Obgleich das Castell ganz verlassen schien, näherte sich ihm doch Judith mit äußerster Vorsicht, die Arche war jetzt eine volle Meile gegen Norden zu entfernt, strebte aber nun auch auf das Gebäude zu, und das mit so regelmäßiger Bewegung, dass Judith sich überzeugte, ein weißer Mann müsse am Ruder sein. Hundert Schritte noch von dem Haus entfernt, begannen die Mädchen es zu umkreisen, um sich zu versichern, dass es leer stehe. Kein Canoe war in der Nähe, und dies ermuthigte sie, näher und näher zu kommen, bis sie ganz um die Pfeiler herum waren und die Plattform erreichten.
»Geh Du ins Haus, Hetty,« sagte Judith, »und sieh, ob die Wilden fort sind. Sie werden Dir kein Leid tun, und wenn noch Jemand von ihnen da ist, kannst Du mich warnen. Ich glaube nicht, dass sie feuern werden auf ein armes, wehrloses Mädchen, und ich werde wenigstens entkommen, bis ich bereit bin, freiwillig mich unter sie zu wagen.«
Hetty that; was Judith verlangte – und diese zog sich, zur Flucht bereit, einige Schritte weit von der Plattform zurück. Aber dies war unnöthig, denn kaum eine Minute verstrich, als Hetty mit der Nachricht zurückkehrte, dass Alles sicher sei.
»Ich bin in allen Gemächern gewesen, Judith,« sagte sie ernst, »und alle sind leer, außer Vater’s seines; er ist in seiner Stube, schlafend, aber nicht so ruhig als wir wünschen könnten.«
»Ist dem Vater Etwas zugestoßen?« fragte Judith, als sie mit dem Fuß die Plattform berührte; und sie sprach hastig, denn ihre Nerven waren in einem leicht aufzuregenden Zustand.
Hetty schien bekümmert, und sah sich verstohlen um, als wünschte sie, dass Niemand außer der Tochter höre, was sie mitzutheilen hatte, und dass auch diese es nur obenhin erfahre.
»Du weißt, wie es mit Vater manchmal ist, Judith,« sagte sie. »Wenn er von geistigem Getränk übermannt ist, weiß er nicht immer, was er sagt oder tut – und jetzt scheint er von geistigem Getränk übermannt.«
»Das ist sonderbar! Sollten die Wilden mit ihm getrunken und ihn dann verlassen haben? Aber das ist ein betrübender Anblick für ein Kind, Hetty, eine solche Verirrung an einem Vater zu sehen, und wir wollen uns ihm nicht nähern, bis er aufwacht.«
Aber ein Stöhnen aus dem innern Zimmer änderte diesen Entschluß, und die Mädchen wagten es, sich einem Vater zu nähern, den in einem Zustand zu finden, der den Menschen zum Thiere herabwürdigt, ihnen nichts Fremdes war. Er saß zurückgelehnt in einem Winkel des engen Gemaches, die Schultern durch die Ecke gehalten, den Kopf schwer auf die Brust herabgesunken. Judith trat in einer plötzlichen schlimmen Ahnung vor, und entfernte eine Leinwandmütze, die ihm so tief in den Kopf gedrückt war, dass sie das Gesicht, ja Alles bis auf die Schultern verhüllte. Sobald diese Bedeckung weggenommen war, zeigte das zuckende, rohe Fleisch, die entblößten Adern und Muskeln, und all’ die andern schauerlichen Zeichen der Sterblichkeit, welche das Abziehen der Haut bloslegt, dass er skalpirt worden war, obwohl er noch lebte.
Einundzwanzigstes Kapitel
Leicht reden sie von dem Geist, der entfloh.
Und die Asche mit Hohn sie ihm schänden;
Doch er achtet es nicht, der Ruhestatt froh,
Die ihm ward von britischen Händen.
Verfasser bestritten.
Der Leser mag sich selbst das Entsetzen vorstellen, welches Töchter empfinden mußten beim Anblick eines so gräßlichen Schauspiels, wie dasjenige war, das sich nach der Erzählung am Schlusse des letzten Kapitels dem Auge Judiths und Hettys darbot. Wir gehen hinweg über die ersten Gemüthsbewegungen, über die ersten Geberdungen und Aeußerungen kindlicher Theilnahme und Liebe, und fahren in der Erzählung fort, die einzelnen Züge der empörenden Scene mehr der Einbildungskraft überlassend, als sie aufzeichnend. Der verstümmelte, zerfetzte Kopf war verbunden, das entstellende Blut aus dem Gesicht des Leidenden gewischt, die sonstigen Mittel und Erleichterungen, welche erforderlich und dienlich schienen, angewendet, und es war jetzt Zeit, nach den ernsteren Umständen des Falles sich zu erkundigen. Die Tatsachen wurden in all ihren Einzelnheiten, so einfach sie waren, erst nach Jahren bekannt; aber wir können sie hier schon erzählen, da dies mit wenigen Worten sich tun läßt. In dem Kampf mit den Huronen war Hutter getroffen worden von dem Messer des alten Kriegers, der die Vorsicht gebraucht hatte, die Waffen aller Andern, nur seine eignen nicht, entfernen zu lassen. Da er von seinem stämmigen Feind hart gedrängt wurde, hatte das Messer die Sache beendigt. Dies geschah gerade, als die Türe geöffnet wurde, und Hurry, wie oben berichtet, auf die Plattform herausstürzte. Dies war das Geheimnis, warum Keiner von beiden Teilen bei dem nun folgenden Kampfe sich blicken ließ; Hutter war im buchstäblichen Sinne kampfuntüchtig, und sein Sieger schämte sich, mit den Blutspuren an seiner Person sich sehen zu lassen, nachdem er so viele Beredsamkeit und Gründe aufgeboten, seine jungen Krieger von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihre Feinde lebendig zu fangen. Als die drei Huronen von der Jagd zurückkehrten, und es beschlossen war, das Castell zu verlassen und zu der Truppe auf dem Land zurückzukehren, ward Hutter einfach skalpirt, um die übliche Trophäe zu gewinnen, und dann ließ man ihn so zu sagen zollweis dahinsterben, wie die mitleidlosen Krieger dieses Teils des amerikanischen Festlandes in tausend Fällen schon getan hatten. Hätte sich jedoch die Mißhandlung Hutter’s auf seinen Kopf beschränkt, so hätte er sich wieder erholen können, denn der Messerstoß war es, der tödtlich für ihn wurde.
Es gibt Augenblicke des lebhaften Bewußtseins, wo die strenge Gerechtigkeit Gottes in so auffallenden Farben vor Einen hintritt, dass sie aller Bestrebungen spottet, sie dem Auge zu verschleiern, wie unangenehm sie auch das Gemüt berühren, wie beflissen man auch sein mag, ihrer Anerkennung auszuweichen. So war es jetzt bei Judith und Hetty, welche beide den Rathschluß einer vergeltenden Vorsehung in der Art des Leidens ihres Vaters erblickten, als Strafe für die von ihm kürzlich gegen die Irokesen gemachten Anschläge. Dies erkannte und fühlte Judith mit der scharfen Empfindung und Erkenntniß, die ihrem Charakter gemäß war; während der auf das einfältigere Gemüt ihrer Schwester gemachte Eindruck vielleicht weniger lebhaft war, obwohl er sich vielleicht als nachhaltiger auswies.
»Oh! Judith!« rief das schwachsinnige Mädchen, sobald sie dem Leidenden ihre erste Sorgfalt gewidmet hatte; »Vater ging selbst auf Skalpe aus, und wo ist jetzt der seinige? die Bibel hätte wohl diese fürchterliche Strafe vorhersagen können!«
»Still – Hetty – still, arme Schwester – er öffnet die Augen; er hört und versteht Dich vielleicht. Es ist, wie Du sagst und denkst; aber es ist zu schrecklich, davon zu sprechen.«
»Wasser!« stammelte Hutter wie mit verzweifelter Anstrengung, die seine Stimme fürchterlich tief und stark machte für einen sichtlich dem Tode so Nahen – »Wasser – närrische Mädchen – wollt Ihr mich Durstes sterben lassen?«
Wasser ward gebracht und dem Leidenden gereicht – das erste, das er in Stunden körperlicher Schmerzen und Pein gekostet hatte. Es hatte die doppelte Wirkung, seine Kehle rein zu machen und für einen Augenblick seine erlöschende Kraft wieder zu beleben. Seine Augen öffneten sich mit jenem ängstlichen, verzerrten Blick, der oft das Scheiden einer vom Tod überraschten Seele begleitet, und er schien sprechen zu wollen. »Vater –« sagte Judith, in unaussprechlicher Angst und Betrübniß über seinen jammervollen Zustand, und umso mehr, als sie nicht wusste, welche Mittel anzuwenden wären – »Vater, können wir Etwas für Euch tun? Kann ich und Hetty Eure Schmerzen erleichtern?«
»Vater!« wiederholte langsam der alte Mann. »Nein, Judith – nein. Hetty – ich bin kein Vater. Sie war Eure Mutter, aber ich bin kein Vater, Seht in dem Schranke nach – Dort ist Alles – mehr Wasser!«
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