1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Bob war ein junger Kollege aus der psychiatrischen Anstalt. Er hatte sie noch nie zu Hause angerufen.
»Können wir uns treffen, Sibel?« Seine Stimme klang gehetzt.
»Was ist los?«
»Nicht am Telefon!«
»Hmmmm... Stichwort?«
»Löwenherz!«
Sibel verspürte eine aufkommende Unruhe.
»Ist es wichtig?«, fragte sie mit angehaltenem Atem.
»Sehr!«
»Gut, dann komm vorbei.«
Puuuuhhh, drei Jungs auf einmal, stöhnte Sibel, als sie auflegte. Macht nix, es gibt Schlimmeres, murmelte sie. Drei knackige Jungs zum Dinner, was will Frau mehr, grinste sie. Zeitgleich fühlte sie jedoch ein verräterisches Kribbeln in der Magengegend. Bobs innere Unruhe war auf sie über gesprungen.
Sibel sah atemberaubend aus, als sie den Jungs die Tür öffnete. Sie hatte ihren Körper eingeölt. Ihre Haut schimmerte bronzefarben. Das Tank-Top saß knapp und der seitliche Ansatz ihrer Brüste war unschwer zu übersehen. Steve schluckte.
»Hier, bester Chianti, meinte zumindest der Typ im Supermarkt«, schmunzelte er, drückte ihr den Karton in die Hand und küsste ihre Wangen.
»Schön, dass ihr da seid.« Indem sie das sagte, nahm sie auch Mikel in die Arme. Vielleicht eine Spur zu heftig?, schoss es ihr durch den Kopf.
»Das Essen ist gleich fertig. Und wir bekommen später noch Gesellschaft. Bob hat sich angesagt.«
»Wer is'n das?«, fragte Steve ein wenig erstaunt.
»Ach, mein neuer Lover, wisst ihr. Er wollte euch kennenlernen«, flunkerte Sibel und werkelte so geschäftig am Herd, dass die schätzungsweise zehn silbernen Armreifen, die ihr rechtes Handgelenk zierten, laut klimperten.
Es schien, als würde den Jungs für einen kurzen Moment alles aus dem Gesicht fallen. Sibel grinste:
»Nur ein Kollege. Es gibt wohl irgendwelche Probleme auf der Station. Ihr dürft Musik auflegen. Drüben liegen die CDs (Sibel deutete auf ein chinesisch anmutende Sideboard).« Zehn Minuten später, als John Cooper Clarkes ‚Night People‘ aus den Boxen waberte, servierte Sibel die Pasta. Mit einer flüssigen Bewegung ließ sich im Schneidersitz auf den abgewetzten Flokati nieder und goss Wein ein. Amüsiert beobachtete sie Mikel, der offensichtlich zu steif war, seine Glieder im Schneidesitz zu sortieren.
Nachdem er zwei Mal gegen die Tischbeine gestoßen und dabei fast den gesamten Rotwein verschüttet hatte, kniete er schließlich mit einem Murren nieder.
»Aus dir wird nie ein Yogi«, feixt Steve – und im gleichen Moment: »Hey, hier ist ja gar kein Fleisch drin.«
»Hab‘ ich‘s dir nicht gesagt, Sibel ist Vegetarierin«, schmunzelte Mikel.
»Warum um alles in der Welt, bist du Vegetarierin? Was hast du davon?« fragte Steve mit erstauntem Blick.
»Das musst du global sehen«, schmunzelte Sibel. »Um Fleisch zu produzieren, benötigst du Unmengen an Wasser um riesige Monokulturen hochzuziehen, mit deren Erträgen die Nutztiere gefüttert werden. Um die Monokulturen zu entwickeln, benötigst du wiederum Unmengen an Pestiziden. Die hingegen sind wieder sehr schädlich für das Grundwasser. Die Gifte gelangen obendrein ins Fleisch und somit in den menschlichen Kreislauf.
Darüber hinaus furzen die Rinder Methanlöcher in die Ozonschicht, was wiederum Ursache für die Klimaerwärmung ist.«
»Ich dachte ja nur an ein bisschen Schinken«, wehrte sich Steve.
»Die Energieverschwendung innerhalb der gesamten Produktionskette ist unglaublich. Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch verursacht 36 Kilogramm Kohledioxid. Das ist so, als würdest du 250 Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Und warst du schon mal auf einer Geflügelfarm oder hast dir angeschaut, wie Schweine gehalten und mit Unmengen von Antibiotika vollgepumpt werden – ich meine nur mal so vom ethischen und gesundheitlichen Standpunkt aus«, ereiferte sich Sibel und bot ihrem eigenen Redefluss schließlich mit einer gebieterischen Geste Einhalt:
»Schluss jetzt! Essen! Ich will die Pasta in Frieden genießen – schlemmen, trinken, lachen. Okay?«
»Na, wenn du Ansagen machst«, grinste Steve. »Wer wagt da schon, zu widersprechen?«
Als die zweite Flasche entkorkt wurde, machten es sich die Drei auf dem Boden bequem. Steve schaute sich um und erblickte einen Stapel feministischer Magazine. Kopfschüttelnd blätterte er eine Weile die Seiten durch. Sibel beobachtete ihn amüsiert und grinste, während sie Wein nachschenkte:
»Nein, ich bin keine Lesbe, auch wenn ich mich für die Rechte der Frauen einsetze. Vor einem Jahr war ich allerdings radikaler, habe mich in Gruppen engagiert. Doch irgendwann wurde mir der ganze Kram zu ideologisch«, erklärte sie und zuckte dabei ihre nackten Schultern.
Mikel bestaunte derweil die Unterwasserfotos, die nahezu die komplette Stirnwand einnahmen: Motive mit Muränen, Haien, Rochen, Schildkröten, Schiffwracks, bizarre Ansichten von Krustentieren – und Sibel als Taucherin.
»Darauf bin ich ein bisschen stolz«, lächelte Sibel.
»Hast du die etwa selbst geschossen?«
»Japp! Ich tauche seit meinem zwölften Lebensjahr. Eine große Leidenschaft.« Sibel zwinkerte ihm zu.
»Und mich interessiert, was diese ganzen Aktenordner zu bedeuten haben?« Steve musterte Sibel voller Neugier. »Klar, so ungefähr haben wir eine Ahnung. Ich meine, was du da über Verschwörungen sammelst. Ist das dein Hobby?«
»Hobby?«, schnaubte Sibel verächtlich. »Jungs, bevor ich mit euch darüber rede, möchte ich Folgendes klarstellen: Ich bin keine Psychotante! Ich bin nicht meschugge!«
»Und diese Ketten vor der Tür?«, fragte Mikel. »Paranoia?«
Sibel schaute ihn forschend an, schließlich antwortete sie:
»Wer weiß, vielleicht übervorsichtig. Aber Paranoia? Ich weiß nicht. Manchmal habe ich einfach Angst!«
Sibel band ihre schwarze Mähne zum Pferdeschwanz und griff scheinbar wahllos in einen Stapel Papiere.
»In den roten Ordnern finden sich von Menschenhand provozierte Naturkatastrophen. Alles, was ich zusammentragen konnte, habe ich hier festgehalten. Ich sammle weltweit erscheinende Artikel zu den Ereignissen und versuche, dort wo es geht, zu recherchieren«.
»Um was geht’s im Kern?«, fragte Steve, während er einen Joint drehte.
»Im Kern?« Sibel runzelte die Stirn und schlang die Arme um ihre perfekten Beine. Sie trug einen kurzen, bordeauxfarbenen Minirock. Ihre dunklen Schenkel waren eine Augenweide, im wahrsten Sinne des Wortes.
»Im Kern geht es um die Herrschaft über die Ressourcen. Wasser! Öl! Energiegewinnung jedweder Art. Wenn du dir die Macht über diese Elemente verschaffst, dann kontrollierst du alles – Industrie, Börsen, Politik – weltweit!«
»Und solche Dinge passieren tatsächlich? Außerhalb von politischer Kontrollinstanz?« Mikel schüttelte ungläubig den Kopf.
Sibel schlug den ersten Ordner auf und zeigte dann auf eine Reihe weiterer Akten, die sich unter dem Fensterbrett türmten.
»Alleine beim Thema Wasserkraft, haben wir es mit einer schier endlosen Manipulationskette zu tun. Wer im Besitz von Wasser ist, der überlebt. Wer keines hat, stirbt. So einfach ist das. Ich habe hier endlos viele Beispiele, die mit der Energiegewinnung durch Wasserkraft zu tun haben. In jüngster Zeit nimmt die Häufung der Fälle zu, wo gegen den Willen der Bevölkerung Dämme errichtet werden. Es gibt ein klares Bild, das sich abzeichnet: Die Bevölkerung leidet, hat aber nichts von der 'fortschrittlichen' Errungenschaft der Wasserkraft. Im Gegenteil, absurderweise leiden viele Menschen in diesen Ländern unter Wassernot. Talsperren und Absperrwerke gibt es Unzählige und es werden immer mehr – natürlich auf Kosten der naturbelassenen Wasserläufe. Vor allen Dingen in Afrika. Es häufen sich die Fälle, der Masseninfektionen, Epidemien, Vergiftungen und Massensterben im Vorfeld des Dammbaus innerhalb der Bevölkerungsgruppen, die in den Tälern heimisch sind. Dort wo ihre Dörfer standen, befinden sich heute riesige Wasserflächen. Jüngste Beispiele sind der Reires-Damm im Sudan, der Kainji in Nigeria, Massingir in Mosambik, Gilge Gibe III in Äthiopien oder der Kase in Lesotho. Die Vorgänge haben System und begegnen uns schablonenartig in anderen Erdteilen wieder. Der Shuangijangkon in China, der Enguri in Georgien, der Sajano-Schuschenkskaya in Russland, der Kishan und der Bhakra in Indien, der Kamuak im Iran, der Cipasang in Indonesien, San Roque auf den Philippinen, Toktogul in Kirgistan. Die Spitze eines Eisbergs!«
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