Beim Sternmarsch in Bonn gab es jedes Jahr schwere Auseinandersetzungen mit der Deutschen Polizei, Benno Ohnsorg wurde 1967 hingerichtet von eben dieser Polizei, Rudi Dutschke starb ein Jahr später, 1978, als Folge eines Attentats, und die deutsche Regierung erlaubte es Iranischen Schlägern mit Holzlatten, Studenten, schwangere Frauen und Kinder zu prügeln, mit einer Polizei die lächelnd dabeistand und diese Schläger moralisch unterstützte.
Das nur zur Erinnerung um diese Zeiten zu verstehen.
Einige Demonstrationen hatten in den Monaten zuvor bereits stattgefunden, aber mit geringer Beteiligung. 40 000 Studenten gab es in Berlin und knapp 1000 marschierten mit. Ist ja wohl nichts.
So viele politischen Gruppen buhlten um die Gunst der Studenten, von Marxisten, Trotzkisten, Leninisten, Sozialisten, Kommunisten, die verrückte Moon Sekte, Ultra - rechte Christen, der christliche Flügel der CDU und dann noch etliche andere exotische Spinner. Alle hatten etwas gemeinsam: Sie hatten Recht und jeder andere hatte Unrecht, und die Menschen gingen denen am Arsch vorbei. (netter deutscher Ausdruck)
Das ganze Spektrum konnte man jeden Morgen bewundern, nachdem man die U Bahn an den Uni Stationen verließ. Da standen sie dann links und rechts und verteilten ihre Flugblätter.
Wintersemester 1977:
Eines Morgens war er da, der große Streik, Freie Universität, Technische Universität, viele Gymnasien, in Berlin wahrscheinlich alleine 50 000 Schüler und Studenten. In den Streik getreten das neue Hochschulrahmengesetz zu verhindern. Viele andere Universitäten schlossen sich dem Streik an, auf seinem Höhepunkt ca. 500 000 in der BRD.
Ich betrat morgens das Institut, der Streik hatte begonnen und wir wurden zu einer Versammlung aller Studenten gerufen. Ein Vertreter der ASTA (Studentenausschuss aller Studenten der FU) hielt eine kleine Rede. Unser Institut schloss sich natürlich dem Streik an.
Wir sollten einen Streikrat wählen, der dann den Streik am Institut organsierte und leitete. 900 Studenten in der Aula, vollgestopft bis in die letzte Ecke, Namen sollten vorgeschlagen werden und kamen auch sofort zur Abstimmung.
Mein Name wurde aufgerufen:
„Wer unterstützt ihn?“
Ich begriff gar nicht was da vor mir passierte, das ging alles viel zu schnell. Fast alle Hände signalisierten ihr „Ja“ und ich war gewählt. Warum eigentlich? Mich kannte doch keiner. Ich war immer der ruhige Typ. Die einzige Ausnahme war die Diskussion mit Holzkamp 14 Tage vorher. Hatte sich das rumgesprochen?
Meine Klassenkameraden schoben mich nach vorne und hoch auf das Podium, an den langen Tisch. Die Wahl der acht anderen vollzog sich in wenigen Minuten und wir nahmen alle Platz hinter dem großen Tisch.
Und Scheiße! Das hatte ich gar nicht gesehen: genau vor mir das einzige Mikrofon.
Und es war schon zu spät noch den Stuhl zu wechseln. Doppelt Scheiße. 900 Augenpaare gucken mich an und ich wäre am liebsten in den Boden versunken, da wo mich niemand sieht. Ich hatte noch nie in meinem Leben mit einem Mikrofon gesprochen und noch nie vor irgendeiner Versammlung.
Etwas musste ja jetzt passieren und das schnell. Ich nahm das Mikro, der Schweiß lief mir den Nacken runter, die ersten Worte verschwanden in froschähnlichen Lauten und dann ging‘s plötzlich. Ins Wasser geschmissen konnte ich schwimmen. Der Schweiß hörte auf zu laufen, der Frosch hatte sich verpisst, und ein anderer Typ und ich leiteten die Diskussion, als ob ich nichts anderes in meinem Leben gemacht hätte als das.
Die Tage danach gab es kaum noch Schlaf. Versammlungen, Flugblätter, unsere 900 Studenten am Institut organisieren, den normalen Lehrbetrieb zum Erliegen bringen.
Normalerweise blieben die meisten Studenten während des Streiks zuhause, doch diesmal war es anders. Sie alle kamen jeden Tag. Alternative Seminare wurden organisiert, Seminare mit unseren Inhalten. Fast alle Lehrer unterstützten uns, natürlich nicht offiziell, aber halfen mit als Beobachter und mit Worten.
„Ihr müsst durchhalten. Ihr streikt nicht nur für euch sondern für alle Lehrer und alle Unis und die gesamte BRD.“
An vielen Orten in der BRD fanden riesige Demonstrationen statt und natürlich durfte die Ordnungsmacht nicht fehlen. Und die schlug zu - speziell in Berlin! Irmgard und ich verbrachten jeden Tag zusammen, in Versammlungen, Seminaren bis spät nachts, in der letzten Arbeitsgruppe um ein Flugblatt zu gestalten und es dann noch in der Nacht 10 000 Mal zu kopieren.
Am sechsten oder siebten Tag, wir betraten das Institut sehr früh, erwartete uns bereits ein Student von der ASTA. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Zwei Studenten, Christoph und Peter wurden an diesem Morgen an einer U Bahn Station von Polizisten in Zivil angegriffen, vor 50 oder 60 Passanten zusammengeschlagen (die hier die Praxis unserer wunderschönen Demokratie bewundern konnten), dann in einen haltenden Wagen gezerrt und blutüberströmt verschleppt.
Eine große Demonstration wurde für den Nachmittag organisiert, an der wahrscheinlich so 20 000 Studenten teilnahmen. Anwälte versuchten Druck zu machen und herauszufinden, wohin man die beiden verschleppt hatte. Sie blieben verschwunden. Und klar: In derselben Nacht wurden für den nächsten Tag neue Aktionen geplant.
Um halb zwei morgens verließ ich Irmgards Wohngemeinschaft, um in die Oranienstraße zurück zu kehren. Ich hatte früh am nächsten Tag ein Treffen in einem Gymnasium in Kreuzberg geplant, damit sie sich unserem Streik anschlossen. Ich war gerade mal drei Minuten in meiner Wohnung als das Telefon läutete.
16. Dezember 1977 – Eine Kirchenbesetzung
Ein Freund, auch ein Streikrat, war am Telefon.
„Ich habe mir schon gedacht, dass du vielleicht schon zuhause bist. Habe Irmgard angerufen. Hast du Zeit? Jetzt?“
„Klar, aber du weißt es ist zwei Uhr morgens. Ist es wichtig?“
„Ich weiß. Ja sehr. Aber ich kann am Telefon nicht darüber sprechen. Können wir uns so schnell wie möglich an der Kantstraße treffen? Kennst du die Telefonzelle nahe dem Café?“
„Ich kenn das Café. Die Telefonzelle werde ich schon finden.“
Er legt auf, ein Blick auf die Uhr, ich musste direkt wieder los. Von der Oranienstraße in Kreuzberg bis zur Kantstraße ist es ein ganz schönes Stück Weg. Musste den Nachtbus noch erwischen, der fuhr jede Stunde. Die Haltestelle nur 300 Meter weg von meiner Wohnung, ich musste schnell laufen. Ich hatte Glück. Gerade noch erwischt weil der Busfahrer mich schon von weitem gesehen hatte und wartete.
2 Uhr 45. Endlich die Kantstraße und das Café und die Telefonzelle gleich in der Nähe. 20 Minuten später kam er dann:
„Komm.“
Wir sprachen nicht und ich folgte ihm in eine kleine Seitenstraße. Und klar war ich neugierig! Das musste ja was Besonderes sein, irgendeine geheime Aktion, aber ich war dabei, und das war klar. Schließlich hielt er vor einem kleinen Bücherladen an, alles dunkel drinnen - klar um fast drei am Morgen. Er klopfte ein Signal und die Tür wurde geöffnet. Mein Freund wurde erwartet, prüfende Augen studierten mich einen Moment, dann die Erkennung:
„Ahh, gut, du bist auch vom Streikrat im PI (Psychologisches Institut). Geht durch zum Hinterzimmer.“
Ein kleiner Raum, voll mit Regalen und Büchern und übervoll mit Menschen, mindestens fünfzehn. Einige kannte ich, wir alle standen eng an eng, wartend.
„Vier werden noch erwartet, also noch etwas Geduld. Wir brauchen mindestens 20.“
Es wurde leise gesprochen, der Aschenbecher wurde rumgereicht. Aus den Gesprächen wurde klar, dass niemand wusste, worum es eigentlich ging. Über die nächsten 30 Minuten trafen dann auch die anderen vier ein.
„Sind jetzt alle da, die wir angerufen hatten?“ fragend zu den beiden Wächtern an der Eingangstür.
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