Die Seele Elfriede war noch so eigenwillig und stolz, dass sie sich weigerte, diesen Dienst auf sich zu nehmen. Sie hatte eben noch alle jene Wesenszüge, die sie auch auf Erden besessen hatte. So blieb der Gotteswelt nichts Anderes übrig, als diese hochmütige Schwester abzusondern, um ihr so Gelegenheit zu geben, über ihr zurückgelegtes Erdenleben nachzusinnen. Also führte man sie in eine Einöde, in eine Wüste. Niemand war in ihrer Nähe, und nichts war um sie, das sie hätte ablenken oder gar erfreuen können. Der Engel sprach zu ihr:
"In deiner Welt galtest du als eine reiche Frau. Du besaßest ein großes Haus und zahlreiche Dienerschaft. Doch sag mir, was hat dir dieser Reichtum genützt? Welchen Gewinn hast du heute in der Ewigkeit davon? Deine Frömmigkeit war nur vorgetäuscht, du warst selbstsüchtig und hast deine Mitmenschen gedemütigt, wo du nur konntest. Jetzt ist dir Gelegenheit gegeben, über das Vergangene nachzudenken, Gott um Vergebung zu bitten und dir Gedanken zu machen, wie du deine Verfehlungen wieder gut machen könntest."
Auf solche Weise gab man dieser Schwester Gelegenheit, ihr Denken zu wandeln und sich nach Gott hin auszurichten. Dies dauerte sehr, sehr lange. Aber darauf will ich nicht weiter eingehen, denn ich habe euch Ähnliches schon oft dargelegt. Ich will mit diesem Fallbeispiel nur zum Ausdruck bringen, wie ein Mensch bestraft werden kann, der es unterlässt, Gutes zu tun, das er hätte tun können und das ihm zugemutet werden konnte. Wer solches Gute zu tun versäumt, belastet sich in der Seele.
Wenn Menschenseelen sich darauf berufen, sie hätten doch die irdischen Gesetze eingehalten, so will das noch nicht heißen, dass sie in ihrem Leben nicht geistige Gesetze verletzt haben. Darüber entscheidet die Geisterwelt Gottes, und sie bestimmt auch die dafür notwendige Sühne. So kann man sich beispielsweise als Mensch durch eine böse Zunge belasten, um es in eurer Redeweise auszudrücken. Durch eine böse Zunge braucht man mit dem irdischen Gesetz nicht in Konflikt zu kommen, ganz bestimmt aber kommt man dadurch mit dem geistigen Gesetz in Konflikt. Alles kommt somit darauf an, wie man sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält. Leicht geschieht es dann, dass man in die Ewigkeit hinüber tritt in der festen Meinung, ordentlich gelebt zu haben, und jetzt zu seinem größten Erstaunen plötzlich vernehmen muss, dass einem dieses oder jenes als Verfehlung angelastet wird, die man wieder gut zu machen hat. Solche Erlebnisse bei der Heimkehr versetzen gar manchen in seelische Unruhe. Man war doch der Auffassung gewesen, es hätte im Leben genügt, an Gott zu glauben und dann und wann auch einmal etwas Gutes zu tun. Allein die Gotteswelt entscheidet darüber, was einem Menschen zugemutet werden darf. So ist es für den aufwärts strebenden Geistesmenschen ganz gewiss ratsam, sich bei allem, was er spricht und tut, zu überlegen, ob er damit auch kein geistiges Gesetz verletzt. Denn so leicht kann man nicht in die himmlische Seligkeit eingehen; man muss sie sich auf dieser Erde wahrhaftig verdienen.
Man kann doch an eine Gerechtigkeit Gottes nicht so recht glauben wenn man das viele Leid und die Ungerechtigkeiten, die auf dieser Welt herrschten und immer noch herrschen, und man fragt sich, warum greift er nicht ein. Aber wo soll er nicht überall eingreifen, und außerdem hat jeder seinen freien Willen, und das Leben ist ja auch eine Prüfung. Das Sprichwort: Gottes Mühlen mahlen langsam aber trefflich fein, das trifft immer zu. Das kann man im nachfolgenden Fallbeispiel, das medial durchgegeben worden ist, gut erkennen:
Geist Gottes: Es war eine Seele, namens Karin, die in die Ewigkeit heimgekehrt war, und sie wunderte sich über die schöne Welt, die sie antraf, ebenso staunte sie über den Empfang, den man ihr bereitete, denn diese neue Welt war für sie nur Seligkeit, nachdem sie eine düstere Welt zurückgelassen hatte, auf der sie ein schweres Leben ertragen musste. Viele Demütigungen musste sie sich gefallen lassen. Und jetzt, in dieser neuen Welt, da war alles so licht, so schön und herrlich. Die Engel Gottes, die sich ihr genähert hatten, brachten ihr Gewänder, die sie, wie sie sagten, in ihrem menschlichen Leben selbst gewoben hätte durch ihre Liebe, Aufopferung, Duldsamkeit, Friedfertigkeit und ihr Verständnis. So hatte sie für sich diese schönen geistigen Gewänder gewoben. Jetzt blieben sie ihr Eigentum, und je nach ihrem Verlangen durfte sie einmal dieses festliche Gewand anziehen und dann wieder ein anderes, wie es ihr gerade gefiel. Und man sagte ihr:
"Du wirst für eine geraume Zeit keine Arbeit aufzunehmen haben, im Gegensatz zu so vielen anderen, die vom Erdenleben heimkehren, sondern du sollst dich nun wahrhaftig zuerst in dieser Seligkeit umsehen und dich dieser Schönheiten erfreuen. Ja, es war für sie eine große Freude, aber zugleich eine große Überraschung.
Ja, sie musste im Leben viel entbehren, aber trotz ihrer menschlichen Not behielt sie ihre Frömmigkeit bei, legte ihr Schicksal vertrauensvoll in Gottes Hände und hoffte, dass die göttliche Welt es sehen und für sie auch Verständnis und ein Erbarmen zeigen würde. Nun, für alle Duldsamkeit wurde sie reichlich belohnt, und die Erniedrigungen brachten in ihrem Gewande wunderschöne, edle Steine von großem Wert hervor. Da sagte ein Engel Gottes zu ihr:
"Nun mach es dir bequem, wie es dir beliebt in dieser neuen Welt. Aber wir werden dich auch mehrmals in das Haus zurückführen, wo du gelebt hast, denn du sollst sehen, was jetzt dort vor sich geht. Auch werden wir dich benachrichtigen von der Heimkehr deiner Herrin im menschlichen Leben, wenn es soweit ist."
So geschah es. Der Engel führte sie dann und wann in das Haus ihrer einstigen Herrin zurück, die schwer krank geworden war, und sie vernahm aus dem Mund des göttlichen Wesens, dass auch sie in nicht allzu ferner Zeit die Schwelle des Jenseits überschreiten müsse, und sie sollte zu ihrer Begrüßung zugegen sein.
Als es dann soweit war, brachte ein Engel die Kunde von der bevorstehenden Heimkehr ihrer einstigen Herrin mit dem Namen Doris. Der Engel nahm sie wieder mit in das Sterbehaus, und da konnte sie mit ansehen, in welcher Weise sich der Geist aus dem Körper der Sterbenden löste und wie die verbindende silberne Schnur zerschnitten wurde. Als diese Trennung vollendet war, stand sie da, die einstige Herrin. Doris war etwas benommen, unsicher um sich schauend und alles Neue bestaunend. Überrascht erblickte sie ihre frühere Dienerin und war erstaunt über ihr wunderschönes Aussehen, denn diese hatte sich zum Empfang noch ganz besonders geschmückt. Noch wusste die Heimgekehrte nicht recht, was mit ihr geschehen war. In ihrer Benommenheit betastete sie ihren geistigen Leib und stellte fest, dass sie nun in den Kleider ihrer früheren Dienerin stand, und sie gab sogleich ihrer Entrüstung Ausdruck. Der Engel aber, der ihr zur Seite stand, sagte ihr gleich:
"Du hast deinen irdischen Leib auf der Erde zurückgelassen, aber was unsterblich ist an dir, ist auferstanden, und wir haben dich eingehüllt in das Gewand, das du dir zeit deines Lebens selbst gewoben hast. Etwas befremdet über die ihr noch nicht verständlichen Worte und zugleich enttäuscht betrachtete sie sich wieder so gut sie konnte. Dann rief sie ihre einstige Dienerin verzweifelt beim Namen. Hilflos stand sie zuerst da, doch bald wurde sie energisch. Ihre Dienerin betrachtend glaubte sie, diese hätte ihre schönen Kleider geraubt, und nun herrschte sie sie an:
"Es ist mein Gewand, das du trägst."
Dabei machte sie eine etwas ungeschickte Bewegung, als wollte sie ihrer einstigen Dienerin das Kleid von ihrem Geistesleib reißen. Der Engel jedoch stellte sich dazwischen und sprach:
"Du trägst wahrhaftig das Gewand, das dir gehört, und das du dir im Leben selbst gewoben hast."
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