Es wurde schon gesagt, dass die Huronen das plötzliche Verschwinden Hurry’s nicht bemerkten. In seinem jetzigen Zustand war er nicht nur durch die Plattform dem Auge verborgen, sondern wie die Arche langsam weiter fuhr, von einem jetzt geschwellten Segel getrieben, erwiesen ihm die Pfeiler denselben Liebesdienst. Die Huronen waren wirklich zu sehr darauf erpicht, ihren Feind, den Delawaren, durch eine Kugel, durch eine der Scharten oder Gucklöcher der Kajüte gesendet, zu tödten, um nur an einen Mann zu denken, den sie so fest und stark gebunden wähnten. Ihre große Sorge war die Art und Weise, wie die Arche an den Pfeilern sich vorüber drängte, obwohl ihre Bewegung mindestens um die Hälfte durch die Reibung geschwächt wurde, und sie begaben sich nach dem nördlichen Teile des Castells, um Gelegenheit zu suchen, durch die Löcher und Scharten auf jener Seite des Gebäudes zu feuern. Chingachgook war ebenso beschäftigt, und der Zustand Hurry’s blieb ihm ebenso verborgen, wie seinen Feinden. Wie die Arche knarrend vorbeifuhr, spieen die Büchsen ihre kleinen Rauchwolken von einem Versteck zum andern aus, aber die Augen und Bewegungen der andern Partei waren zu rasch, als dass ihnen hätte ein Leid zugefügt werden können. Endlich hatte die eine Partei den Verdruß, und die andre die Freude, die Fähre gänzlich von den Pfeilern loskommen zu sehen, worauf sie sogleich mit einer wesentlich beschleunigten Bewegung gegen Norden weiter rückte.
Jetzt erst erfuhr Chingachgook von Hist die kritische Lage Hurry’s. Hätte einer von Beiden sich auf dem Spiegel der Fähre blicken lassen und ausgesetzt – so wäre dies sichrer Tod gewesen, aber zum Glück reichte die Schote, woran der Mann sich festhielt, vorwärts bis an den Fuß des Segels. Der Delaware fand Mittel, sie von dem hintern Pflock loszumachen, und Hist, die schon zu diesem Behufe vorangeeilt war, begann sogleich das Tau einzuziehen. In diesem Augenblick trieb Hurry etwa fünfzig bis sechzig Fuß hinter dem Spiegel der Fähre her, nur das Gesicht über dem Wasser. Als er hinter dem Castell und den Pfeilern hervorgezogen ward, wurden erst die Huronen seiner ansichtig, die ein häßliches, gellendes Geschrei erhoben, und ein Feuer auf die schwimmende Masse, wie man wohl sagen darf, eröffneten. In diesem Augenblick begann auch Hist das Tau vorn anzuziehen – ein Umstand, der wahrscheinlich Hurry das Leben rettete, verbunden mit seiner eignen Fassung und Grenzmanns-Besonnenheit. Die erste Kugel schlug in’s Wasser gerade an der Stelle, wo die breite Brust des jungen Riesen durch das reine Element hindurch sichtbar war, und hätte ihm vielleicht das Herz durchbohrt, wäre der Winkel, in dem sie abgefeuert worden, weniger scharf gewesen. Aber statt in den See hinabzudringen, prallte sie von seiner glatten Fläche ab, und begrub sich in der Tat in den Blöcken der Cajüte, nahe an dem Platze, wo sich vor einer Minute Chingachgook gezeigt hatte, als er das Tau von dem Pflocke losmachte. Eine zweite, dritte und vierte Kugel folgten, aber allen leistete die Fläche des Wassers denselben Widerstand, obwohl Hurry deutlich die heftigen Erschütterungen spürte, die sie, so unmittelbar über seiner Brust, und so nahe in’s Wasser treffend, hervorbrachten. Ihren Mißgriff entdeckend, änderten jetzt die Huronen ihren Plan und zielten auf das nicht gedeckte Gesicht; aber jetzt zog Hist das Tau an, die Schießscheibe bewegte sich vorwärts, und die tödtlichen Geschoße fielen alle in’s Wasser. Im nächsten Augenblick ward der Riesenkörper an dem Hinterteil der Fähre vorbeigezogen und wurde jetzt den Feinden unsichtbar. Der Delaware und Hist arbeiteten ganz im Schutze der deckenden Cajüte, und in kürzerer Zeit als die Erzählung erheischt, hatten sie den gewaltigen Körper Hurry’s bis dahin, wo sie standen, herangezogen. Chingachgook stand mit seinem scharfen Messer bereit da, beugte sich über die Seite der Fähre hinab, und hatte bald den Bast durchschnitten, der die Glieder des Grenzmannes gefesselt hielt. Ihn hoch genug emporheben, um den Rand des Fahrzeugs zu erreichen, und ihm hereinhelfen, waren minder leichte Aufgaben, da Hurry seine Arme fast noch nicht brauchen konnte; aber Beides wurde doch bald geleistet, worauf der Befreite vorwärts taumelte, und erschöpft und kraftlos auf den Boden des Fahrzeugs hinfiel. Hier wollen wir ihn lassen, bis er seine Kraft und den freien Blutumlauf wieder gewinnt, während wir in der Erzählung von Ereignissen fortfahren, welche zu rasch sich herandrängen,, als dass sie einen Aufschub gestatteten.
Im Augenblick, wo die Huronen Hurry’s Körper aus dem Gesicht verloren, stießen sie Alle zusammen einen Schrei aus, der ihren Verdruß und ihre getäuschte Erwartung bezeugte, und drei der Rüstigsten von ihnen liefen nach der Fallthüre und traten in das Canoe. Es brauchte jedoch etwas längere Zeit, bis sie sich mit ihren Waffen einschifften, die Ruderschaufeln fanden, und wenn wir so sagen dürfen »aus dem Dock herauskamen.« Inzwischen war Hurry in die Fähre aufgenommen, und der Delaware hatte wieder seine Büchsen in Bereitschaft gesetzt. Da die Arche natürlich vor dem Wind segelte, hatte sie sich mittlerweile volle zwei hundert Schritte vom Castell entfernt, und glitt mit jedem Augenblick weiter und weiter, obwohl mit so leichter Bewegung, dass kaum das Wasser aufgewühlt wurde. Das Canoe der Mädchen war eine volle Viertelmeile von der Arche entfernt, und hielt sich, wie man deutlich sah, absichtlich in der Ferne, in Unkunde dessen, was vorgefallen, und aus Furcht vor den Folgen, wenn sie sich zu nahe heran wagten. Sie hatten die Richtung nach der östlichen Küste eingeschlagen, und suchten zu gleicher Zeit windwärts von der Arche ab, und gewissermassen zwischen die beiden Parteien zu kommen, wie mißtrauisch und ungewiß, Wen sie für Freund, Wen für Feind zu nehmen hätten. Die Mädchen führten in Folge langer Gewohnheit die Rudel schaufeln mit großer Gewandtheit; und Judith insbesondere hatte oft im Spiel bei Wettrennen gesiegt, wenn sie mit den gelegentlich den See besuchenden Jünglingen sich in der Schnelligkeit versuchte.
Als die drei Huronen hinter den Palisaden hervorkamen und sich auf dem offenen See sahen, in die Notwendigkeit versetzt, ohne Schutzmittel gegen die Arche anzurücken, falls sie bei ihrem ersten Plane beharrten, da kühlte sich ihr Eifer merklich ab. In einem Rinden-Canoe waren sie gänzlich ohne Schutz, und indianische Klugheit war ganz einer solchen Aufopferung des Lebens zuwider, wie sie die wahrscheinliche Folge eines Angriffsversuchs auf einen Feind sein musste, der so kräftig verschanzt war wie der Delaware. Statt daher der Arche zu folgen, wandten sich die drei Krieger gegen die östliche Küste hin, in sicherem Abstand von Chingachgooks Büchsen sich haltend. Aber dies Manöver machte die Lage der Mädchen ausnehmend kritisch. Es drohte, sie, wo nicht zwischen zwei Feuer, doch wenigstens zwischen zwei Gefahren zu bringen – oder was doch ihnen als solche erschien; und Judith, statt sich von den Huronen in einer Art von Netz, wie sie meinte, einschließen zu lassen, begann sogleich ihren Rückzug in südlicher Richtung, in nicht sehr großer Entfernung von der Küste. Zu landen getraute sie sich nicht; wenn sie überhaupt zu diesem Auskunftsmittel sich entschließen sollte, so konnte sie doch nur im äußersten Fall es zu ergreifen wagen. Zuerst schenkten die Indianer dem andern Canoe wenig oder keine Aufmerksamkeit; denn wohl wissend, Wen es enthielt, achteten sie seine Wegnahme für vergleichungsweise unwichtig, während die Arche mit ihren eingebildeten Schätzen, den Personen des Delawaren und Hurry’s und ihrem bedeutenden Apparat zur Ausführung von Bewegungen vor ihnen stand. Aber diese Arche hatte ihre Gefahren wie ihre Versuchungen; und nachdem sie beinahe eine Stunde mit schwankenden Bewegungen vergeudet, immer in sichrer Ferne von der Büchse, schienen die Huronen plötzlich ihren Entschluß zu fassen, und begannen ihn dadurch auszuführen, dass sie eine lebhafte Jagd auf die Mädchen eröffneten.
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