Ich blickte dem Offizier fest in die Augen. „Dann kannst du mir bestimmt dein Befehlsschreiben zeigen, das dich bevollmächtigt, Reisende anzuhalten.“
Der Mann stutzte verblüfft.
„Ohne kaiserlichen Befehl wäre es Straßenraub und Wegelagerei. So sagt es das Gesetz des Kaisers.“
„Selbstverständlich habe ich ein Befehlsschreiben,“ knurrte der Offizier. Er baute sich vor mir auf. „Aber selbst wenn ich es dir zeige, wird dir das nichts nützen, weil du es wohl kaum lesen können wirst.“
Ich schnaubte verächtlich. „Habe ich dir nicht gesagt, dass wir Forschungsreisende im Auftrag des Herrn Trismegisto, Diener seiner Majestät des Kaisers, sind? Selbstverständlich kann ich lesen - und ich kann auch ein gefälschtes Siegel irgendwelcher desertierter Räuberbanden vom Siegel des Kaisers unterscheiden!“
Der Offizier lief rot an. Einen Moment lang glaubte ich, er würde mich anbrüllen und uns alle in Ketten legen lassen, aber er gab einem jungen Burschen, der hinter ihm stand, einen Wink. Der Stiefelknecht lief zwischen den Soldaten hindurch zu den Pferden.
„Forschungsreisende, so! Wo wollt ihr hin?“ blaffte der Hauptmann.
„Wir gehen im Auftrag unseres Herrn in die toten Berge im Norden. Dieses Gebiet wird schon lange von reisenden Gelehrten erforscht - Leonhard Knoblauch, Eusebian Multkopf, um nur die berühmtesten zu nennen. Unser Dienstherr führt diese Forschungen weiter.“
Kat murmelte etwas hinter mir.
Der Hauptmann schüttelte entschieden den Kopf. „Die Berge im Norden sind Zwergengebiet. Da kommt ihr nicht durch.“
„Wir haben bereits in den Bergeinöden im Westen Bekanntschaft mit Zwergen gemacht,“ meinte ich und hoffte, dass es selbstsicher genug klang. „Das kannst du uns glauben, dass wir uns gegen Zwerge zur Wehr setzen können.“
Der Hauptmann betrachtete nachdenklich Svens Zweihänder. Die große Klinge glänzte hell. Der Bursche brachte ihm ein zusammengerolltes Pergament. Der Hauptmann reichte es einem Soldaten, der seinen Spieß gegen die Schulter lehnte und das Pergament umständlich aufrollte. Er hielt es mir so hin, dass ich es lesen konnte. Ich las das Befehlsschreiben laut vor. Kopfschütteln und Gemurmel unter den Soldaten war die Reaktion. Die Gesichtsfarbe des Offiziers wurde noch eine Spur dunkler.
Ich sah ihm in die Augen. „In Ordnung. Wie viel Silber willst du haben, um uns passieren zu lassen?“
Der Hauptmann sah mich aufmerksam an. In seinen Augen blitzte es.
„Ja, soo verhält sich das mit euch!“ sagte er gedehnt.
„Ich gebe dir fünf Silberlinge. Das dürfte wohl mehr als genug Wegegeld sein,“ meinte ich fest.
„Fünfzehn!“ schnappte der kaiserliche Offizier.
„Dann also acht. Und keinen Kreuzer mehr!“
Die Augen des Hauptmanns wurden zu schmalen Schlitzen. „Zwölf! Meine Leute haben lange keinen Sold mehr gezahlt bekommen.“
„Damit habe ich nichts zu tun,“ sagte ich grob.
Ich schaute Sven an. Der nickte langsam und deutlich.
„Also gut, um des kaiserlichen Friedens willen, zwölf Silberlinge - und die Erlaubnis, für die Nacht im Gasthof einkehren zu dürfen!“
Kat schnappte nach Luft. Unter den Soldaten wurde es unruhig. Der Hauptmann sah seine umstehenden Leute an.
Zu mir sagte er: „So schert euch doch zum Teufel, oder wohin ihr wollt! Meinetwegen könnt ihr mit dem Wirt einen Preis für die Nacht ausmachen. Aber zuerst will ich das Silber haben.“
Ich musste die Silberlinge seinem Burschen in die Hand zählen.
Währenddessen sagte der Hauptmann laut zu seinen Leuten: „Zwei Silberlinge für mich, der Rest wird unter die Truppe aufgeteilt.“
Die Männer brüllten Hurra. Die Reihen um uns lockerten sich. Kat schien eine Maulsperre zu haben. Ihr Mund wollte nicht mehr zugehen.
Der Hauptmann schritt uns voran dem Gasthof entgegen. Seine Soldaten gingen auseinander. Einige blinzelten mir verschwörerisch und keineswegs unfreundlich zu. Kat starrte mich sprachlos an, als sähe sie mich heute zum ersten Mal in ihrem Leben.
„Das hab ich von meinem Vater gelernt, wie man mit solchen Halunken verhandelt,“ sagte ich leise zu ihr. „Mein Vater sagte immer, das sind arme Schweine, die wollen auch nur leben.“
Sie schüttelte fassungslos den Kopf. „Und ich hab geglaubt, ihr wärt hinterwäldlerische Dorfpiraten!“
„Ein bisschen was haben wir eben doch gelernt, als bloß fromme Seeleute tot zu machen,“ grinste ich.
***
Das Eingangstor des Gasthofs führte auf einen getünchten Gang. Mit Fedurin am Halfterstrick folgten wir dem Hauptmann in den Gang. Aus einer Seitentür war Lachen und Grölen vieler Männer zu hören. Der Hauptmann rief laut einen Namen in den Tordurchgang. Dem dienernd herbeieilenden Wirt in schmieriger Schürze befahl er, uns ein Zimmer im hinteren Teil des Gasthofs zu bereiten und den Esel in den Stall zu führen. Er solle mit uns den Preis für Kost und Unterkunft für eine Nacht aushandeln. Dann machte er auf dem Absatz kehrt. Bevor er zum Tor hinausging, riss er die Tür zur Wirtsstube auf und brüllte etwas hinein. Beifälliges Gelächter antwortete ihm.
Wir führten Fedurin selbst an den Platz im Stall, den der Wirt uns zeigte. Kat nahm Fedurin das Gepäck ab und versorgte ihn mit Wasser und Heu. Mitsamt unserem Gepäck folgten wir dem Wirt über eine morsche Stiege ins obere Stockwerk.
„Gib uns einen Raum mit abschließbarer Tür,“ forderte Kat.
Der Wirt dienerte. Er zeigte uns einen weißgetünchten Raum mit einem Fenster und einem großen Bett. Dicke Decken waren über das Bett gebreitet. An der Wand hing ein gerahmtes Bild, das das Flammenschwert der kaiserlichen Hochreligion zeigte.
„Hier pflegt der Herr Gardemajor zu übernachten, wenn er im Gasthof weilt,“ murmelte der Wirt, während er uns den eisernen Schlüssel aushändigte. „Ich bringe euch ein Licht. Und wegen der Bezahlung - der Krieg hat eine große Teuerung über das Land gebracht, müsst ihr wissen...“
„Schon gut,“ winkte Kat ab. „Wie viel willst du haben?“
„Acht Kreuzer für einen jeden von euch - und vier für die Versorgung des Esels,“ nuschelte der Wirt.
Kat verzog wütend das Gesicht. Aber sie beherrschte sich und meinte nur: „Bring uns eine Kohlenpfanne ins Zimmer. Und tu uns das Essen irgendwo anders auf, nicht bei dem Soldatenpöbel in der Wirtsstube, hörst du?“
„Bier und Grog wird es ja wohl geben?“ knurrte Sven.
Erneut dienerte der Wirt. „Sehr wohl, ihr Herrschaften, allerdings müsste ich den Grog...“
„Ja, gut, zehn Kreuzer zusätzlich für den Grog, weil Krieg ist,“ stöhnte Kat wütend. „Aber sei nicht so knauserig mit den Getränken!“
Der Wirt bekam sein Geld und zog unter Verbeugungen ab.
Als der Gastwirt die Tür hinter sich zugezogen hatte, setzte Kat sich auf die Bettkante und blickte benommen vor sich hin.
Endlich holte sie tief Luft und atmete seufzend aus. „Das hätte ins Auge gehen können, Jungs.“
Wir stapelten unser Gepäck in eine Ecke.
„Einer von uns sollte hier bleiben und das Gepäck bewachen, wenn wir runtergehen - trotz abschließbarer Tür,“ meinte Kat. „Den Gaunern ist nicht zu trauen.“
„Ich bleibe oben,“ sagte Aeolin entschlossen.
Sie nickte Sven mit einem angedeuteten Grinsen zu. „Mein Bruder ist schon zu lange gewandert - er muss gehen, um sich zu stärken. Ich gehe nach euch zum Essen hinunter.“
„Hmpf!“ antwortete Sven nur.
Mit einem Lächeln sagte Lyana: „Ich bleib' mit dir hier, Aeolin. Lasst euch ruhig ein wenig Zeit beim Essen, ihr drei. Nachher gehen wir beide runter und ihr könnt hier oben das Gepäck zu dritt bewachen.“
Kat betrachtete das große Bett.
„Gute Idee, Lyana,“ fand sie.
Im Erdgeschoss zeigte uns eine Magd einen kleinen Raum mit einem einfachen Holztisch und fünf Stühlen. Auf Wandborden aufgereihte Zinnteller sollten dem Raum wohl ein nobles Aussehen geben. Im Kamin prasselte ein Feuer. Wir bekamen dünnes Bier, Kohlrübensuppe und einen kleinen Kessel dampfendem Grog serviert. Kat erklärte der Schankmagd, Lyana und Aeolin würden erst nach uns zum Essen kommen. Sven fragte nach Brot, aber die Magd meinte, es sei keins da.
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