Das bedeutet, dass der Reiter selbst eine sehr gute Kondition haben muss, um die kräftigen Bewegungen des Pferdes rhythmisch aufzunehmen, elastisch abzufangen und zu modulieren. Reiten, also das Pferd steuern heißt dann, die eigene Körperspannung in kleinsten Details an jeder Stelle des Körpers ganz gering oder auch mal ganz stark so zu verändern, dass das Pferd diese Signale aufnehmen und umsetzen kann. Wenn ich nach einem guten Ritt von Poseidon absteige, dann zittern mir alle Muskeln. Dann weiß ich, das war wieder mal ein super guter Workout! Bis ich das selbst so konnte, hat es einige Jahre gedauert. Reitsport erfordert komplizierte Bewegungsabläufe, die ich nur mit sehr viel Disziplin, Ausdauer und auch dem Wunsch, es dem Pferd zuliebe endlich richtig können zu wollen, langsam aber gründlich gelernt habe. Ich kann an dieser Stelle zugeben, dass ich in der Schule noch so unsportlich war, dass ich nie (!) eine Urkunde bei den Bundesjugendspielen bekam und dass ich aus Angst nie über den Bock gesprungen bin. Wenn mein damaliger Sportlehrer heute nun sehen könnte, dass ich zusammen mit einem 600-Kg-Pferd unter mir noch über viel größere Böcke springe...
Ich genieße es, mich gewissermaßen auch schicksalhaft auf Poseidon einzulassen. Ich muss mich auf ihn verlassen können, wenn wir zum Beispiel mal gemeinsam eine so deutliche Schräglage einnehmen, aus der wir zusammen auch umkippen könnten, wenn er nicht doch noch mit einem richtigen Schritt unser Gleichgewicht wieder herstellen würde. Er ist ja der einzige von uns beiden, der läuft. Oder wenn er mal so richtig schnell, aus purer Freude und laut wiehernd mit höchstem Tempo über ein freies Feld galoppiert, dann muss ich wissen und darauf vertrauen, dass er Obacht gibt, nicht zu stolpern und dass er auch rechtzeitig wieder langsamer wird. Solche Situationen lasse ich zu, weil ich ihm vertraue. Ich spüre, dass er am Ende, wieder in gemächlichem Trab nach so einem fast selbstvergessen Spurt auch wieder merkt, ach ja, Du bist ja auch noch da – war doch aber eben ganz toll, oder?
Und wenn wirklich mal etwas passiert wäre, ja dann wäre es uns beiden gemeinsam passiert. Auch das schweißt zusammen. Wer das nicht glaubt, der muss es einfach mal selber erfahren!
Aber so reiten kann ich nur, wenn ich in jeder Sekunde zu hundert Prozent in Gedanken und körperlich bei Poseidon bin. Diese höchste Aktivität läßt mich all die anderen Dinge, die ich auch noch zu tun habe, vergessen. Diese gemeinsame Zeit schenken wir uns beide. Und das wirkt sehr stark entspannend.
Ich bin froh, dass ich die Gemeinsamkeit mit Poseidon erleben darf. Das zwingt mich auch, ganz unabhängig vom Wetter in ziemlicher Regelmäßigkeit Poseidon zu einem Ritt zu überreden, denn wir beide müssen im Training bleiben.
Zu all den Gründen, warum Reiten so schön, so wichtig und so gut ist, kommt noch ein weiterer Grund hinzu:
Die bedingungslose Liebe in dieser Männerfreundschaft, also Poseidon und ich.
Woher meine Zuneigung zu den Pferden kommt, kann ich nicht sagen.
Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich sie schon als Kind. Immer, wenn ich im Wald nur einige Hufspuren gesehen hatte, habe ich mir die Pferde vorgestellt, die sie hinterlassen haben. Große, langsam im Schritt schreitende, mit ihrem voluminösen Körper wiegende Pferde, deren Mähne mit jedem Schritt so schön flattert, mit glänzendem Fell, meist dunkel. Und ich hatte den schweren, aromatischen Geruch sogleich in der Nase. Auch, wenn sie gar nicht da waren.
Natürlich kannte ich Pferde – der Blumenmann auf dem Markt kam immer mit einem Kutschwagen und während er seine Blumen verkaufte, stand seine Stute Wanda dort, ließ sich von uns Kindern betrachten und streicheln. Beim Füttern hat sie mir einmal (ganz bestimmt aus Versehen!) auf meinen Finger gebissen. Sogleich hat sie, wie um Entschuldigung bittend, ihren Kopf nach oben weggezogen. So habe ich das als Kind verstanden und ich bin sicher, sie hat es wirklich so gemeint.
In der Nähe der Schule war ein Gestüt mit Halle, Reitplatz und einigen Pferden. Wer dort reiten konnte, weiß ich nicht, jedenfalls habe ich sie bewundert und auch ein bisschen beneidet. Ich gehörte ja nicht dazu. Einmal durfte ich helfen, die Stangen für die Sprunghindernisse zu tragen. Als Belohnung durfte ich eine Runde – es war wirklich nur eine Runde – auf einem Pferd, das geführt wurde, auf dem Platz reiten.
Diese wiegende Bewegung unter mir hat sich tief eingeprägt, diese sanfte, rhythmische Kraft.
Mir fällt auch noch ein, als Kind im Winter, als andere einen Schneemann gebaut hatten, dass ich mir stattdessen ein Pferd gebaut hatte. Immerhin so groß, dass ich mich auf seinen Rücken setzen konnte.
Ich hatte schnell einen nassen, kalten Hintern – daran kann ich mich wirklich noch sehr gut erinnern!
Als Kind wollte ich ja immer Reiten lernen, aber es war aus verschiedenen Gründen nicht möglich. So blieb es lange ein Wunschtraum. Aber als ich dann so auf Ende dreißig zuging, habe ich mir eine Reithose, Reitstiefel (erstmal die billigen aus Gummi – falls ich doch schnell wieder aufhören sollte) gekauft.
Im Reitstall Wallenhauer habe ich dann mit dem Reitunterricht begonnen, Kalinka und Jana, meine Töchter dann auch gleich.
Dann stand ich neben dem Schulpferd, es hieß Zorro (wehe, der Name ist Programm!). Noch kurz habe ich überlegt, warum mache ich das jetzt? Freiwillig?! Das Pferd war so groß wie ich und wartete darauf, dass ich aufsteige. Also, mit dem linken Fuß in den linken Steigbügel – weiter hoch kam ich aber erstmal nicht. Diese Bewegung, also den Rest meines Körpers da hochzuhieven, habe nicht so gleich geschafft. Der Sattel mit den Steigbügeln knarzte laut und meine Beinmuskeln zerrten sich. Da hat der Reitlehrer Wallenhauer nicht ganz sanft nachgeschoben. So bestand dann kurz noch die Gefahr, dass ich auf der anderen Seite gleich wieder kopfüber zu Boden gehen könnte.
Als ich dann auf Zorro saß, und als er den Worten Wallenhauers folgend losging (Wallenhauer kommandierte: „Sche-Ritt {1}!“ und wedelte mit der Gerte), da schwankte dieser große Zorro doch ziemlich wackelig unter mir voran.
Als es sogleich an der Longe im Trab mit starken Fliehkräften im Kreise herum weiterging, habe ich immer mehr das Ende einer jeden Runde herbeigesehnt.
Aber trotzdem, ich wollte das ja!
Und immer habe ich einen neuen Fehler nach dem anderen gemacht. Die Zügel flatterten und ich konnte einfach nicht den Rhythmus des wippenden Kopfes von Zorro mit meinen Händen nachzeichnen, weil mein Körper ja auch noch hoch und runterhüpfte. Und ich musste ja auch noch irgendwie zentriert auf seinem Rücken bleiben und nicht rechts oder links davon runterrutschen. Diese Gefahr bestand bei jedem einzelnen Schritt aufs Neue und musste kontrolliert werden. Und doch, ich wollte das lernen!
Zorro tat mir auch Leid, dauernd ruckten die Zügel in seinem Gebiss herum und oft krachte ich, vollkommen aus dem Rhythmus gekommen, mit meinem Hintern auf seinen Rücken. Das tat ihm bestimmt weh – mir jedenfalls schon!
Dazu kam noch das Geschrei von Manfred Wallenhauer. Er war ein typischer Vertreter der Art Reitlehrer mit rauem Ton. Dabei wedelte er mit der Gerte, die auch mal knallte. Und ich hatte Angst, dass Zorro bei dem Peitschenknall plötzlichen einen Satz nach vorne machen könnte. Das war mir gar nicht recht, ich wollte eigentlich eher im Einvernehmen mit dem Pferd reiten. Oft wusste ich gar nicht, was ich denn schon wieder falsch mache und vor allem: was muss ich anders machen und wie geht das!?
Es gab da noch einen anderen Reitlehrer, Philipp Thalheim. Der kam mir ruhiger vor und er hatte eine eher analytische, elegante akademischere Art. Den konnte ich besser verstehen.
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