„Da fährst du hin. Das ist mein Bruder, der arbeitet bei der Commerzbank in Berlin, und da kannst du erst mal schlafen solange wie du willst. Ich hab ihn schon angerufen. Er wartet auf dich.“
Was für ein Glück, viele Tränen und auf ging’s. Meine große Flucht, es war drei Uhr nachmittags, nur zwei Stunden waren seit meinem Gespräch mit Günther vergangen.
Meine schöne Ente, top Speed 100 km/h, mit Rückenwind 110 km/h, acht Stunden bis Berlin, aber mein Leben wurde zwei Gänge höher geschaltet, Gang 7, Überholspur, Formel 1, Berlin ich komme!
Kurz in Herten anhalten, Bye Bye sagen und sicher machen, dass auch niemand Samstag und Montag im Haus ist wenn der Postbote kommt. Sie gaben mir noch etwas Geld für die ersten Tage, ein paar Brote und los ging‘s auf die Autobahn. Nichts konnte mich jetzt mehr aufhalten. Dachte ich.
60 Kilometer hinter Dortmund dann plötzlich ein großer Krach, wie ein großer Schlag der meine Ente traf, dann begann es zu qualmen und sie rollte aus, blieb einfach auf der Autobahn stehen. Scheiße. Aber wenn etwas passieren muss, etwas passieren soll, dann ist die ganze Welt auf deiner Seite. Nach ein paar Minuten hielt ein Polizeiwagen hinter meiner Ente. Ich war gerade dabei, das Warndreieck aufzustellen. Beide Polizisten halfen mir die Ente auf den Seitenstreifen zu schieben. Einer öffnete die Haube:
„Der ist hinüber. Sieht nach ’nem Kolbenfresser aus. Der kann hier nicht repariert werden. Was wollen sie tun? Sollen wir den nächsten Pannendienst benachrichtigen?“
„Das ist viel zu teuer. Das kann ich mir nicht leisten. Können sie meine Schwester anrufen? Von ihrem Wagen? Sie wohnt nicht weit weg. Die schleppt mich ab.“
Sie verständigten sich für einen Moment mit Blicken.
„Ok dann los komm, wir versuchen es.“
Das klappte auch. Die Zentrale rief meine Schwester an und öffnete die Leitung zum Polizeiwagen und dann konnte ich mit ihr sprechen.
„Kolbenfresser 60 km hinter Dortmund. Könnt ihr mich abschleppen? Kann ich in deinem VW weiterfahren?“
Meine Schwester verstand sofort.
„Keine Sorge, wir sind in einer Stunde da.“
Die Polizisten fuhren dann schließlich weiter. Meine Schwester mit VW Käfer und ihrem Verlobten sowie der Nachbar mit seinem Wagen, hielten eine Stunde später neben meiner Ente. Die Wagen wurden gewechselt, meine Schwester hatte alles bereits organisiert, kurzer Boxenstopp, für mich ging‘s weiter im Käfer, meine Ente wurde zurück nach Herten geschleppt. Trotz VW, ich war immer noch in meinem Formel1 Rennen. Alles lief super und sechs Stunden später fuhr mein Käfer in Berlin ein.
Adieu Bundeswehr. Fuck you!
Um es hier kurz zu machen. Am Montag habe ich mich beim Meldeamt angemeldet, bin danach zum Berlin Kolleg, wo der Direktor bereits auf mich wartete. Eine Woche später begann mein Unterricht. Ein Jahr habe ich verloren, weil das andere System im Berlin Kolleg es nicht zuließ, das ich in die Abitur Klasse einsteige. Aber scheiß drauf. Es ging weiter.
Meine neue Schule gefiel mir von der ersten Sekunde an. Alle Lehrer waren progressiv und jung, die Atmosphäre weitaus lockerer als in Oberhausen und meine Leistungen gingen hoch in den Himmel. Bin natürlich in Verbindung geblieben mit meiner alten Schule, fuhr jedes Wochenende rüber, um meine Freundin zu sehen, aber auch um alle aus den ersten zwei Jahren zu treffen.
Bei deren Abiturarbeiten stand ich draußen und habe gewartet und es gab danach eine Riesenparty, die in der Bewusstlosigkeit von Alkohol endete. Wir hatten es geschafft. Keiner ist sitzengeblieben. 26 haben in Oberhausen Abitur gemacht, alle die sich am ersten Tag die Rede von Dr. L. anhören mussten. Einer weniger - aber aus anderen Gründen. Aber ich habe mein Abitur ein Jahr später gemacht, mit einer Note die mir nie jemand zugetraut hatte, 2.1 im Durchschnitt, 1.6 die für die Einschreibung an der Universität zählten.
Die Statistik hatten wir geschlagen, aber was ist das schon? Eigentlich nur Zahlen die keine Bedeutung haben und die man drehen kann wie man will. Auf dieser Party, Dr. L. - war auch schon ziemlich betrunken, haben wir ihm dann alles erzählt. Alle unsere kleinen Tricks mit denen wir über drei Jahre für uns gekämpft haben. Er war so stolz, dass wir cleverer waren als dieses ganze Schulsystem. Und wir? Wir waren alle stolz, einen solchen Lehrer auf unserer Seite zu haben.
Anne ist nach ihrem Abitur zu mir nach Berlin gezogen. Nach einigen Wochen auf der Couch ihrer Bruders, fand ich meine erste Wohnung: Naunynstraße in Kreuzberg, vierter Stock, in einem alten Berliner Haus, aber es war billig. Die Toilette lag im Treppenhaus, zwischen den Stockwerken. Drei Zentimeter Platz zwischen Rahmen und Fenster, sorgten für Wind im Sommer, eine natürliche Belüftung und im Winter da war es dann drinnen so kalt wie draußen.
Um eine Dusche zu nehmen musste ich Wasser im Kessel heiß machen, mich in der Küche nackt in eine Plastikschüssel stellen und dann langsam einseifen und abspülen.
Naunynstraße habe ich überlebt, vor allem wegen meiner unheimlich netten türkischen Nachbarn. Sie kochte und backte jeden Tag für ihren Ehemann und die drei Kinder und sie brachte mir jeden Tag neue kulinarische Feinheiten der Türkischen Küche.
Sandy, meine Katze:
Ist eine Katze es wert, darüber ein kleines Kapitel zu schreiben? Ist doch eigentlich nur ein Tier, also bedeutungslos für uns Menschen die wir so clever sind, die sich so nahe zu Gott fühlen, die Spitze der göttlichen Kreation. Sind wir das wirklich oder ist das nur eine Illusion unseres fantasierenden Gehirns?
Sie ist eine der süßesten Seelen die ich je getroffen habe. Als ich drei Jahre später dann Berlin verlassen habe, hat sie Selbstmord begangen.
In Oberhausen kam sie zu mir, als Hilfe gemeint für meinen besten Freund im Wohnheim, Donald. Er wird hoffentlich heute noch leben, irgendwo in Deutschland, wahrscheinlich heute ein Arzt. Er fragte mich eines Nachts um Hilfe. Sein Vater hatte sich einige Jahre vorher aufgehängt, die Mutter verfiel mehr und mehr der Depression, in den Jahren danach den Pillen und dem Alkohol. Mir war schon aufgefallen, dass jedes Mal wenn er von einem Besuch bei seiner Mutter zurückkam, er sich in sein Zimmer oben einschloss und für viele Stunden nicht runter kam.
Als er dann schließlich erschien, war er ernst, wortkarg und nie zu Scherzen aufgelegt.
Nach einem dieser Besuche fragte er mich ob ich die Katze Sandy mit ihren zwei kleinen Babys nehmen kann. Seine Mutter verbrachte den Tag nur noch mit Alkohol, die Wohnung stank nach Katzenpisse und sie war auch nicht mehr in der Lage sie zu füttern. Aber nur vorrübergehend, er würde mir helfen ein neues Heim für sie zu finden.
Klar habe ich Ja gesagt. Er konnte sie nicht nehmen wegen seiner Allergie gegen Katzen.
So betrat Sandy mit ihren sechs Wochen alten Babys mein Leben. Sandy eine Siamesische Katze, klein, graziös, intelligent, die dahinschwebte wie eine Prinzessin auf dem Weg zu ihrer Krönung.
Er hatte mir versprochen ein neues Heim für sie zu finden, aber nichts passierte in den ersten vier Wochen. Ich hatte gerade beschlossen etwas Druck auf ihn auszuüben seinen Arsch zu bewegen und sich darum zu kümmern, als sich natürlich mal wieder alles anders entwickelte. Denselben Nachmittag kam er von seiner Mutter zurück, in Tränen aufgelöst. Seine Mutter hatte sich die Nacht vorher aufgehängt und ihr Leben beendet. Er hatte sie bei seinem Besuch gefunden.
Kein Platz mehr ein Versprechen einzufordern, und so mussten dann alle aus meiner Klasse helfen. Die beiden Babys konnten schnell untergebracht werden. Von Sandy wollte ich mich nicht mehr trennen. Sie war in mein Leben stolziert mit so viel Anmut, dass sie schon längst ein Teil war, das man einfach nicht herausschneiden konnte.
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