Schock auf meinem Gesicht. Ich war sprachlos. Starrte meinen Gegenüber an. Die Entschuldigung für diesen Zusammenstoß blieb irgendwo in mir hängen. Fand nie den Weg raus.
Von dem Moment im Zug in Berlin, bis hier im Steakhaus in Kabul hatte ich nie mehr an Irmgard gedacht. Sie hatte sich total aufgelöst in mir.
Und hier in Kabul, starrten wir uns an, immer noch in der Eingangstür zum Steakhaus.
Das überraschte:
„DU?“
Es kam von uns beiden im selben Moment, traf sich in der Mitte zwischen uns.
Richtig! Sie wusste ja nicht, dass ich auch gefahren war. Totenstille zwischen uns. Sprachlosigkeit.
„Ja, ich.“
Da war noch ein anderer Typ neben der Tür, drängte sich vorbei ins Restaurant. Ihre starren Augen lösten sich von mir, sie sah ihm nach.
„Sorry, ich muss reingehen.“
Sie drehte sich um und weg war sie. Ich stand da wie erstarrt, konnte es immer noch nicht fassen.
Das Sorry war eigentlich nicht für mich bestimmt gewesen. Das fühlte ich. Das hatte sie dem Typ nachgeworfen. Das galt mir nicht. Diese ganze Begegnung hatte nur so eine Minute gedauert. Das letzte Mal das ich von Irmgard hören sollte. Eine Minute und ein Sorry. Unsere letzte Begegnung. Ein Jahr danach in Berlin hatte ich nochmal versucht herauszufinden was aus ihr geworden war. Hatte ihre alte WG angerufen. Aber niemand hatte von ihr gehört. Sie war da nie mehr aufgetaucht.
Ich hoffe, es geht ihr gut. Hoffe, dass ihr auf ihrem Abenteuer nichts passiert ist. Sie war mit einem Typen zusammen. Wo war eigentlich ihre Freundin? Keine Spur von ihr an der Tür des Restaurants.
Marianna:
„Kennst du sie?“
„Ja, aber nicht wichtig.“
Sie nahm mich beim Arm und es ging los. Mein Gott war ich schwach. Ich konnte kaum laufen. Sie nahmen mich jetzt in die Mitte, so konnte ich mich etwas aufstützen. Der Moment war dahin, keine Zeit darüber nachzudenken, ich musste alle Kraft verwenden den Rückweg zu schaffen.
Unser kleiner Ofen in der Mitte des Raumes hatte wirklich Wunder bewirkt. Der Raum war sauheiß. Mein Schweiß rann in Strömen und ich zitterte. Kalte und heiße Wellen schossen durch meinen Körper. Ich kroch in meinen warmen Daunenschlafsack.
„Hast du irgendwo Antibiotika?“
Meine Hand zeigte in Richtung Rucksack. Ja, hatte ich. Zehn Tabletten. Hatte mir der Bayer zu geraten. Das war das letzte woran ich mich erinnern kann.
Ich wachte auf vom hellen Sonnenlicht. Schaute auf und drei besorgte Gesichter starrten mich an, saßen um mich herum auf der Bettkante. Ich schaute auf die Uhr. Vier Uhr nachmittags. Konnte nur der nächste Tag sein? Oder welcher Tag?
„Wir haben unseren Bus verpasst.“
Marianna:
„Keine Sorge wegen dem Bus. Wie geht es dir?“
Marianna maß mein Fieber. Immer noch 40 Grad. Die Nacht vorher hatte sie 41,6 Grad gemessen. Aber davon hatte ich nichts mehr mitbekommen. Sie hatte die Antibiotika gefunden. Hatte mir sofort drei Tabletten eingeflößt. Ich fühlte mich besser. Starrte auf meinen Daunenschlafsack. Das war gar nicht meiner.
Der Franzose erklärte mir:
„Wir waren so besorgt um dich. Du hast in der Nacht gezittert vor Kälte. Wir haben dir meinen Schlafsack noch darüber gezogen. Ich hab mit meiner Frau in einem gepennt.“
Scheiße, ich lag in zwei Schlafsäcken, aber die waren klatschnass, vollgesogen mit meinem Schweiß. Mir war es so peinlich. Sie hatten den Bus an dem Morgen nicht genommen, hatten ihre Pläne geändert und das alles wegen mir.
„Ich bin OK. Wir können den Bus morgen nehmen.“
Marianna:
„Wir konnten dich hier nicht alleine lassen. Deshalb keine Sorgen. Wir bleiben noch zwei Tage hier. Dann hast du Zeit, dass dein Zustand sich verbessert. Danach fahren wir zusammen weiter.“
Wie kann ich denen nur danken? Alleine mit diesem hohen Fieber in diesem Raum. Ein erschreckender Gedanke. Sieben Antibiotika hatte ich noch und die wurden in einem geschluckt. Eine Rosskur. Ich musste einfach schnell gesund werden.
Sie gingen dann los um sich Kabul anzusehen und um auf dem Rückweg noch mehr Holz zu kaufen für unseren hungrigen kleinen Ofen. Ich hatte Zeit, beide Schlafsäcke zu trocknen und mich etwas zu waschen. Nachzudenken über Irmgard und dieses komische Treffen. Aber es war nicht wichtig für mich.
Haschisch und der Gedanke daran hatte uns alle in dem Moment verlassen als wir Herat hinter uns ließen. Keinen Bock zu rauchen oder auch nur daran zu denken. Meine kleine Scheibe war da wohl irgendwo im Rucksack. Es galt jetzt schnell gesund zu werden. Ich wollte die anderen nicht aufhalten. Besser, wir reisten weiter zusammen. War einfach ein Superspaß mit meinen Freunden.
In dieser Nacht hatte ich 39,5 Fieber. Am nächsten Morgen war es runter auf 39 Grad. An dem Abend weiter runter auf 38 Grad. Sieben Antibiotika hauten wahrscheinlich jede Bakterie in mir kaputt. Aber sollen sie doch. An dem Abend schmiedeten wir neue Pläne. Falls mein Fieber über Nacht nochmal runtergeht, so auf 37 Grad, dann konnten wir eigentlich weiter. Nehmen den Bus um zehn Uhr morgens und fahren weiter nach Pakistan. Da würde es auch wieder wärmer sein.
Am nächsten Morgen war mein Fieber auf 37,5 gefallen. Also fast normal. Das Startzeichen für uns. Packen und los zur Busstation. Ich war noch sooo schwach. Konnte meinen Rucksack nicht tragen. Es ging langsam zu Fuß, aber ich war OK. Meine Freunde nahmen mir meinen Rucksack ab. Sie trugen ihn zwischen sich bis zum Bus.
Pakistan ?????? – Alles ganz anders:
Wir saßen gerade im Bus in Kabul und jetzt gab es für Marianna nur noch ein Gesprächsthema. Ihre 600 Gramm Haschisch machten sie so nervös. Wir werden eine Grenze überqueren. Zollbeamte und Zollkontrollen. Wie kommt sie da rüber? Pakistan war nicht zu vergleichen mit dem Iran, aber auch nicht so frei mit Haschisch wie Afghanistan. Soviel hatten wir schon auf unserer langen Reise erfahren. Aber 600 Gramm sind eine ganze Menge. Und die durften nicht gefunden werden. Es konnte einige Jahre Gefängnis bedeuten. Vielleicht?
Viele hatten uns erzählt, dass es kein Problem sein wird. Die stempeln den Pass und machen nie Kontrollen, aber man weiß ja nie.
Wie schon seit Istanbul, saß ich wieder am Fenster, versuchte jedes Detail unserer Reise in mich aufzusaugen, zu starren und zu staunen. Marinna neben mir ging mir mächtig auf den Sack. Haschisch, Haschisch, Haschisch.
Sie wollte ihr ganzes Problem mit mir diskutieren, für jede Sekunde einen Plan entwickeln.
Sollte sie Lächeln oder Ernst sein beim Übergang? Sollte es unten im Rucksack versteckt sein, oder in eines ihrer Höschen gewickelt? Sollte sie langsam gehen oder schnell? Sollte sie es am Körper tragen? Hinten am Arsch oder zwischen den Beinen? Ein nicht endender Strom an Möglichkeiten und sie wollte meinen Rat. Aber den hatte ich nicht, außer, dass sie sich einfach entspannen muss und es das Beste ist, dass ich nicht weiß, wo sie es versteckt hat.
Sie redete und redete und ich konzentrierte mich auf das da draußen. Ein kalter sonniger Tag, eine sich durch die Berge windende Straße, das Gebirge zerrissen von tiefen Tälern. Und zwischendurch immer wieder beruhigenden Worten für Marianna. Sie musste sich entspannen. Sollte sich auf die Landschaft konzentrieren, denn die war atemberaubend. Und wir hatten den Khyper Pass noch nicht mal erreicht. Erst würde der Grenzübergang kommen, danach der Pass.
Endlich die Grenze und alles lief genauso ab, wie man es uns erzählt hatte. Rucksack auf dem Buckel, mein Bundeswehrjacke über dem linken Arm. Um ihr Sicherheit zu geben hatte ich meinen rechten Arm um ihre Taille gelegt. Wie ein Pärchen gingen wir durch die Kontrollen. Dann der Pass, der Stempel und wir waren wieder draußen im kühlen Sonnenschein. Sie lachte los. Alles cool jetzt. Sie hatte es überstanden.
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