„Gott zum Gruße“, wisperte auch Jonatha und sah nur kurz auf.
„Ich grüße euch, Kinder“, erwiderte die Frau. Ihre Stimme glich einem sanften Grollen. „Was führt euch denn zu mir?“
Jonatha überließ die Antwort nur zu gerne Agnes, schließlich war es ihre Idee gewesen.
„Wir wollen eure Dienste gern in Anspruch nehmen und bitten euch darum, uns die Zukunft zu lesen.“
Die Dame Eva runzelte die Stirn.
„Euch beiden?“
Agnes und Jonatha nickten ehrfürchtig.
„Könnt ihr das auch bezahlen?“
Jetzt kehrte wieder Leben in Agnes.
„Aber natürlich! Seht nur, wir haben genügend Geld dabei.“
Sie stieß ihrer Freundin leicht in die Rippen als Aufforderung, ihre Groschen herzuzeigen. Jonatha kramte in ihrer Geldkatze, legte sich ein paar Münzen in die flache Hand und streckte sie der Frau entgegen, über deren Gesicht sich nun ein Lächeln legte.
„Also gut“, sagte sie. „Dann kommt herein.“
Im Innern der Hütte war es sehr düster. Sie bestand aus einem einzigen Raum, in dessen Mitte sich ein hölzerner Tisch befand. Ein pompöser silberner Kerzenleuchter stand darauf. Er wirkte in dem ansonsten eher spartanisch eingerichteten Zimmer wie ein Fremdkörper. Die Kerze, die darin steckte, war schon ziemlich heruntergebrannt und verbreitete nur wenig Licht.
„Nehmt Platz!“, bot Eva den Mädchen an, die sich daraufhin auf den grob behauenen Holzklötzen niederließen, die als Stuhlersatz dienten.
Jonatha, die sich nur selten in anderer Leute Häuser aufhielt, fand dies alles fremd und aufregend. Gut, dass ihr Vater nichts von diesem Besuch wusste. Er wäre entsetzt gewesen, wenn er gesehen hätte, in welche Umgebung sich seine Tochter begeben hatte.
Ohnehin war es schwierig gewesen, sich davonzustehlen. Der Unterricht nahm fast Jonathas gesamte Zeit in Anspruch. Doch da der Lehrer, der sie in Mathematik unterrichtete, krank geworden war und gleichzeitig auch die Frau, die ihr Etikette beibrachte, das Bett hüten musste, hatte sie unverhofft den ganzen Nachmittag frei.
Agnes war eigentlich zum Stalldienst eingeteilt und sollte Zacharias helfen, doch Agnes hatte ihn überredet, ihr für zwei Stunden frei zu geben. Der gutmütige alte Pferdeknecht hatte ein Herz für die jungen Mädchen und ließ sie lächelnd ziehen. Er würde sie auch nicht verraten, dessen waren sie sich sicher.
Jonatha hatte allerlei Geschichten über Wahrsagerinnen und Zukunftsdeuter gehört. Manche arbeiteten mit Kristallkugeln, andere mit Karten oder beschäftigten sich mit Traumdeutung. Von Agnes wusste sie jedoch, dass die Dame Eva schlicht aus den Händen der Betroffenen las. Daheim hatte sie bereits die feinen Linien ihrer Hand inspiziert und darüber sinniert, welche Bedeutung wohl in ihnen lag.
Die Dame Eva musterte die beiden Mädchen und sprach schließlich Agnes an:
„Kenne ich dich irgendwoher?“
Agnes nickte.
„Ich war bereits mit meiner Schwester hier. Ihr habt nur ihr die Zukunft gedeutet, aber ich saß daneben. Damals war ich sehr skeptisch, muss ich zugeben.“
Jonatha hielt den Atem an. Wie konnte sie es wagen so ungehörig zu sein und die Wahrsagerin zu kritisieren? Sie rechnete bereits damit, dass sie von ihr des Hauses verwiesen, zumindest aber eine Rüge erhalten würden.
Doch Eva blieb gelassen. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen.
„So?“, fragte sie nur nach.
Agnes merkte anscheinend jetzt erst, wie dreist sie gewesen war. Doch es gehörte zu ihrem Wesen, dass sie schnell das aussprach, was sie dachte. Oft merkte sie erst im Nachhinein, dass es klüger gewesen wäre zu schweigen. Aber nun ließ ihr die Wahrsagerin Gelegenheit, weitere Erklärungen abzugeben.
„Bitte verzeiht mir, denn ich habe meine Meinung geändert. Als ihr meiner Schwester zu jener Zeit weissagtet, alles werde sich bald für sie zum Guten wenden, traf sie nur eine Woche später ihren zukünftigen Ehemann, in den sie sich gleich unsterblich verliebte. Das hat mich von Euren Fähigkeiten überzeugt. Und nun sitze ich selbst hier und möchte eure Dienste in Anspruch nehmen.“
Eva sah Agnes nun ernst an.
„Was möchtet ihr denn von mir wissen?“
Jonatha und Agnes blickten sich an. Agnes rutschte auf dem Holzklotz herum, als fühle sie sich nicht recht wohl. Schließlich gab sie mit für sie ungewohnt leiser Stimme zu: „Wir möchten gerne wissen, wie es mit der Liebe um uns steht. Von meiner Freundin wird eine baldige Hochzeit erwartet, und ich weiß noch überhaupt nicht, wie es in Liebesdingen um mich bestellt ist. Wird es auch jemanden für mich geben?“
Eva nickte verständnisvoll.
„Also gut. Wir werden mit dir beginnen.“
Ohne, dass sie dazu aufgefordert worden wäre, streckte Agnes ihre Hand aus - eine Hand mit kurzen, dicken Fingern, die von der Arbeit auf der Burg gerötet war. Eva lächelte und nahm die Hand in die ihre. Sie führte sie dicht an das Kerzenlicht, um besser sehen zu können. Mit ihren grazilen Fingern fuhr sie die feinen Linien nach und bewegte dabei lautlos ihre Lippen, so als spräche sie ohne Ton.
Dann hörte sie unvermittelt damit auf und sah Agnes an, die vor Neugierde schier zu platzen schien.
„Und, was seht ihr?“, wollte sie begierig wissen.
„Ich sehe etwas. Ganz eindeutig.“
„Was ist es?“
Eva wandte sich abrupt von ihr ab und sah plötzlich Jonatha ins Gesicht.
„Zuerst das Geld!“, forderte sie ihre Kundinnen auf.
Jonatha legte zaghaft die Groschen auf den Tisch. Die Wahrsagerin nahm das Geld auf und verstaute es in den Taschen ihres Kleides.
„Also“, murmelte sie und blickte dabei wieder Agnes an. „Ich sehe einen Mann, der dich begehrt.“
„Wirklich?“, fragte Agnes ungläubig woraufhin Eva nickte.
„Wann werde ich ihn treffen?“
Eva nahm noch einmal ihre Hand und starrte konzentriert darauf.
„Schon bald, schon bald“, prophezeite sie ihr. „Es wird sich einiges ändern für dich. Ein großes Abenteuer steht dir bevor.“
„Wahrhaftig? Das wird bestimmt aufregend. Hast du gehört Jonatha?“
Jonatha nickte benommen, doch bevor sie etwas sagen konnte, sprudelte Agnes hervor: „Könnt ihr mir noch mehr zu dem Mann sagen? Werde ich seine Liebe erwidern? Werde ich ihn heiraten?“
Doch Eva schüttelte bedauernd den Kopf.
„Das ist alles, was ich herauslesen kann. Tut mir leid, mehr kann ich dir dazu nicht sagen. Doch jetzt zu deiner Freundin. Reiche mir deine Hand!“, forderte sie Jonatha auf.
Jonathas Hand besah sie sich ein wenig länger. Beinahe zärtlich fuhr sie mit ihren Fingern die Herzlinie entlang, und in ihr Gesicht stahl sich ein Lächeln.
„Du Glückliche“, raunte sie. „Du wirst die ganz große Liebe erleben. Schon bald.“
Jonatha schluckte. Sollte das wirklich wahr sein? Sie, das vierzehnjährige Mädchen, das noch nie einen Mann auch nur flüchtig berührt hatte?
„Ja und, weiter?“, drängte Agnes unhöflich. „Ihr müsst doch noch mehr sehen. Das kann doch nicht alles sein.“
„Nein, tut mir Leid. Ach was, es tut mir nicht Leid. Wisst ihr wie selten es ist, dass die Herzlinie bei jemandem eine so große Liebe anzeigt? Das ist etwas sehr, sehr besonderes. Deine Freundin ist vom Schicksal gesegnet.“
Dann stand Eva auf - anscheinend ein Zeichen, dass die Mädchen genug ihre Zeit strapaziert hatten.
„Ich wünsche euch beiden nur das beste“, sagte sie und geleitete Jonatha und Agnes hinaus.
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