»Deine Mutter ist nicht mehr, sagst du, mein Sohn? Und todt, ohne die heiligen Sakramente empfangen zu haben? Warum hast du nicht nach mir geschickt?«
»Sie starb plötzlich, guter Pater – ganz plötzlich – erst vor ein paar Stunden in diesen meinen Armen. Für ihre Seele bin ich unbekümmert, obgleich es mir sehr leid thut, daß Ihr nicht an ihrer Seite wart.«
Der Priester öffnete sachte die Vorhänge und blickte auf die Leiche hin. Dann sprengte er etwas Weihwasser auf das Bette und verharrte eine geraume Zeit in stummem Gebete. Endlich wandte er sich gegen Philipp um.
»Warum sehe ich dich aber so beschäftigt, und was ist der Grund, daß du so ängstlich nach diesem Schlüssel suchst? Der Tod einer Mutter sollte doch wohl geeignet sein, kindliche Thränen und Gebete für ihre ewige Ruhe hervorzurufen, und doch sind deine Augen trocken. Du bemühst dich, einen gleichgültigen Gegenstand aufzusuchen, während die Hülle noch warm ist, aus der vor Kurzem der Geist entwich. Das ist durchaus nicht schicklich, Philipp. Was ist's mit dem Schlüssel, den du suchst?«
»Vater, ich habe keine Zeit zu Thränen – keine Zeit für Schmerz oder Weheklagen. Es bleibt mir viel zu thun, und ichhabe mehr zu denken, als vielleicht mein Gehirn zu fassen vermag. Daß ich meine Mutter liebte, ist Euch nicht unbekannt.«
»Aber der Schlüssel, den du suchst, Philipp?«
»Vater, es ist der Schlüssel zu dem Gemach, das seit Jahren verschlossen blieb – und das ich – öffnen will – selbst wenn – –«
»Wenn was, mein Sohn?«
»Ich wollte etwas sagen, was ich verschweigen muß. Vergebt mir, Vater: ich meinte, daß ich jenes Gemach untersuchen müsse.«
»Ich habe längst auch von jener verschlossenen Stube gehört und weiß wohl, daß deine Mutter keine Auskunft darüber geben mochte, denn sie wollte sogar auf meine Fragen nie Rede stehen. Meine Pflicht veranlaßte mich, in sie zu dringen, aber als ich fand, daß mein Eifer ihr Gefahr drohte, gab ich jeden weiteren Versuch auf. Auf das Herz deiner Mutter muß eine schwere Last gedrückt haben, mein Sohn, obgleich sie mir nie darüber beichten oder dieselbe vertrauen mochte. Sage mir, hat sie dir vor ihrem Tode das Geheimniß mitgetheilt?«
»Ja, mein frommer Vater.«
»Würde es dir nicht zum Troste gereichen, wenn du es mir anvertrautest? Ich könnte dir mit meinem Rathe, mit meinem Beistande – –«
»Gewiß würde das der Fall sein, Vater, denn ich könnte auf Euren Beistand bauen und weiß recht wohl, daß Euch nicht bloße Neugierde, sondern ein besserer Beweggrund leitet. Aber aus dem, was meine arme Mutter sagte, ist mir noch nicht klar, ob sie die Wahrheit sprach, oder ob ihr nur irgend ein Phantom das Gehirn verwirrt hatte. Hat es mit der Sache seine Richtigkeit, so will ich gerne die Last mit Euch theilen – wie wenig Ihr mir es auch Dank wissen werdet; vorderhand aber muß ich schweigen und mein Werk erfüllen – ich muß allein das verhaßte Zimmer betreten.«
»Fürchtest du dich nicht?«
»Vater, ich fürchte nichts. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen – eine schreckliche zwar, aber ich bitte, fragt mich nicht weiter, denn gleich meiner Mutter, ist's mir, als ob eine Untersuchung der Wunde fast meine Vernunft über den Haufen werfen könnte.«
»Ich will nicht weiter in dich dringen. Vielleicht kommt die Zeit, in der ich dir Dienste leisten kann. Lebewohl, mein Kind; aber ich bitte dich, von dieser unziemenden Arbeit abzulassen, denn ich muß zu den Nachbarn schicken, damit sie deiner hingeschiedenen Mutter, deren Seele hoffentlich bei Gott ist, den letzten Dienst erweisen.«
Der Priester sah Philipp an und bemerkte aus der starren und betrübten Miene desselben, daß seine Gedanken anderswo waren; er entfernte sich mit Kopfschütteln.
»Er hat Recht,« sagte Philipp zu sich selbst, als er wieder allein war, indem er den Schrein aufnahm und ihn wieder an seinen vorigen Platz rückte. »Ein paar Stunden mehr oder weniger können keinen Unterschied ausmachen. Ich will mich niederlegen, denn mein Kopf ist schwindelig.«
Er begab sich in das anstoßende Gemach, warf sich auf sein Bette und lag nach ein paar Minuten in einem so tiefen Schlafe, als derjenige ist, der ein paar Stunden vor der Hinrichtung die Augen des Verurteilten zudrückt.
Während seines Schlummers kamen die Nachbarn herbei und trafen alle Vorkehrungen für die Beerdigung der Wittwe, ohne jedoch den Sohn zu wecken, weil sie es für eine heilige Pflicht hielten, den Schlaf zu schonen, dem nur ein schmerzliches Erwachen folgen konnte. Bald nach Mittag langte unter Anderen auch Mynheer Poots an. Er hatte zwar bereits Kunde von dem Tode der Wittwe erhalten, konnte aber über ein freies Stündchen verfügen und meinte, er könne recht wohl einen Besuch machen, da derselbe seine Rechnung um einen weitern Gülden erhöhen würde. Zuerst begab er sich nach dem Gemache, wo die Leiche lag, dann aber nach der Kammer Philipps, welchen er an der Schulter rüttelte.
Philipp erwachte, richtete sich auf und sah den Doktor neben seinem Lager stehen.
»Nun, Mynheer Vanderdecken,« begann der gefühllose kleine Mann, »so ist also Alles vorüber. Ich wußte wohl daß es so kommen würde; aber wohlgemerkt, Ihr schuldet mir jetzt einen weitern Gülden und Ihr habt mir versprochen, Alles redlich zu bezahlen. Mit dem Trank macht Alles zusammen vierthalb Gülden, vorausgesetzt, daß Ihr mir das Fläschchen zurückgebt.«
Philipp erholte sich während dieser Anrede aus seiner Schlaftrunkenheit, stand von seinem Bette auf und erwiderte:
»Ihr sollt Eure vierthalb Gülden und die Flasche obendrein haben, Herr Poots.«
»Ja, ja; ich weiß, Ihr habt die Absicht, mich zu bezahlen – wenn Ihr könnt. Aber schaut, Mynheer Philipp, es wird vielleicht einige Zeit anstehen, ehe Ihr die Hütte verkaufen könnt. Ihr werdet nicht viele Liebhaber finden. Nun, ich möchte nie gerne hart mit Leuten umgehen, die kein Geld haben, und will Euch daher sagen, was meine Ansicht ist. Eure Mutter hat da etwas um den Hals. Es besitzt für Niemand einen Werth, als – für einen guten Katholiken. Um Euch aus Eurer Noth zu helfen, will ich dieses Ding nehmen, und dann mit Euch quitt sein. Ich bin dann bezahlt und die Sache hat ein Ende.«
Philipp hörte ruhig zu; er wußte, was der kleine Geizhals meinte – die Reliquie am Halse seiner Mutter – dieselbe Reliquie, auf welche sein Vater den verhängnißvollen Eid geschworen hatte. Er fühlte, daß eine Million Gülden ihn nicht veranlassen konnte, sich davon zu trennen.
»Verlaßt das Haus,« antwortete er; »verlaßt es augenblicklich. Euer Geld soll bezahlt werden.«
Nun wußte Mynheer Poots für's erste, daß die Fassung der Reliquie, eine viereckige Kapsel von reinem Golde, mehr werth war, als die ihm schuldige Summe. Desgleichen war ihm nicht unbekannt, daß für das Heiligthum selbst ein großer Preis bezahlt worden war, und da in jener Zeit derartige Reliquien sehr werth gehalten wurden, so zweifelte er nicht, etwas Erkleckliches daraus zu lösen. Als er in die Leichenkammer trat, hatte der Anblick so verführerisch auf ihn gewirkt, daß er die Kapsel wegnahm und sie in seiner Rocktasche verbarg; er entgegnete daher –
»Mein Anerbieten ist nicht unrecht, Mynheer Philipp, und Ihr würdet gut thun, es anzunehmen. Wozu ist auch ein solcher Tand nütze?«
»Ich sage Euch noch einmal, nein,« rief Philipp ergrimmt.
»Wohlan denn, so laßt mir es wenigstens, bis ich bezahlt bin, Mynheer Vanderdecken – das ist nicht mehr wie billig. Ich mag mein Geld nicht verlieren. Wenn Ihr mir die vierthalb Gülden und die Flasche bringt, so will ich es Euch zurückgeben.«
Philipps Entrüstung kannte jetzt keine Grenzen mehr. Er ergriff Mynheer Poots am Kragen und warf ihn zur Thüre hinaus.
»Hinweg mit Euch, augenblicklich,« rief er, »oder bei – –«
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