Philipp hatte keine Gelegenheit, seine Verwünschung zu beendigen. Der Doktor war so erschrocken fortgeeilt, daß er die Hälfte der Treppe hinunterstürzte und hinkend sich über die Brücke hinüberhelfen mußte. Er wünschte fast, die Reliquie nicht an sich genommen zu haben; aber seine plötzliche Flucht hinderte ihn, sie der Leiche wieder anzulegen, selbst wenn er gewollt hätte. Das Ergebniß dieses Gesprächs lenkte natürlich Philipps Gedanken auf die Reliquie; er begab sich in das Zimmer seiner Mutter, um sie zu holen. Wie er die Vorhänge öffnete, lag die Leiche ausgestreckt – er wollte das schwarze Band losknüpfen, aber es war nicht mehr zugegen.
»Es ist fort!« rief Philipp. »Die Nachbarn werden es wohl nicht entfernt haben – nein, nimmermehr. – – Es muß jenerSchurke der Poots gewesen sein. Aber ich will es wieder haben, selbst wenn er es verschluckt hätte – oder wenn ich ihm Glied für Glied vom Leibe reißen müßte.«
Philipp stürzte die Treppe hinunter, eilte aus dem Hause, setzte mit eine m Sprunge über den Graben und eilte ohne Rock oder Hut in der Richtung, wo des Doktors einsame Wohnung stand. Die Nachbarn sahen ihn mit der Schnelligkeit des Windes vorbeieilen, blickten ihm verwundert nach und schüttelten die Köpfe. Mynheer Poots hatte den Weg noch nicht zur Hälfte zurückgelegt, da sein Knöchel verrenkt war. Aus Furcht vor den Folgen, wenn sein Diebstahl entdeckt werden sollte, sah er hin und wieder zurück, bis er endlich zu seinem Entsetzen Philipp Vanderdecken aus der Entfernung ihm nachstürzen sah.
Vor Schrecken ganz außer sich, wußte der armselige Dieb kaum, was er thun sollte. Halt zu machen und das gestohlene Eigenthum wieder zurückzugeben, war sein erster Gedanke; aber die Furcht vor Vanderdeckens Ungestüm that Einsprache, weshalb er beschloß, nach Kräften zu eilen, um sein Haus zu erreichen. Dort konnte er sich verschanzen und so das entwendete Gut bergen oder wenigstens seine Bedingungen machen, ehe er es herausgab.
Mynheer Poots hatte wohl nöthig, schnell zu laufen, und that es auch nach Kräften; seine welke Gestalt huschte rasch auf den Spindelbeinen über den Boden hin. Sobald jedoch Philipp bemerkte, daß der Doktor zu entfliehen versuchte, fühlte er sich völlig überzeugt, daß dieser der Schuldige war und verdoppelte deshalb seine Anstrengungen. Hundert Schritte von seiner Thüre hörte Mynheer Poots Philipps raschen Tritt immer näher kommen, und die Todesangst beschleunigte seine Eile. Näher und näher vernahm er seinen Verfolger, bis er zuletzt dessen Athemzüge unterscheiden konnte; er schrie deshalb in seiner Furcht laut auf, wie der Hase im Rachen des Windspiels. Philipp befand sich nur noch eine Elle hinter ihm: sein Arm war bereits ausgestreckt, als der Doctor, vor Schrecken völlig gelähmt, zusammensank. Vanderdecken schoß in seinem Ungestüm über ihn weg, that einen Fehltritt und sank, während er sein Gleichgewicht zu erhalten bemüht war, rollend auf den Boden. Dieß rettete den Geizhals – er war ganz das Seitenstück eines Hasen. Im Nu befand er sich wieder auf den Beinen, und noch ehe Philipp sich erheben konnte, hatte Poots bereits seine Thüre erreicht und sie von innen verriegelt. Der junge Mann war jedoch entschlossen, seinen wichtigen Schatz nicht aufzugeben, und warf keuchend seine Blicke umher, um zu sehen, welche Mittel sich darböten, um einen Eingang in das Haus zu erzwingen. Da jedoch die Wohnung des Doctors abgelegen stand, war jede Vorsichtsmaßregel getroffen worden, um den Eigenthümer gegen Beraubung zu sichern; die untern Fenster hatten starke Gitter und die des obern Stockes waren zu hoch, als daß sie hätten erklommen werden können.
Wir müssen hier bemerken, daß Mynheer Poots, der seiner anerkannten Tüchtigkeit eine gute Praxis verdankte, doch allgemein im Rufe eines hartherzigen, gefühllosen Geizhalses stand. Niemand durfte je über seine Schwelle kommen, oder hatte überhaupt nur Lust dazu. Er war so abgeschieden von seinen Nebenmenschen, wie seine Wohnung, und ließ sich überhaupt nur in Kranken- und Leichenstuben blicken. Wie es in seinem Hauswesen aussah, wußte Niemand zu sagen. Als er sich in der Gegend niederließ, zeigte sich hin und wieder auf das Klopfen Derjenigen, welche die Dienste des Doctors verlangten, ein altes, abgelebtes Weib; aber sie war bereits seit einiger Zeit begraben, und seitdem antwortete Mynheer Poots in Person, während die zudringlichen Hilfsbedürftigen in seiner Abwesenheit gar keinen Bescheid erhielten. Daraus folgerte man, daß der alte Mann ganz allein lebe, denn er war zu filzig, um einen Dienstboten zu bezahlen. Auch Philipp war dieser Ansicht, und sobald er wieder zu Athem gekommen war, sann er auf einen Plan, durch den er sich in den Stand setzen konnte nicht nur das gestohlene Eigenthum wieder an sich zu bringen, sondern auch derbe Rache zu üben.
Die Thüre war stark und ließ sich durch die Hülfsmittel, welche sich Vanderdeckens Augen darboten, nicht erbrechen. Einige Minuten hielt er inne, um zu überlegen, und da sich in dieser Zeit sein Zorn kühlte, beschloß er, sich mit Zurückgabe der Reliquie zu begnügen, ohne Gewaltthat anzuwenden. Er rief daher mit lauter Stimme: –
»Mynheer Poots, ich weiß, daß Ihr mich hören könnt. Gebt mir zurück, was Ihr mir genommen habt, und ich will Euch kein Leides zufügen. Habt Ihr übrigens keine Lust dazu, so müßt Ihr die Folgen auf Euch nehmen, denn Ihr sollt mir den Diebstahl mit Eurem Leben bezahlen, ehe ich von der Stelle weiche.«
Diese Worte waren in der That vernehmlich genug, um von Mynheer Poots gehört zu werden; der kleine Geizhals hatte sich jedoch von seinem Schrecken wieder erholt, und da er jetzt sicher zu sein wähnte, konnte er sich nicht entschließen, die Reliquie so leichten Kauf's aufzugeben. Er antwortete deßhalb nicht, in der Hoffnung, Philipps Geduld werde sich erschöpfen, und sann auf ein Abfinden, etwa auf das Opfer einiger Gülden, die für einen armen Teufel wie Philipp keine Kleinigkeit waren, um sich so die Reliquie zu sichern, die ihm einen hohen Preis einzubringen versprach.
Als Vanderdecken bemerkte, daß keine Antwort folgte, brach er in heftige Schimpfreden aus und entschied sich für Maßregeln, die ihrer Natur nach keineswegs unentschieden genannt werden konnten.
Nicht weit von dem Hause stand ein kleiner Schober dürren Futters und unter der Hauswand ein Haufen Brennholz. Mit derartigen Hülfsmitteln gedachte Vanderdecken das Haus in Brand zu stecken und so, wenn er auch seine Reliquie nicht erhielt, wenigstens volle Rache zu nehmen. Er brachte mehrere Arme voll Heu herbei, legte sie an die Thüre des Hauses und schichtete Reißbündel und Holzscheite auf, bis von der Thüre nichts mehr zu sehen war. Dann griff er zu Stein, Stahl und Zunder, die jeder Holländer stets bei sich führt und hatte bald den Stoß zur Flamme angefacht. Der Rauch stieg in dichten Wolken zu den Dachsparren empor, während das Feuer unten wüthete. Auch die Thüre entzündete sich und vermehrte die Wuth der Flamme. Philipp jubelte in wilder Freude über den glücklichen Erfolg seines Versuches.
»Ha, du erbärmlicher Leichenberauber – du armseliger Dieb, jetzt sollst du meine Rache fühlen,« rief Philipp mit lauter Stimme. »Wenn du drinnen bleibst, wirst du von den Flammen verzehrt, und versuchst du herauszukommen, so sollst du von meinen Händen sterben, – Hört Ihr's, Mynheer Poots – hört Ihr's?«
Philipp hatte seine Anrede kaum beendigt, als das Fenster des oberen Stocks, das von der brennenden Thüre am weitesten entfernt war, aufgerissen wurde.
»Ha – jetzt kommst du, um zu bitten und zu betteln: aber da wird nichts daraus,« rief Philipp, machte aber plötzlich Halt, da sich an dem Fenster etwas zeigte, was ihm wie eine überirdische Erscheinung vorkam, denn statt der Jammerfigur des Geizhalses erblickte er eine der lieblichsten Gestalten, welche die Natur je zu schaffen beliebt hatte, ein wahres Engelwesen von ungefähr sechszehn oder siebenzehn Jahren, das in der Mitte der Gefahr, von welcher es bedroht war, die größte Ruhe und Entschlossenheit behauptete. Das lange Haar des Mädchens war in Flechten gelegt und zweimal um den schöngebildeten Kopf geschlungen; aus ihren großen dunkeln Augen leuchtete eine sanfte Gluth, und ihre hohe weiße Stirne, ihr Grübchen-Kinn, die feingeschnittenen und gewölbten rubinrothen Lippen stachen allerliebst, bezaubernd gegen die kleine, gerade Nase ab. Ein lieblicheres Antlitz kann man sich nicht leicht denken; es erinnerte an das, was die besten Maler in ihren glücklicheren Augenblicken bisweilen zu verkörpern vermögen, wenn sie eine schöne Heilige darzustellen wünschen. Dazu noch die leckende Flamme und der Rauch, der an dem Fenster vorbeiqualmte – man hätte sie in ihrer ruhigen Haltung für eine Märtyrerin auf dem Scheiterhaufen nehmen mögen.
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