerfen haben – aber du bist keineswegs häßlich; obwohl nicht so hübsch wie Jude.«
«Ist Judith deswegen glücklicher, weil sie so schön ist?«
»Das kann sein, Kind, aber vielleicht auch nicht. Reden wir aber jetzt von andern Dingen; denn das verstehst du schwerlich recht, arme Hetty. Wie gefällt dir unser neuer Bekannter, Wildtödter?«
»Er ist nicht schön, Vater. Hurry ist viel schöner als Wildtödter.«
»Das ist wahr, aber es heißt, er sei ein ausgezeichneter Jäger. Sein Ruf drang zu meinem Ohre, noch eh’ ich ihn sah; und ich hoffte, er werde sich als ebenso herzhafter Krieger bewähren, wie er ein geschickter Wildpretschütz ist. Aber nicht alle Männer sind gleich, Kind, und es braucht Zeit, das weiß ich aus Erfahrung, einem Mann ein ächtes Wildnißherz zu geben.«
»Hab’ ich schon ein Wildnißherz, Vater – und Hurry – ist sein Herz ein ächtes Wildnißherz?«
»Du machst manchmal sonderbare Fragen, Hetty! Dein Herz ist gut, Kind, und geeigneter für die Ansiedlungen als für die Wälder; während dein Verstand geeigneter ist für die Wälder als für die Ansiedlungen.«
»Warum hat Judith mehr Verstand als ich, Vater?«
»Der Himmel steh’ dir bei, Kind! das ist Mehr als ich beantworten kann. Gott gibt Verstand und Aussehen und all’ diese Dinge; und er theilt sie aus, wie es ihm gut dünkt. Wünschest du dir mehr Verstand?«
»Nein, das Wenige was ich habe, macht mir Unruhe, denn wenn ich am ärgsten denke, fühle ich mich am unglücklichsten. Ich glaube nicht, dass das Denken gut ist für mich, aber ich wünschte, ich wäre so schön wie Judith.«
»Warum das, armes Kind? deiner Schwester Schönheit kann ihr auch Unruhe machen, wie einst ihrer armen Mutter. Es ist kein Vorteil, Hetty, in irgendetwas so ausgezeichnet zu sein, dass man ein Gegenstand des Neids, oder vor Andern ausgesucht wird.«
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