Paula Grimm - Stille Bylle

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Die blinde Flötistin Sibylle Leuchteblau stirbt. Die Kommissarin Gesken Paulsen ermittelt. Die unter Verdacht stehenden früheren Mitschüller der Flötistin bestehen auf einem Selbstmord.
Es ist Sibylle selbst, die auch über den Tod hinaus ihre eigene Geschichte erzählt, eine Geschichte über das Leben, das Überleben und das Sterben, womit sie das Leben beider Frauen unweigerlich verknüpft.
In diesem Auftakt des dreiteiligen mysthisch-mythologischen Entwicklungsromans über die beiden ungewöhnlichen Frauen, der kein klassischer Krimi ist, geht es um Gesken, Sibylle und ihre Muse Euterpe, ihr Leben, ihr Wirken und den Zauber der Musik.

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Stille Bylle

Slaap min Kind up witte Wulken

Paula Grimm

Impressum

Stille Bylle

© 2019 Paula Grimm 1. Auflage Alle Rechte vorbehalten.

Text: Paula Grimm

Umschlagbild: Mira Alexander, http://www.miraalexander.de

Illustration: Mira Alexander, http://www.miraalexander.de

Satz: Mira Alexander, http://www.miraalexander.de

Kontakt: Paula Grimm, Zerrespfad 9, 53332 Bornheim

Alle Rechte vorbehalten. Das vorliegende Werk darf weder in seiner Gesamtheit noch in seinen Teilen ohne vorheriger schriftlichen Zustimmung der Rechteinhaber in welcher Form auch immer veröffentlicht werden.

Das betrifft insbesondere jedoch nicht ausschließlich elektronische, mechanische, physische, audiovisuelle oder andersweitige Reproduktion oder Speicherung und oder Übertragung des Werkes sowie die Übersetzungen.

Davon ausgenommen sind kurze Auszüge, die zum Zwecke der Rezension entnommen werden.

Aus dem Inhalt

Die blinde Flötistin Sibylle Leuchteblau stirbt. Die Kommissarin Gesken Paulsen ermittelt. Die unter Verdacht stehenden früheren Mitschüler der Flötistin bestehen auf einem Selbstmord.

Es ist Sibylle selbst, die auch über den Tod hinaus ihre eigene Geschichte erzählt, eine Geschichte über das Leben, das Überleben und das Sterben, womit sie das Leben beider Frauen unweigerlich verknüpft.

In diesem Auftakt des dreiteiligen mysthisch-mythologischen Entwicklungsromans über die beiden ungewöhnlichen Frauen, der kein klassischer Krimi ist, geht es um Gesken, Sibylle und ihre Muse Euterpe, ihr Leben, ihr Wirken und den Zauber der Musik.

Autorin

Paula Grimm ist eine Autorin und ursprünglich Diplompädagogin von Beruf.

Motto

„Tu den Mund auf für die Stummen und die Sache aller, die verlassen sind.“

Spr. 31,8

1 Kapitel

„Wer dem Tod eines Altersgenossen begegnet, begegnet immer auch seinem eigenen Tod!“, dachte Gesken Paulsen. Sie wandte den Kopf langsam nach links und von der Toten ab. Dann schloss sie kurz die Augen, um sich darauf zu konzentrieren, wo dieser passende und vertraute Gedanke seinen Ursprung hatte. Gesken öffnete die Augen wieder und betrachtete das Zimmer, in dem die Leiche gefunden worden war. „Eine verdächtig ruhige Szene, eine verdammt ruhige Szene!“, dachte sie. Aber irgendetwas verhinderte, dass sie diese „verdammt ruhige Szene“ genau erfassen konnte. Um dem spontanen Gedanken, der ihr beim ersten Anblick der Leiche gekommen war, auf die Schliche zu kommen, und um sich ganz auf den Todesfall einzustellen, ließ sie ihre Gedanken zu dem zurückkommen, was sie erlebt hatte, bevor sie der Toten begegnet war.

Dass die Tote genauso alt war wie Gesken Paulsen und einige andere Fakten, hatte ihr Heiko Wissmann mitgeteilt, noch bevor sie in den ersten Stock des Hotels gegangen war, um die Leiche zu sehen. Als Gesken den Eingangsbereich des Viermasters betreten hatte, hatte sie Wissmann beobachtet, wie er wie ein Gockel auf und ab stolzierte, um derjenige zu sein, der der Chefin die bereits bekannten Fakten präsentierte. Obwohl er begierig seine Informationen an sie loswerden wollte und auf sie wartete, hatte er sie zunächst nicht bemerkt.

„Moin, Wissmann“, hatte sie gesagt.

Mit hochmütigem Gesicht kam er auf sie zu, plusterte sich noch mehr auf und sah seiner Chefin mit herablassendem Blick an, obwohl er zu ihr aufsehen musste. Denn er war fast 20 Zentimeter kleiner als sie.

„Welche Fakten sind schon bekannt?“ Auf Wissmanns Gesicht zeigte sich kurz ein verärgerter Ausdruck, weil er wusste, dass sie bei jedem anderen Kollegen „Was wissen wir schon?“ gefragt hätte.

Doch er schaffte es, großspurig da zu stehen und zu verkünden: „Weibliche Leiche, 51 Jahre alt, war mit einer Blindengruppe hier. Die Leute wollten an diesem Wochenende hier ihren 45⁠-⁠jährigen Einschulungstag feiern. Die sind wohl hier, weil sie hier auch mal im Schullandheim gewesen sind. Sie war Musikerin und Musikprofessorin in Hamburg, schrieb und übersetzte auch und das alles inzwischen sehr erfolgreich. Ihr Name war, ähm, Sibylle, ähm, Sibylle, ach ja, Sibylle Leuchteblau, arbeitete aber unter einem Pseudonym. Das hab ich vergessen, ist aber nicht wirklich wichtig. Sie wurde vielleicht vergiftet. Ich denke, dass es Selbstmord war, wahrscheinlich Zyankali. Sie wurde tot in ihrem Zimmer gefunden.“

„Wie sind die Leute auf den Todesfall aufmerksam geworden?“

„Die hatte einen Köter, so ein Vieh, das sie geführt hat. Der hat irgendwie gepeilt, dass was nicht stimmt, hat die Zimmertür aufgemacht, ist zu der Wirtin gerannt, die noch beim Aufräumen war. Und die hat sie dann gefunden.“

„Dann zeigen Sie mir mal den Tatort“, sagte Gesken und ließ Wissmann an sich vorbei- und vorgehen.

Als sie den Flur im ersten Stock betreten hatte, war Gesken sofort die ruhige und gefasste Stimmung aufgefallen, die von überall her auf sie zugekommen war. Gesken fühlte sich, als ob sie mit all den Menschen in einem Kokon eingesponnen gewesen wäre. Diese Ruhe war klebrig. Aber Gesken zögerte nur einen kurzen Augenblick. Dann betrat sie das Hotelzimmer, in dem Sibylle Leuchteblau lag.

„Moin, zusammen!“, grüßte sie mit ihrer tiefen leicht rauen Stimme laut und deutlich, dass auch die Gäste, deren Zimmertüren alle offen standen, sie hören konnten. Es war eigentlich nicht die Ruhe selbst, die Gesken störte, und die sie durchbrechen wollte. Doch in der Stille lag eine spezielle Art der Neugier, die etwas Gefräßiges an sich hatte. Dazu kam noch die Herrschsucht von manchen Leuten, die in sie eindringen wollte. Sie fühlte sich derart belästigt, dass sie davon abgehalten wurde, sich angemessen mit dem Todesfall der Sibylle Leuchteblau zu befassen.

„Warum sind Sie eigentlich so spät gekommen, Chefin?“, hatte Wissmann gefragt. Das Wort Chefin hatte er ihr förmlich vor die Füße gespuckt.

„Meine ältere Tochter hatte nach mehr als einem Jahr einen ihrer plötzlichen Anfälle von Muttersehnsucht. Da musste ich doch hin.“ Gesken hatte dann heftig den Kopf geschüttelt und damit die Gedanken an den Nobelfraß, die teuren Weine, das gezierte Imponiergebell der Mutter ihres Schwiegersohns und den larmoyanten Fastmonolog ihrer Tochter Rikarda, den sie sich hatte nach dem Essen anhören müssen, abzuschütteln.

Im Hotelzimmer roch es nach Bittermandel und Erbrochenem. Aber Gesken wurde wie immer nicht übel. Sie hatte das, was man „einen Pferdemagen“ nennt.

Dann hatte sie Sibylle Leuchteblau sorgfältig und ruhig betrachtet und festgestellt, dass sie nicht nur im selben Alter gewesen war, sondern auch zur selben Größe aufgeschossen war wie Gesken selbst.

„Bohnenstange, Storch im Salat, Kleiderständer, um nur die netteren Sachen zu sagen“, hatte Gesken mit leicht bitterem Unterton in der Stimme gemurmelt.

„Schön, dass Sie solidarisch sind. Aber, was denken Sie über den Todesfall? Finden Sie nicht auch, dass das auch ein Selbstmord sein könnte?“

„Nein, das finde ich ganz und gar nicht. Das sieht aus, als ob es sich eine Frau mit einem Schlummertrunk und einem Buch zum Abschluss eines Tages im Bett gemütlich machen wollte“, erwiderte Gesken verwundert darüber, dass sie wohl doch schon mehr wahrgenommen und verstanden hatte, als sie gedacht hatte.

„Dafür spricht auch, dass wir im Bad ihre Glasaugen in der Reinigungsflüssigkeit gefunden haben“, hatte Leo Winkler eingewendet.

Noch bevor Wissmann gekränkt darüber, dass auch sein neuer Partner ihm widersprach, etwas entgegnen konnte, hatte der Gerichtsmediziner und enge Vertraute von Gesken, Dr. Jan Wilhelmsen, hinzugefügt: „Die Auffindesituation lässt einen Selbstmord sehr, sehr unwahrscheinlich erscheinen, wie Winkler schon ausgeführt hat. Und schon früher haben Selbstmörder gewusst, wie man Zyankali mit bestimmten Säuren versetzen kann, um den Todeskampf zumindest fast ganz auszuschalten. Das war bei Frau Leuchteblau nicht der Fall. Heute ist es viel einfacher als früher die passenden Informationen und Produkte zu bekommen. Aber wie dem auch sei. Die Autopsie wird uns Aufschluss geben.“

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